Seit 1999 hat die Aktie der Credit Suisse mehr als 80 Prozent an Wert eingebüsst. Wie ist das möglich in einer Welt, die in manch anderen Belangen so viel besser geworden ist?
Bis vor einigen Jahren veranstaltete die Credit Suisse (CS) jeweils ein Weihnachtsessen für Journalisten. Höhepunkt des Abends war ein Wettbewerb, bei dem es darum ging, den Kurs der CS-Aktie auf zwölf Monate hinaus zu schätzen. Der treffsicherste Medienvertreter durfte dann ein Jahr später eine Aktie der Bank aus den Händen des jeweiligen CEOs in Empfang nehmen.
Im Jahr 1999 hatte ich die seltene Ehre, der Gewinner zu sein. Die Aktie, die mir der damalige CS-Chef Lukas Mühlemann (Bild oben) persönlich überreichte, hatte auf heutige Verhältnisse umgerechnet einen Wert von 73 Franken. Zwanzig Jahre später kostet eine Aktie der CS noch 11.65 Franken. Mit anderen Worten: Der Titel hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht weniger als 84 Prozent an Wert verloren – mal abgesehen von den Dividenden, welche die CS zeitweilig bezahlt hat. Ähnlich erging es auch den Titeln der UBS.
Grosse Widersprüche
Wie ist es möglich, dass die Aktie (kleines Bild links) einer Institution, die hierzulande nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine gesellschaftspolitisch relevante Rolle spielt, dermassen an Wert verliert, während unser Alltag und unser Wohlstand im selben Zeitraum massiv an Qualität und Wert gewonnen haben? Dies nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund, dass jeder CEO der CS und auch jeder Divisionschef der Bank, mit denen ich fast ausnahmslos mindestens einmal persönlich gesprochen habe, mir vollmundig versichert haben, wie unglaublich gut und kundenfreundlich «ihre» Bank unterwegs ist.
Zwischen Sein und Schein besteht offensichtlich ein grosser Widerspruch – so riesig, wie wohl in keinem anderen Metier. So viel Mist zu bauen und Vertrauen zu verspielen, und dennoch weiter im Geschäft zu sein, das schaffen nur die Banken, sagte mir mitten in der Finanzkrise ein Unternehmer. Womit er wohl recht hat. Was aber ist es, das diesen Widerspruch fortbestehen lässt?
Viel Lehrgeld bezahlt
Es ist interessant, dass vor zwanzig Jahren, als die Grossbanken in ihrem Zenit standen, die Technologie-Branche so richtig in Fahrt kam. New Economy hiess das Losungswort jener Zeit, und selbst wenn diese Szene in der Folge einiges an Lehrgeld bezahlen musste, so lassen sich die Anfänge dessen, was sich heute im «Spirit» der Tech-Branche rund um Apple, Google und beispielsweise auch Alibaba manifestiert, in jene Epoche der 1990er-Jahre verorten. Doch was hat das alles mit den Banken zu tun?
Bei genauerem Hinsehen einiges: Im Gegensatz zum Niedergang der Grossbanken-Aktien über die vergangenen zwanzig Jahre legte der Technologie-Bereich im selben Zeitraum an Wert und Bedeutung umso signifikanter zu. Das trifft zwar auch auf andere Branchen zu, doch «Tech» ist vermutlich der einzige Sektor, der die Finanzbranche sozusagen obsolet machen kann. Das zeigt sich überdeutlich seit rund zehn Jahren.
Epochaler Paradigmenwechsel
Technologie-Firmen vereinnahmen immer mehr Geschäftsbereiche, die bislang den Banken vorbehalten waren: Zahlungsverkehr, Wertschriften- und Devisenhandel, Hypothekargeschäfte, bis hin zu automatisierten Anlagestrategien. Das sind alles Bereiche, in denen die Finanzinstitute über Jahrzehnte mit sehr wenig Wertschöpfung sehr viel verdient haben. Diese Verlagerung zu Ungunsten der Grossbanken wird sich weiter fortsetzen – sie ist unaufhaltsam und stellt über kurz oder lang die «raison d’être» der universalen Geldhäuser in Frage.
Das dürfte ein wichtiger Grund dafür sein, dass die Aktien einer Credit Suisse über die vergangenen zwanzig Jahre so massiv an Wert verloren haben und eine Rückkehr zum eingangs erwähnten Niveau unwahrscheinlich erscheint, sofern es solche Banken wie die CS dann überhaupt noch gibt. Nur den CEO für die fatale Kursperformance zu prügeln, greift zu kurz. Wir haben es hier mit einem epochalen Paradigmenwechsel zu tun.
Blosse Augenwischerei
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