Schweizer Banken haben in US-Steuerstreit Milliarden gezahlt, um straffrei zu bleiben. Nun fordern Juristen just solche Einigungsverfahren in der Schweiz, um mehr im Kampf gegen Korruption zu tun. Das soll die Banken diesmal vor Schaden bewahren.
«Ein starkes, umfassendes Abwehrdispositiv im Bereich der Geldwäscherei und Finanzkriminalität ist für einen stabilen Finanzplatz zentral»: Diese Aussage stammt nicht etwa von einem Staatsanwalt, sondern von der hiesigen Banken-Lobby. Mit diesen Worten stellte sich die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg) nömlich jüngst hinter die Botschaft des Bundesrats zur Bekämpfung der Geldwäscherei.
Der Dachverband der Banken begrüsste dabei nicht zuletzt den Ansatz, das Schweizer Dispositiv «in Einklang mit den internationalen Vorgaben zu bringen».
Weg der Wiedergutmachung
Dies ist derzeit nur begrenzt der Fall – was der Schweiz zunehmend Kritik von ausländischen Staaten, multinationalen Organisationen und NGO einträgt. Diese Stellen betrachten die Vorkehrungen der Schweiz gegen Korruption und Geldwäscherei mitunter als lückenhaft; sie konstatieren zu wenig weit reichende Meldepflichten, zu geringe Bussen, aber auch das Fehlen von Schutzmassnahmen für Whistleblower und Kronzeugen sowie von aussergerichtlichen Einigungen für Unternehmen.
Letztere zählen dabei zur so genannten Wiedergutmachungs-Justiz oder «Non-trial resolution» von strafbaren Handlungen. Strafbefreiung durch Wiedergutmachung gehört seit vielen Jahren fix zum Instrumentarium der Korruptionsbekämpfung, wie sie von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit OECD empfohlen wird.
Saftige Busse
Bei Schweizer Banken sattsam bekannt sind dabei amerikanischen «Deferred Prosecution Agreements» (DPA): Mit solchen Abkommen konnten hiesige Institute im Steuerstreit mit den USA einer Verurteilung entgehen. Erst vergangenen Dezember einigte sich die Genfer Privatbank Pictet auf diese Weise mit dem gefürchteten US-Justizministerium. Ebenfalls zahlte das Institut eine saftige Busse.
Ein DPA nach amerikanischen Muster sieht vor, dass die Anklage gegen ein Unternehmen unter der Bedingung aufgeschoben wird, dass dieses mit den Behörden kooperiert und mit der Staatsanwaltschaft eine schriftliche Vereinbarung abschliesst. Die Einigung umfasst in der Regel den Sachverhalt der Anklage, die Busse oder einzuziehenden Vermögenswerte sowie die Entschädigung der Privatklägerschaft.
Ebenfalls festgelegt wird die Beseitigung der Organisationsmängel, kontrolliert durch einen eingesetzten Monitor.
(Bild: Lalive)
Stigma beseitigen
Der Vorteil aus Unternehmenssicht: Nach dem Ende einer Probezeit wird das Strafverfahren ganz eingestellt, ohne dass es zu einer strafrechtlichen Verurteilung kommt. Damit entfallen auch das Stigma einer Strafverfolgung und negative Auswirkungen auf das Geschäft, etwa Rufschaden, Ausschluss von Ausschreibungsverfahren oder Lizenzverlust.
Wie sich nun zeigt, rückt hierzulande nun auch die Wiedergutmachung-Justiz wieder in den Fokus. So forderte Bundesanwalt Stefan Blättler unlängst eine Schweizer Kronzeugenregelung im Kampf gegen die organisierte Kriminalität.
Fälle rasch aufarbeiten
Juristen wie Matthias Gstoehl (Bild oben), Partner bei der Wirtschaftskanzlei Lalive, machen sich derweil für einen erneuten Anlauf für ein DPA-Verfahren in der Schweizer Strafprozessordnung stark. Gstoehl berät Unternehmen im Bereich «White collar crime». Im Anti-Korruptions-Komitee der Anwältevereinigung International Bar Association IBA begleitet er zudem ein Projekt, dass sich für den breiteren Einsatz von Non-trial resolution einsetzt, im Einklang mit den einschlägigen Empfehlungen der OECD.
