Bei der Notrettung der Credit Suisse haben sich Bund und Behörden in letzter Minute gegen eine Sanierung und für den Verkauf der Krisenbank entschieden. Künftig haben sie aber wohl keine Wahl mehr.
«Ehrlich gesagt, wir hofften, der heutige Tag würde niemals eintreffen»: Das sagte UBS-Präsident Colm Kelleher an jenem denkwürdigen Sonntagabend vom 19. März 2023 zu den in Bern versammelten Medienvertretern. Nur Stunden zuvor war der Verkauf der Credit Suisse (CS) an die grössere Schweizer Konkurrentin beschlossen worden.
Von nun an, betonte Kelleher, gebe es keine Alternativen mehr. «Wir werden diesen Deal erfolgreich abschliessen.»
Fertig zur Unterschrift auf dem Tisch
Doch noch Stunden zuvor waren durchaus Alternativen zu einem Verkauf der CS erwogen worden. Wie Kader der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) im vergangenen Dezember offenlegten, galt bis zuletzt neben dem Verkauf auch die Sanierung der CS gemäss «Too big to fail»-Regeln als praktikabel. Mehr noch: jene Variante lag am Sonntagmorgen fixfertig zur Unterschrift als «Plan B» auf dem Tisch.
Doch alle involvierten Behörden – auch jene im Ausland – wurden sich laut Finma einig, dass die Übernahme durch die UBS die weniger risikoreiche Option sei.
Überzeugte Stabilitätswächter
Die Stabilisierung der Bank mit Notfall-Liquidität und ihre schrittweise Restrukturierung unter neuem Management ist damit ein «What if»-Szenario geblieben. Dies, obwohl sie vom Bankengesetz eigentlich als primäre Lösung bei der Rettung einer Grossbank vorgesehen ist. Die obersten Wächter über das globale Finanzsystem, der Finanzstabilitätsrat (FSB), waren sich hinterher sogar sicher, dass dieses Vorgehen bei der CS funktioniert hätte.
Mit Blick auf den Umgang mit der neuen Megabank deutet nun vieles daraufhin, dass bei einer allfälligen Rettung der «neuen» UBS ausser jenem Plan B gar nichts anderes mehr infrage kommt.
So hat sich bereits bei der Rettung des CS hat gezeigt, dass der Staat nicht nochmals eine Schweizer Grossbank retten will. Nicht von ungefähr: Eine zeitweilige Übernahme durch den Bund (Temporary Public Ownership, TPO) würde das «Too big to fail»-Regelwerk, das die Schweiz als Reaktion auf die UBS-Rettung im Jahr 2008 entwickelt hat, völlig ad absurdum führen.
Im vorneherein umstritten
Vorgeschlagen wird vom Bundesrat stattdessen eine staatlich garantierte Notfall-Liquidität, der so genannte Public Liquidity Backstop (PLB). Diese kam bei der CS-Rettung bereits per Notrecht zum Einsatz. Mit Blick auf die Zukunft soll die Massnahme in ordentliches Recht überführt werden, was aber nicht zuletzt in Bankenkrisen zu Unstimmigkeiten geführt hat.
Ebenfalls entfällt die Übernahme durch eine andere Bank: In der Schweiz wird die UBS nach der Integration der CS das mit Abstand grösste Geldhaus sein, weit vor den anderen vier verbleibenden systemrelevanten Instituten Raiffeisen, Zürcher Kantonalbank und Postfinance. Ein Notverkauf an einen ausländischen Akteur, wie ihn UBS-Chef Sergio Ermotti schon skizziert hat, erscheint angesichts der regulatorischen und politischen Hürden derzeit als reine Fantasie.
Auch Anleihen und Aktien ausradiert
Bleibt die Sanierung. Diese wäre aber auch nicht schmerzlos, wie sich am Beispiel der CS aufzeigen lässt: Investoren hätten noch deutlich mehr bluten müssen als während des Verkaufs an die UBS, folgt man Informationen zum angedachten Ablauf. So wären nicht nur Pflichtwandelanleihen (AT-1-Bonds) im Umfang von rund 15 Milliarden Franken abgeschrieben worden, sondern auch vorrangige ungesicherte Anleihen im Gegenwert von rund 50 Milliarden Franken. Ebenfalls wäre das gesamte ausstehende Aktienkapital der Grossbank ausradiert worden.
