Für die meisten Schweizer Privatbanken war 2021 ein Jahr der Rekorde. Doch von nun an bröckelt die Rolle der Schweiz als führender Offshore-Finanzplatz dramatisch, wie ein viel beachteter Report zum Schluss kommt.
Es sind derzeit nicht nur politische Karten, die neu gezeichnet werden – auch die Landschaft der Offshore-Finanzplätze steht vor einer grundlegenden Veränderung. Denn angesichts von Inflation, Zinswende und geopolitischer Unsicherheiten geraten die Vermögen des Geldadels weltweit in Bewegung – und schwappen über die jeweiligen Landesgrenzen hinweg.
So sieht die diesjährige Ausgabe der Reichen-Studie «Global Wealth 2022» der Beratungsfirma Boston Consulting Group (BCG) die grenzüberschreitenden Vermögen bis 2026 um jährlich rund 5 Prozent wachsen; doch nicht alle Destinantion profitieren gleichermassen. Das gilt insbesondere für die Schweiz, mit 2’500 Milliarden Dollar an ausländischen Vermögen der traditionell grösste Offshore-Finanzplatz der Welt.
Sturz vom Podest
Dies allerdings, und hier lässt der Report aufhorchen, wohl nicht mehr für lange. Bereits nächstes Jahr könnte Hongkong die Schweiz als grösstes Buchungszentrum für grenzüberschreitende Gelder ablösen, so die Studie; und der Stadtstaat Singapur ist offenbar drauf und dran, den Schweizer Bankern auch den zweiten Platz streitig zu machen (siehe nachstehende Grafik).
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Das ist noch nicht alles. Trotz Brexit steht der britische Finanzplatz hoch in der Gunst des Jetset. Superreiche werden künftig ihre Millionen deshalb lieber in London als in Genf und Zürich buchen, erklären die BCG-Beraterinnen und -Berater. In der Folge fällt die Schweiz mit inländischen und ausländischen Vermögen von zusammengerechnet 4’100 Milliarden Dollar vom Podest der insgesamt grössten Wealth-Standorte der Welt.
Fundierte Schätzungen
Künftig belegt der hiesige Finanzplatz nach den USA, Hongkong und eben Grossbritannien den vierten Platz im Ranking des Reports.
Das sind Schätzungen. Dies gilt es zu betonen. Doch wenn die BCG-Experten um Anna Zakrzewski ihren alljährlichen Ausblick in die Welt der Reichen unternehmen, dann hört das Swiss Banking in der Regel ganz genau hin.
Denn die Projektionen der renommierten Beratungsfirma gelten am Finanzplatz als fundiert. Immer wieder finden sie sich in Strategien oder Standort-Papieren wieder – dem Vernehmen nach sollen auch die Schätzungen der Schweizerischen Bankiervereinigung zu den russischen Vermögen auf hiesigen Bankkonti auf BCG-Material beruhen.
Aktienmärkte als Treiber
Sinnigerweise halten die Autoren des Reports den Reichtum selbst für höchst krisenresistent. Inmitten der Corona-Jahre 2020 und 2021 seien die Finanzvermögen global um mehr als 10 Prozent gestiegen, was einem Zuwachs von 26’000 Milliarden Dollar entspreche, heisst es in der neusten Studie. Das sei das höchste Wachstum in 20 Jahren, postuliert der Report. Zusammen mit Realwerten wie Schmuck oder Kunst verortet BCG den weltweiten Reichtum auf 530’000 Milliarden Dollar.
Der rasante Anstieg der Vermögen ist natürlich auch der guten Börsenlage zu verdanken gewesen – ein Phänomen, von dem die Schweizer Privatbanken während der Corona-Krise kräftig profitiert haben. Trotz Zinswende, Inflation und der Tendenz zur Deglobalisierung kommt den Reichen dieser Welt dieser Treiber auch weiterhin nicht so schnell abhanden.
So erwarten die BCG-Berater eine rasche Erholung der Aktienmärkte mit einem jährlichen Anstieg der wichtigsten Indizes um durchschnittlich 7 Prozent. Noch mehr Performance liege drin, wenn Bargeld Richtung Börsen verschoben werde, um den tiefen Realzinsen auszuweichen.
Wo der Boom residiert
Allerdings wächst der Reichtum nicht überall gleich stark – und dort liegen auch die Gründe für den erwarteten Abstieg des Schweizer Offshore-Finanzplatzes.
Trotz des politischen Tauziehens zwischen den USA und China sieht BCG nach wie vor in der Region Asien-Pazifik mit jährlich 8,4 Prozent das grösste Vermögenswachstum. Davon würden vor allem Hongkong und Singapur profitieren: Letzterer Finanzplatz, weil er die Destination von Geldern ist, die aus dem zunehmend von China dominierten Hongkong abgezogen werden. Und Hongkong wiederum, weil die Vermögensverwalter dort aggressiv um das riesige Potenzial der Festland-chinesischen Vermögen werben.
Im Westen weniger Neugeld
Im Nahen Osten und Afrika sollen die Vermögen um 5,4 Prozent pro Jahr wachsen. Demgegenüber fällt das Wachstum in den USA mit 4,7 Prozent und in Europa mit nur 4 Prozent deutlich tiefer aus als in den vergangenen fünf Jahren. Insbesondere die Abschwächung in Ost- und Zentraleuropa dürfte der Schweizer Buchungs-Platz zu spüren bekommen, besagt der Report. Noch mehr: Aus der Schweiz könnten bis 2026 jährlich 6 Milliarden Dollar an Vermögen abfliessen.
Das Wachstumsproblem wäre damit nach kurzer Abwesenheit wieder ein grosses Thema im Swiss Private Banking – gemäss den Projektionen der Studie wären hierzulande noch jährlich 2,4 Prozent Vermögenswachstum möglich.
Klagen auf hohem Niveau
Doch angesichts der enormen Vermögensbasis des Offshore-Finanzplatzes würden auch mit dieser tieferen Wachstumsrate bis 2026 zusätzliche 320 Milliarden Dollar von hiesigen Privatbanken verwaltet. Das hiesse also: Klagen auf hohem Niveau. Nicht zu vergessen sind die laut Report 4’700 Milliarden Dollar, die es «Onshore» in der Schweiz auch noch zu betreuen gilt.