Der Stimmrechtsberater Ethos bemängelt die Qualität der Nachhaltigkeitsberichte von Schweizer Unternehmen. Er unterstützt schärfere gesetzliche Vorgaben. In der Auswertung der GV-Saison 2024 finden sich aber auch Spuren, dass sich im Aktionariat Gegendruck zur ESG-Bewegung aufbaut. 

Nachdem die meisten Unternehmen, deren Aktien im Swiss Performance Index (SPI) zu finden sind, ihre Generalversammlungen (GV) für das Geschäftsjahr 2023 abgehalten haben, legt nun der Stimmrechtsberater Ethos seine jährliche Auswertung der Abstimmungsergebnisse vor.

Die am Donnerstag publizierte Studie befasst sich insbesondere mit dem auch die breitere Öffentlichkeit bewegenden Traktandum Vergütung der Führungskräfte (CEO und Präsident des Verwaltungsrats, VR), wobei die GV von 205 Unternehmen analysiert wurden. Bereits Ende Juni hatte der Dienstleister Swipra Services eine Auswertung der GV-Saison 2024 präsentiert.

Erstmals Abstimmungen zum Nachhaltigkeitsbericht

Ethos hat auch die Qualität der Nachhaltigkeitsberichte unter die Lupe genommen. 2024 waren kotierte Unternehmen mit mindestens 500 Vollzeitstellen und einem Jahresumsatz von über 40 Millionen Franken (oder einer Bilanzsumme von über 20 Millionen) aufgrund neuer Bestimmungen  im Obligationenrecht (Artikel 964a ff.) erstmals verpflichtet, einen Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen und diesen den Aktionären vorzulegen. Davon betroffen waren 140 SPI-Unternehmen, drei weitere liessen aus freien Stücken darüber abstimmen.  

Die GV-Beteiligung blieb mit knapp 70 Prozent des Aktionariats auf einem hohen Niveau. Und die Aktionäre folgten auch in den meisten Fällen den Anträgen des VR. Die Zustimmungsquote stieg gegenüber dem Vorjahr sogar noch leicht auf gut 95 Prozent an. Umstrittenstes Traktandum war der Vergütungsbericht, der im Durchschnitt mit «nur» mit 85 Prozent gutgeheissen wurde.

Einfluss messbar, aber begrenzt

Anders als im Vorjahr (Credit Suisse) finden sich unter den 10 umstrittensten GV (mit durchschnittlichen Zustimmungsquoten von 67 bis 88 Prozent) heuer keine Unternehmen aus dem Finanzsektor. Effektiv abgelehnt wurden aber bei insgesamt über 4'000 nur 12 Vorlagen, was auf eine grundsätzlich hohe Zufriedenheit in der «Aktionärsdemokratie» hindeutet.

Die Empfehlung des Beraters Ethos, der davon ausgeht, dass er bei Generalversammlungen von Schweizer Unternehmen im Schnitt 3 bis 5 Prozent der Stimmen vertritt, hat durchaus Gewicht. Die von Ethos unterstützten Traktanden werden mit 97 Prozent genehmigt, ist er dagegen, fällt diese Quote auf 90 Prozent. Bei den Schwergewichten, die Teil des Swiss Market Index (SMI) sind, ist der Einfluss mit 97 zu 89 Prozent noch ausgeprägter.

UBS-CEO drückt den Schnitt deutlich nach oben

Prominent in Erscheinung tritt der Finanzsektor dafür im Kapitel Vergütungen. Die überdurchschnittliche Zunahme der CEO-Saläre der SMI-Unternehmen von 5 Prozent auf 8 Millionen Franken ist gemäss Ethos nämlich im Wesentlichen auf die Einstellung von Sergio Ermotti als CEO der UBS zurückzuführen, des mit einer Gesamtvergütung von 14,5 Millionen Franken bestbezahlten Schweizer Unternehmenschefs überhaupt. Insgesamt kassierten die CEO von 184 SPI-Unternehmen (bei den anderen werden die Löhne nicht publiziert) 2,3 Millionen Franken und damit 3,8 Prozent mehr.

Rückläufig war dagegen die Vergütung des obersten Verantwortlichen für die strategische Führung. VR-Präsidenten erhielten noch 2,1 Millionen statt 2,2 Millionen Franken.