Der Aufschrei an den Märkten wäre angesichts dieser Wertvernichtung noch viel grösser gewesen und hätten das Finanzsystem empfindlich treffen können: Wie erinnerlich weitete sich im vergangenen März auch in den USA eine Bankenkrise aus. Von Bund, Finma und Nationalbank wurde jene Ansteckungsgefahr später als Argument ins Feld geführt, um den Verkaufslösung mit der UBS zu rechtfertigen.
Was am Montag hätte geschehen können
Womit die weniger greifbaren Risiken des Plan B in den Fokus rücken. Die CS ist einer Vertrauenskrise zum Opfer gefallen, und es wir für immer ungewiss bleiben, ob das Eingreifen der Behörden gemäss Sanierungsplan die nötige Zuversicht bei Gegenparteien, Kunden und Investoren zurückgebracht hätte. Diese Fragen stellen sich: Hätten die Märkte dem von den Schweiz eingeschlagenen Weg vertraut? Oder hätten die Finanzakteure die frisch gerettete CS erneut «angegriffen»?
Fakt ist, dass der UBS, abgesichert durch ein dickes Polster von milliardenschwerer Notfall-Liquidität und Staatsgarantien, zugetraut wurde, die kleinere Konkurrentin zu stabilisieren. Dies, obwohl viele Fragen in der Schwebe lagen und die Übernahme erst im vergangenen Juni rechtskräftig geworden ist. Dass die Verkaufslösung – einmal angesehen von den Verlusten für CS-Aktionäre und -Gläubiger – funktioniert hat, wird heute von manchen Beobachtern als Argument gegen eine Sanierung im Sinne von «Too big to fail» ausgelegt.
Dennoch verbleibt bei heutigem Erkenntnisstand nur diese Option für die nächste Grossbanken-Rettung. Der Ball liegt hier mittlerweile beim Bundesrat.
Das oberste Ziel
Dieser will dem Parlament im kommenden Frühling eine Evaluation zur sogenannten «Too big to fail»-Regulierung für systemrelevante Banken vorlegen. Dabei wird vermutlich die Frage nach zusätzlichen Eigenmitteln für die UBS zentral. Solche könnten als nötig erachtete werden, um die Sanierung der nun viel grösseren Grossbank abzustützen. In diese Richtung weisen bereits Kommentar von Finanzministerin Karin Keller-Sutter: Sie versprach, dass in der bevorstehenden Evaluation «all die unangenehmen Fragen wirklich diskutiert» werden.
Das oberste Ziel, betonte die Bundesrätin, sei dabei der Schutz des Staates und der Steuerzahlenden.
Für Kenner der Materie wie Reto Schiltknecht, der einst selber für die Finma die Umsetzung der «Too big to fail»-Regeln bei den Grossbanken überwachte, zeichnet sich für das Land eine Gratwanderung ab. Einerseits würde die Schweiz bei der Notfall-Liquidität für die UBS an ihre Grenzen stossen. Für die neue Megabank müsste der staatlich garantierte PLB rund 300 Milliarden Franken betragen, sagte Schiltknecht jüngst zur «NZZ» (Artikel bezahlpflichtig).
Ross und Reiter benennen
Und wenn man hohe Eigenkapital-Quoten wolle, müsse man auch Ross und Reiter benennen, so der Ex-Finanzaufseher weiter. Dann müsse man sagen: Die Schweiz will sich als kleines Land eine Bank wie die UBS nicht mehr leisten. Denn im heutigen Marktumfeld könne die UBS mit derart scharfen Kapitalvorschriften nicht mehr agieren, warnt Schiltknecht.
Um die Vorbereitungen einer Sanierungslösung für den Bankenkoloss muss also noch gerungen werden. Fest steht derzeit nur dies: Eine Alternative ist derzeit nicht in Sicht.