Die Krypto-Szene macht mit Skandalen und Klagen von sich reden. Doch hinter den Kulissen gibt es auch in der Schweiz emsige Bemühungen, Token und Coins auf industrieller Basis zu vertreiben. Treiber der Bewegung sind nicht zuletzt mächtige, aber verschwiegene Akteure, wie eine finews.ch exklusiv vorliegende Umfrage zeigt.
«Wir mögen den Winter», sagten Ophelia Snyder und Hany Rashwan zu finews.ch. Die beiden Gründer des Schweizer Krypto-«Unicorn» 21Shares erklärten, in einem Bärenmarkt falle es leichter, auf neue Ideen zu fokussieren, weil es nicht so viele Ablenkungen gebe – und auch weniger «Touristen».
Die Aussagen stammen vom vergangenen September, also noch vor der FTX-Pleite und vor den Klagen der amerikanischen Börsenaufsicht SEC gegen die beiden führenden Handelsplattformen Binance und Coinbase. Seither, könnte man meinen, ist der «Krypto-Winter» noch kälter geworden.
Stelldichein an Point Zero Forum
Doch wie sich zeigt, sind die Vorbereitungen umso emsiger in Gange, um vom nächsten Aufschwung zu profitieren. Und das längst nicht nur bei 21 Shares, sondern auf breiter, ja industrieller Basis. Das ergibt sich nicht allein aus den Berichten von Krypto-Aficionados, wie sie derzeit am vom Staatsekretariat für Internationale Finanzfragen (SIF) mit organisierten Branchentreffen Point Zero Forum in Zürich hören sind. Sondern auch aus den Untersuchungen grosser, etablierter Kräfte am Schweizer Finanzmarkt.
So publizierte der Finanzinfrastruktur-Konzern SIX, der selber die Digitalbörse SIX Digital Exchange betreibt, kürzlich eine Umfrage unter 300 Investmentprofis weltweit. Eine Erkenntnis: 69 Prozent der Umfrageteilnehmenden beabsichtigen, in den nächsten zwölf Monaten digitale Token in ihren Portefeuilles halten.
Strategy&, die Strategieberatung der Big-Four-Beratungsfirma Pricewaterhouse Coopers (PWC), hat ihrerseits 35 hiesige Banken, Vermögensverwalter, Family Offices und Pensionskassen zu ihren Plänen im Kryptobereich befragt. Die Erhebung liegt finews.ch exklusiv vor und lässt das den breiten Zuspruch erahnen, den digitale Anlagen inzwischen erfahren.
Überall auf der Agenda
Laut der Umfrage sind mehr als 70 Prozent der befragten Banken der Meinung, dass sich Token und Coins in den nächsten zwei bis drei Jahren in ein für sei gewinnbringendes Angebot verwandeln lassen. Gar 94 Prozent der Geldhäuser haben den Bereich auf ihre strategischen Agenda gesetzt.
Ein Wichtiger Treiber der Nachfrage ist sinnigerweise eine Kundengruppe, die nicht gerne Aufhebens von sich macht: Family Offices. Die verschwiegenen Vermögensverwalter reicher Familien setzen heute schon viel stärker auf Krypto als andere Akteure – hierzulande sind bereits bis zu 30 Prozent im Blockchain- oder Krypto-Segment investiert. Und in drei bis vier Jahren könnten des der PWC-Umfrage zufolge bereits bis zu 80 Prozent sein (siehe Grafik unten).
Unzufrieden mit der Hausbank
Auf die Beweggründe hinter dieser Absicht geht die Studie nicht ein; zu vermuten ist aber etwa, dass Family Offices sich mit einer jüngeren Erbengeneration auseinandersetzen müssen. Und diese gilt als besonders «Krypto-affin». Wenn schwerreiche Erben nach Angeboten rufen, können es sich auch die Banken nicht leisten, sehr lange abseits zu stehen. Dies umso mehr, als sich bereits Unzufriedenheit breit macht.
Laut der Umfrage sind nur drei von zehn Kunden zufrieden mit dem Kryptoangebot ihrer Hausbank. Noch immer bieten diese zumeist nicht viel mehr als Handel und Verwahrung von digitalen «Assets» an. Die Berater finden aber, es bräuchte auch eigene Fonds, Vermögensverwaltungs-Mandate und die Gelegenheit zu exklusiven Deals, um den Wünschen der Kundschaft zu begegnen.
Entgegen der Ideologie
Anders als in der Pionierphase müssen die Geldhäuser dabei längst nicht mehr alles selber bauen. Mit den beiden Schweizer Kryptobanken Seba und Sygnum etwa stehen zwei voll regulierte Zulieferer bereit; Bitcoin Suisse als Krypto-Broker der ersten Stunden endteckt nun ebenfalls die institutionelle Klientel. Derweil hat Crypto Finance, eine Schweizer Tochter der Deutschen Börse, die letzten Monate darauf verwendet, eine Plattform für den seriellen Bau von Krypto-Finanzprodukten zu konstruieren, wie auch finews.ch berichtete. Ebenfalls auf Business von Drittanbietern hoffen etwa die Online-Bank Swissquote oder die Transaktionsbank Incore.
Dass nun ausgerechnet etablierte Finanzinstitute die Nutzniesser des Trends hin zu Krypto werden sollen, ist nur schwer mit der Ideologie der Gründerbewegung zu vereinbaren. Dieser schwebte einst vor, ein Finanzsystem ohne die angestammte Industrie und ohne Intermediäre zu schaffen. Doch die jüngsten Skandale haben den Wert von regulierten Angeboten deutlich aufgezeigt – FTX bediente Kunden aus aller Welt von den Bahamas aus. Bei Binance ist gar unklar, wo das Hauptquartier der weltgrössten Kryptobörse überhaupt sein soll.
Schweizer halten Trümpfe in der Hand
Das sind just Punkte, die nun auch in den Klagen amerikanischer Behörden gegen führende Akteure des Szene auftauchen. Nicht wenige Beobachter sehen unter dem «Backlash» der Aufsicht in den USA auch die Absicht, den aufstrebenden Markt zu institutionalisieren und die Akteure der ersten Stunde entweder zu bändigen oder stillzulegen.
Während dieses Tauziehen in Amerika erst begonnen hat, kann die Schweiz bereits eine fortschrittliche Regulierung für Blockchain-Angebote sowie voll der Aufsicht unterstellte Akteure vorweisen. So erwarten zwei von drei der von der Beratungsfirma PWC befragten Banken, dass der Schweizer Finanzplatz als Gewinner aus dem jüngsten «Shakeup» der Kryptomärkte hervorgehen wird. Allerdings müssen dazu die Trümpfe geschickt ausgespielt werden.