Die meisten Vergütungsberichte gehen glatt durch

Ethos empfahl nur in knapp der Hälfte aller Fälle eine Zustimmung zum Vergütungsbericht. Auch hier zeigte die Empfehlung insofern Wirkung, als die Zustimmungsquote von 88 auf 82 Prozent fiel, wenn Ethos opponierte. Effektiv abgelehnt wurden aber nur 5 Vergütungsberichte; die Abstimmungen darüber haben sowieso nur konsultativen Charakter. Die Aktionäre hätten damit «eine deutliche Botschaft an den Verwaltungsrat» gesendet, das Vergütungssystem zu überarbeiten, tröstet sich Ethos über die fehlende Verbindlichkeit hinweg.

Konsultativ oder nicht lautet die Gretchenfrage im Zusammenhang mit dem Traktandum Nachhaltigkeitsbericht. 56 Prozent der betroffenen Unternehmen haben angegeben, die Abstimmung darüber als verbindlich zu behandeln und liegen damit auf der Linie von Ethos. Doch für über 40 Prozent hat die Abstimmung und damit auch das Ergebnis nur konsultativen Charakter.

Hohe Zustimmung zu mangelhafter Nachhaltigkeitsberichterstattung

Ethos bemängelt, dass viele Nachhaltigkeitsberichte wichtige Anforderungen wie die Verwendung eines international anerkannten Standards, eine Prüfung durch eine unabhängige Revisionsstelle und mangelnde Transparenz bei der Offenlegung der Treibhausgasemissionen bzw. der Klimawirkung nicht erfüllten. Folgerichtig empfahl denn Ethos auch, mehr als die Hälfte aller Nachhaltigkeitsberichte von SPI-Unternehmen und auch der SMI-Gesellschaften zur Ablehnung. Gleichwohl nickten die Aktionäre das Traktandum mit durchschnittlich 97 Prozent ab.

Ethos erklärt sich diese hohe Zustimmung damit, dass die Investoren mit solchen Berichten keine Erfahrung hätten und der Aufwand für eine Überprüfung hoch sei.

Mehr Berichtspflichtige, internationale Standards und externe Überprüfung

Die Verfasser der Studie erinnern daran, dass Ethos nicht auf die Einführung einer Regulierung gewartet habe, um von den Unternehmen Informationen zu ihrer Politik im Bereich ökologische und soziale Verantwortung sowie Corporate Governance (ESG) zu verlangen. Die Ethos Stiftung, die heute von mehr als 250 Pensionskassen und weiteren Institutionen getragen wird, setzt sich seit ihren Anfängen 1997 (der operativ tätige Arm Ethos Service wurde im Jahr 2000 gegründet) dafür ein.

Folgerichtig unterstützt Ethos heute auch die vorgesehene Verschärfung des Obligationenrechts. Diese weitet den Kreis der Unternehmen aus, die einen Nachhaltigkeitsbericht erstellen müssen, sieht die Orientierung an einem Standard vor und schreibt eine Prüfung durch eine externe Revisionsstelle vor. Und schliesslich, so wünscht sich Ethos, sollte auch klargestellt werden, dass die Abstimmung nicht konsultativ sondern verbindlich ist.

Zahlreiche Anti-ESG-Aktionärsanträge

Im Zusammenhang mit dem Klimathema interessant sind die Entwicklungen auf der internationalen Ebene. Ethos gibt auch für ausländische Unternehmen Stimmrechtsempfehlungen ab, und hier kam es 2024 zu 26 Abstimmungen über spezifische Klimapläne bzw. -strategien (Say on climate). Ethos nahm zu 16 davon Stellung (einziger Schweizer darunter war Holcim) und empfahl 9 zur Annahme.

Auch die Aktionäre können ESG-Anträge stellen. Ethos hat sämtliche weltweit gestellten 181 «klimafreundlichen» Anträge zur Annahme empfohlen. Dass das Thema ESG und Nachhaltigkeit hoch umstritten ist, zeigt aber der Umstand, dass Aktionäre 46 sogenannte Anti-ESG-Anträge gestellt haben, mit denen Unternehmen dazu gebracht werden sollen, keine verbindlichen Nachhaltigkeitsziele zu verfolgen. Für Ethos war die Entscheidungsfindung wohl rasch gemacht: Sie lehnte alle Anträge aus diesem Lager ab.