Für Gstoehl liegen die Vorteile eines DPA für die Schweiz auf der Hand. «Unternehmen erhalten die Möglichkeit, durch Bezahlung einer Busse einen Strich unter kriminelles Verhalten zu ziehen, danach ihre internen Überwachungsprozesse zu verbessern und ihren Geschäften nachzugehen – ohne die Wettbewerbsnachteile, die eine Verurteilung mit sich bringt», sagt der erfahrene Anwalt zu
finews.ch.
Die Unternehmen erhielten auf diese Weise Anreize, Korruptionsfälle zu melden und rasch aufzuarbeiten, was die Rechtsstaatlichkeit grundsätzlich stütze. Ebenfalls dürfen Privatkläger und Opfer von kriminellen Praktiken relativ rasch auf Entschädigung hoffen.
Erster Anlauf 2019 gescheitert
Dennoch ist ein erster Anlauf zu einem DPA-ähnlichen Instrument, der so genannten aufgeschobenen Anklageerhebung für Unternehmen (AAU), im Jahr 2019 vom Bundesrat abgelehnt worden. Auch der Wirtschafts-Dachverband Economiesuisse äusserte sich kritisch gegenüber einer Aufnahme der AAU in die Strafprozessordnung, erinnert sich Gstoehl.
Mittlerweile hätten aber Beispiele gezeigt, was der Schweizer Rechtsordnung damit fehle. So konnte sich der Zuger Rohstoffriese Glencore nach Bestechungsvorwürfen rund um den Bergbau in Afrika mit Behörden aus den USA, Brasilien und Grossbritannien bereits einigen. Dies, während in der Schweiz und den Niederlanden, deren Rechtsordnungen die Möglichkeit aussergerichtlicher Einigungen mit den Strafverfolgungsbehörden nicht vorsehen, die Verfahren weiterhin hängig sind.
Verschwiedene Geschwindigkeiten bei Glencore
Mittlerweile hätten aber Beispiele gezeigt, was der Schweizer Rechtsprechung damit fehle. So konnte sich der Zuger Rohstoffriese Glencore nach Bestechungsvorwürfen rund um den Bergbau in Afrika mit Behörden aus den USA, Brasilien und Grossbritannien bereits einigen. Dies, während in der Schweiz und den Niederlanden, welche aussergerichtliche Einigungen auf Staatsebene nicht anwenden, die Verfahren weiterhin hängig sind.
Sich lange hinziehende Verfahren bei drohender Verurteilung könnten für die Schweiz zu einem Standortnachteil werden, warnt Gstoehl. «Zahlreiche Länder setzen DPA sehr erfolgreich ein. Die OECD hat klare Empfehlungen abgegeben und verlangt, dass diese in einem rechtstaatlichen Rahmen erfolgen – es gibt daher keinen Grund, warum die Schweiz dieses Instrument nicht einführen sollte», findet der Jurist. Ohne dieses Instrument würden Unternehmen, die ihre Vergangenheit aufarbeiten wollten, international benachteiligt.
Argwöhnische Amerikaner
Die Botschaft der Bundesrats zur Geldwäschereibekämpfung ist nun ein Indiz, dass die Gelegenheit zum Ausbau der Korruptionsabwehr günstig sein könnte. Denn den Druck aus dem Ausland droht sprunghaft anzusteigen. So stehen hiesige Akteure etwa in den USA schon länger unter Verdacht, die aktuellen Sanktionen gegenüber Russland zu unterlaufen.
Endeutige Warnungen kamen diesbezüglich schon vom US-Boschafter in der Schweiz. Die international exponierten Schweizer Banken haben den Wink verstanden und drängen deshalb darauf, die Lücken im Geldwäschereiabwehr-Dispositiv zu schliessen.
Nochmals verwundbarer
Ab Mitte 2024 dürfte zudem die Verwundbarkeit gegenüber den Klagen von NGO steigen. Erstmals müssen alle Schweizer Firmen ab einer bestimmten Grösse bis im Juni eine «nicht-finanzielle Berichterstattung» abliefern. Dazu gehören sämtliche Aspekte der guten Unternehmensführung, wobei die Unternehmen gehalten sind, auch Korruptionsfälle zu melden.
Wer dies unterlässt, macht sich strafbar: In der Schweiz können fehlerhafte Angaben zur Transparenz neu zu einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Verwaltungsräte führen. Erfahrungen aus dem Ausland zeigen, dass Aktivisten dieses Einfallstor bereits rege nutzen, um Unternehmen zu Änderungen von Geschäftspraktiken zu zwingen.
Auch vor diesem Hintergrund scheint der Ansatz, mit ausländischen Verfahren zur Abwehr von Korruption gleichzuziehen, nicht so weit hergeholt.