Der frühere Grossbanker und heutige Fintech-Unternehmer Adriano Lucatelli äusserte sich in der Vergangenheit sehr skeptisch zum Bitcoin. Inzwischen ist er anderer Meinung. Doch sein kritischer Geist dringt auch in diesem Interview durch.


Während des letzten Bitcoin-Booms im Jahr 2017 haben Sie gesagt, der Preis für Bitcoin werde gegen Null gehen, Bitcoin habe keinen Wert. Ist das immer noch Ihre Meinung?

Ja, ich bin immer noch der Meinung, dass Bitcoin keinen intrinsischen Wert hat. Doch die Frage müsste lauten: Hat der Bitcoin seine Rolle gefunden? Hier habe ich meine Meinung geändert. Es zeichnet sich ab, dass Bitcoin als Wertspeicher benutzt wird, im Prinzip digitales Gold ist. Also bin ich etwas weniger kritisch, was die Zukunft des Bitcoin angeht.

Und für die Zukunft von Kryptowährungen insgesamt?

Ich finde, es gibt zu viele Kryptowährungen, mehrere Tausend. Daran sieht man, was das für ein Hype war vor drei Jahren. Bitcoin konnte aber seine Qualität beweisen.

 

Warum haben Sie denn vor Bitcoin gewarnt?

Gegen Bitcoin per se hatte ich von Beginn weg nichts. Was mich störte, war der Hype, der angefacht worden ist, um die Spekulation zu verstärken und den Preis zu treiben. Mich störten die zahlreichen Initial Coin Offerings, die völlig unreguliert Investoren irgendwelche weltfremden Versprechen machten.

«Heisst das, dass ich Tesla oder Aktien schlecht finde?»

Und mich störte auch, dass sich einige Schweizer Politiker dermassen vor einen Karren spannen gelassen haben, von dem sie eigentlich kein Ahnung hatten.

Sie warnten kürzlich auch vor Tesla...

Ja. Aber heisst das, dass ich das Auto Tesla schlecht finde? Nein. Oder, dass ich Aktien schlecht finde? Nein, im Gegenteil. Ich habe vor der Bewertung der Tesla-Aktie gewarnt. So war es auch mit Bitcoin. Ich ging damals etwas hart ins Gericht, weil man beobachten konnte, wie die Leute den Kopf völlig verloren hatten. Ich hackte auf den Bitcoin ein, meinte aber die Investoren.

Die haben sich professionalisiert.

Es ist heute vielmehr Knowhow vorhanden und abrufbar. Man hat Zeitreihen über die Preisentwicklung. Man hat Broker wie Bitcoin Suisse, die sich um eine Banklizenz bewerben und sicherlich sehr strenge Auflagen erfüllen müssen. All das zeigt, dass Bitcoin auf dem Weg zum Mainstream ist und sich als digitales Gold etablieren könnte.

Gold hat einen industriellen Wert, Bitcoin ist rein virtuell.

Den industriellen Wert von Gold darf man angesichts der Rolle, die Gold als Investment einnimmt, nicht überwerten. Gold dient als Sicherung und Wertspeicher, wie heute auch Bitcoin.

Es gibt weiterhin Initiativen, Bitcoin auch als Zahlungsmittel zu etablieren.

Ich glaube nicht, dass Bitcoin als Zahlungsmittel geeignet ist. Das Bitcoin-Netzwerk ist zu schwerfällig und zu langsam. Um ein Zahlungsmittel zu etablieren, dass gesellschaftlich tief verankert wird, muss schon mehr kommen, als dass im Kanton Zug nun mit Bitcoin Steuern bezahlt werden können.

«Da könnte ich auch Glasmurmeln nehmen»

Da könnte ich auch Glasmurmeln nehmen. Irgendjemand würde sich finden, der mir einen fixen Preis in Franken für Glasmurmeln bezahlt. Ich habe jedenfalls nicht mitbekommen, dass der Kanton Zug nun seine Kantons-Angestellten in Bitcoin bezahlt. Das wäre mutig und der konsequente Weg, um Bitcoin als Umlaufwährung zu etablieren.

Niemand will Bitcoin ausgeben, alle «hodlen»...

Ja. Meine Vermutung ist: Auch wenn Bitcoin weit herum als Zahlungsmittel akzeptiert wäre, würde ihn trotzdem niemand dafür verwenden, da er eine deflationäre Funktion hat und limitiert ist. Das heisst, als Konsument oder Sparer würde ich den Bitcoin behalten und weiterhin die schwächere Währung Franken oder Dollar verwenden. Das wäre ein gefährliches Experiment und würde die Entwertung der Fiat-Währungen noch beschleunigen.