Finanzanalysten haben erstmals 2021 darauf hingewiesen, ein Bericht der Finma macht es nun deutlich: Die Kapitalausstattung im Stammhaus der Credit Suisse war über Jahre hinweg tiefer als es die Werte auf Gruppenebene vermuten liessen. Das rächte sich in der Krise der Grossbank.
Der 19. März 2023 wird unter Bankenaufsehern noch über Jahre hinweg zu reden geben. Nicht nur, weil damals mit der Credit Suisse (CS) und der UBS erstmals zwei global systemrelevante Banken notfallmässig zusammengeschlossen wurden. Sondern auch deshalb, weil an jenem Sonntag die Sanierung der CS gemäss geltenden «Too-big-to-fail»-Verordnung fixfertig zur Unterschrift auf dem Tisch lag – und dann doch zugunsten des Verkaufs der Grossbank verworfen wurden.
Plan B am 19. März
Wie Alain Girard, Leiter Geschäftsbereich Recovery und Resolution bei der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma), am gestrigen Dienstag vor Medienvertretern in Bern ausführte, seien beide Optionen als praktikabel erachtet worden. Doch alle Behörden – auch jene im Ausland – seien sich einig gewesen, dass die Übernahme durch die UBS die weniger risikoreiche Option sei. «Die Sanierung war unser Plan B», erklärte Girard rückblickend.
Das stärkt auf den ersten Blick die Position derer, die der Meinung sind, dass die «Too big to fail»-Vorschriften grundsätzlich tauglich sind, um bei einer Grossbanken-Pleiten das Finanzsystem vor einem Flächenbrand zu schützen und eine Staatsrettung zu vermeiden.
Über Jahre hinweg weniger Eigenmittel
Zu diesem Schluss gelangte im vergangenen September – mit einigen Vorbehalten – auch die vom Bundesrat eingesetzte Expertengruppe unter dem Ökonomen Yvan Lengwiler. Der globale Finanzstabilitätsrat (FSB) befand dann im Oktober ohne Wenn und Aber: Es wäre möglich gewesen, die CS in einem ordentlichen Verfahren gemäss «Too big to fail» zu liquidieren.
Der Bericht zur CS-Krise, den Girard und die Geschäftsleitung der Finma am Dienstag präsentierten, stellt nun allerdings eine weitere, eklatante Schwäche des Grossbanken-Regelwerks fest. Die Vorgaben der «Too big to fail»-Regulierung liessen es zu, dass die Stammbank, die Credit Suisse AG, über Jahre hinweg deutlich tiefere Eigenmittel-Quoten fahren durfte als die konsolidierte Gruppe – die Credit Suisse Group.
Weniger Erträge – mehr Eigenkapital
In der Folge wies die CS-Gruppe Ende 2022 ein Quote des harten Eigenkapitals (CET1) von 14,1 Prozent Prozent aus. Das war mehr als ausreichend gemäss den «Too big to fail»-Anforderungen. Das Stammhaus (Parent Bank) hingegen wies zu dieser Zeit eine Kernkapital-Quote von 10 Prozent aus. Das waren zwar ebenfalls mehr als die minimal erforderlichen 9,4 Prozent. Aber, wie nun deutlich wird, für das gesamte Unternehmen längst hoch problematisch.
Laut dem Finma-Bericht schränkte die schwächere Eigenmittel-Ausstattung den Spielraum des CS-Management zum Umbau der Bank massgeblich ein. Durch die Restrukturierungen, zumal im Ausland, fielen dem Stammhaus Erträge von Tochtereinheiten weg. Dies, während die CS AG gleichzeitig vom Regulator gehalten war, das Eigenkapital schrittweise aufzubauen.
Das konnte nicht gut gehen. Der Finma-Report hält dazu lapidar fest: «Die Parent Bank konnte die für den verfügten Kapitalaufbau notwendigen Erträge ab 2021 nicht mehr erwirtschaften.»
Erleichterungen werden zum Bumerang
Damit rächten sich Erleichterungen, welche die Finma dem CS-Stammhaus seit der Einführung der «Too big to fail»-Regulierung im Jahr 2013 hatte gewähren müssen. Die Aufsicht hatte damals vor den Risiken dieses Vorgehens gewarnt, aber wurde offenbar vom Eidgenössischen Finanzdepartement (EFD) nicht gehört.
Im Jahr 2017 wurden die Vorschriften überarbeitet; die CS musste von diesem Zeitpunkt den Kapitalaufbau im Stammhaus beschleunigen sowie dort die Transparenz gegenüber Investoren erhöhen. «Für Analystinnen und Analysten war erkennbar, dass die Dividendenkapazität der CS aufgrund der Kapitalsituation der Parent Bank eingeschränkt war», so der Bericht.
Das System des David Mathers
Wie die «NZZ» (Artikel bezahlpflichtig) unlängst recherchierte, hatte sich die CS gegen die neuen Vorschriften gewehrt und offenbar verbissen darum gerungen, das teure Eigenkapital überall möglichst tief zu halten. Als Verfechter dieser Taktik machte die Zeitung David Mathers aus, der als Finanzchef die Geschicke der Grossbank zwischen 2010 und 2022 wesentlich prägte.
Mit dem neuen Kapital-Regime lief aber auch dem gewieften Briten die Zeit davon: Im Sommer 2021 erkannten Analysten des Anbieters Autonomous Research die relative Schwäche des Stammhauses und die damit verbundenen Implikationen.
Ab Sommer 2022 rief die Finma dann die «Phase Rot» bei der CS aus, die höchste Alarmstufe bei der Beaufsichtigung einer Bank. In der Krise, hält die Behörde nun im Bericht fest, wirkte die Eigenmittel-Regulierung prozyklisch, da Verluste und Geschäftsreduktionen die Kapitalausstattung weiter schmälerten. «Dadurch wurden die strategischen Optionen der CS in der Restrukturierung zusätzlich eingeschränkt», so der Report.
Finma-Geschäftsleitungsmitglied Girard sagte es am Dienstag so: «Das CS-Stammhaus war das schwächste Glied in der Kette.»
Heisses Eisen liegt beim Bundesrat
Entsprechend drängt die Aufsicht nun darauf, «Too big to fail» zumindest um eine stärkere Kapitalisierung der Parent Bank zu ergänzen. Dies, so die Aufsicht, würde die Widerstandsfähigkeit der gesamten Gruppe erhöhen und einen besseren Kapitalschutz bei Vorfällen in den Tochtergesellschaften bieten. Indirekt stiegen damit auch die Kapitalanforderungen auf konsolidierter Gruppenstufe.
Das führt direkt zum heissesten Eisen in der Regulierung der neuen Megabank UBS-CS: Die Frage, ob deren Eigenmittel massiv erhöht werden müssten.
Die Finma-Geschäftsleitung verwies dabei auf eine Evaluation des Bundesrats zur «Too big to fail»-Regulierung, die im kommenden April vorliegen soll. Der Ball liegt also beim Bund – jener Stelle, die einst der CS die verhängnisvollen Erleichterungen gewährte.