Angekündigt wird er als Rockstar, er selber hätte lieber Philosophie studiert. Gegenüber finews.ch erklärt der Erfinder der UBS-Plattform Neo, warum Europa das Tech-Rennen verliert, und warum die Finanzbranche ein neues USB-Kabel braucht.
Die Finanzindustrie ist verkorkst. Banken und Fintechs, die die nötige Innovation bringen würden, reden aneinander vorbei. Und wenn etwas neues auf den Markt kommt, dann stammt es entweder aus China oder aus den USA.
Wenn Hishaam Caramanli, Global Head of Securities E-Commerce bei der UBS Investmentbank einen seiner Vorträge hält, hört das Publikum gespannt zu. Die Leute wollen ihm danach die Hand schütteln, gratulieren ihm zu seiner Rede, wollen mit ihm gesehen werden.
So auch an der Finance 2.0 in Zürich, wo ihn finews.ch getroffen hat. Caramanli hat tatsächlich einen beeindruckenden Lebenslauf: Erst baute er für die amerikanische Investmentbank Morgan Stanley deren Trading-Plattform Matrix, danach ging er ins Investmentbanking der Grossbank UBS und schuf dort die Plattform Neo, die inzwischen über 35 Preise abgeräumt hat. Verdientermassen, denn mit Neo hat Caramanli aus 74 Kundenschnittstellen eine einzige Plattform geformt.
Philosophie und Politik statt Technik
Doch Preise sind Caramanli egal, Auszeichnungen nur erfreuliche Nebenwirkungen seines Schaffens. Er spricht auch nicht gerne über Neo, lieber über das grosse Ganze. Dass er lieber Philosophie und Politik studiert hätte, dann aber doch in der Technik gelandet ist, beweist das Beispiel, mit dem er die grösste Notwendigkeit der Finanzindustrie der heutigen Zeit erklärt: «In den 1990er Jahren war es ein USB-Kabel, das die Verbindung zwischen dem Computer und der Peripherie massgeblich vereinfacht hat.»
Er selber ist traumatisiert von der Zeit, als man für die Installation eines Druckers noch den Computer aufschrauben musste. Mit dem USB-Kabel – übrigens ein Gemeinschaftsprodukt von Intel, IBM, Microsoft und anderen – konnten die jeweiligen Produzenten erfolgreich zusammenarbeiten und ihre Geschäfte ausbauen.
In Caramanlis Beispiel sind die Computerhersteller die Banken und die Peripherie-Hersteller die Fintechs. Und das Kabel gibt es noch nicht. Darum dauere das Onboarding eines Fintechs heute immer noch rund 18 Monate. Deutlich weniger seien es inzwischen bei der UBS.
«Alle Daten auf die Cloud»
Wie soll das neue Kabel aussehen? Für Caramanli wär es heute nicht mehr physisch: «Das metaphorische Kabel wäre heutzutage ein Regelwerk, das den Umgang mit der Cloud festlegt, denke ich.»
Denn: «Wir müssen in den nächsten Jahren sowieso alle unsere Daten auf die Cloud bewegen, davon bin ich überzeugt. Jedoch haben alle Banken ihr Geld in lokale Server investiert. Nun müssen wir herausfinden, wie wir den Transfer auf die Cloud schaffen. Denn die Fintechs sind bereits dort.»
Und die braucht es laut Caramanli dringender denn je, um den Kundenbedürfnissen gerecht zu werden, die laut ihm ins Zentrum jedes Geschäftsmodells gehören: «Fintechs sind nicht disruptiv, Kundenerwartungen sind disruptiv. Bei Uber, bei Netflix und auch bei Amazon ist es sehr einfach, an Dienstleistungen zu kommen. Darum dominieren diese Angebote auch ihren Markt. Und das funktioniert überall gleich: Bietet man dem Kunden etwas simples an, das seine Erwartungen erfüllt oder sogar übertrifft, benutzt er es auch. Und empfiehlt es auch noch gleich weiter.»
Über den Schatten springen
Schaut man die grossen Player im Markt an, stammt keiner aus Europa. Die Amerikaner haben Uber und Amazon, die Chinesen Alibaba und Tencent. »Und Europa?» Die Frage des UBS-Managers ist eher rhetorischer Natur. «Hat ein Gesetz über das Recht auf Vergessen – wir müssen kreativer sein.» Für ihn ist klar, wo die Wurzel des Problems liegt: In der Geschichte und der Beschaffenheit Europas, oder: «Mitunter an der starken Fragmentierung und der sprachlichen Vielfalt des Kontinents. Beides erschwert die Zusammenarbeit und das Vertrauen massiv.»
Doch auch Europa habe die Chance, Grosses zu leisten. «Doch dazu müssen wir die Industrie animieren, über ihren Schatten zu springen und zusammen zu arbeiten, ohne kurzfristigen Profit in Sicht. Intel hat am USB-Kabel direkt auch nichts verdient.»
Doch eben jenes Kabel braucht es: «Ohne das klappt die Zusammenarbeit nicht und wir bleiben in dem Chaos, in dem wir uns heute befinden, in dem einige Fintechs etwas Kleines designen und die ganze Industrie nur schrittweise vorwärts kommt.»