Im grossen Gespräch mit finews.ch ordnet der frühere Spitzendiplomat die neuen Vorwürfe rund um angebliche Nazi-Konten bei der Credit Suisse ein. Er erklärt, welche Fehler die aktuellen und früheren Entscheidungsträger bei der Bank begangen haben. Und er sagt, warum sich die Trump-Administration für die UBS als Glücksfall erweisen könnte.
Ein Gespenst aus der Vergangenheit geht um an der Bahnhofstrasse: eine Schweizer Grossbank, die Konten für Nazi-Verbrecher während und nach dem Zweiten Weltkrieg unterhalten haben soll; jüdische Organisationen, die auf Aufarbeitung oder Wiedergutmachung pochen; und engagierte US-Senatoren, die das Thema zum Politikum erheben.
Die Grundzutaten dieser Gemengelage erinnern an die späten 1990er-Jahre, als eine amerikanische Sammelklage von NS-Opfern wegen nachrichtenloser Vermögen bei Schweizer Banken den hiesigen Finanzplatz erschütterte. Daraus resultierte im Jahr 1998 ein Vergleich zwischen den Banken und den Klägern.
Bislang unbekannte Nazi-Täter als Kunden?
Ein Vierteljahrhundert nach diesem Vergleich sieht sich die UBS abermals den alten Vorwürfen ausgesetzt, wie finews.ch kürzlich berichtete. Im Kern geht es darum, dass die Credit Suisse im zeitlichen Umfeld des Zweiten Weltkriegs bislang unbekannte Kundenbeziehungen zu Tätern des NS-Regimes unterhalten haben soll, von denen sich viele in den 1940er-Jahren nach Argentinien abgesetzt haben.
Für dieses Thema gibt es wohl keinen kundigeren Spezialisten als den ehemaligen Botschafter Thomas Borer.
Neues Buch
Als junger Diplomat wurde er 1996 vom Bundesrat zum Stabschef der Task Force zum Zweiten Weltkrieg berufen, deren Auftrag die Verteidigung der Interessen der Schweiz in der Auseinandersetzung mit den jüdischen Organisationen, den USA und Israel war.
finews.ch erreicht Altbotschafter Borer in Asien, wo er gerade ein Buch über die Geschichte der Task Force fertig schreibt. Es soll in wenigen Monaten erscheinen.
Herr Borer, soeben hat der Haushalts-Ausschuss des US-Senats unter Mitwirkung beider Parteien einen Zwischenbericht zu angeblichen Nazi-Konten bei der ehemaligen Credit Suisse veröffentlicht…
… für die Credit Suisse ist das ein kolossales Eigentor. Ich rege mich darüber furchtbar auf.
Warum ist es ein Eigentor?
Sämtliche Fragen und mögliche Forderungen im Zusammenhang mit der Geschichte der nachrichtenlosen Vermögen oder von Nazi-Konten – vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg – wurden in einem umfassenden Vergleich am 12. August 1998 zwischen den Schweizer Banken einerseits und einer Vielzahl von Klägern einer Sammelklage andererseits ein für allemal beigelegt. Alle Ansprüche gegenüber der Schweiz, auch bezüglich möglicher Nazi-Konten, wurden per Saldo aller Ansprüche mit einer Zahlung von 1,25 Milliarden Dollar erledigt. Das waren damals 1,8 Milliarden Franken.
«Ich habe gelernt, dass Schweizer Bankiers keine Kämpfer sind, sondern Händler, die solche Probleme gerne mit dem Scheckbuch lösen.»
Inwiefern ist dieser Vergleich für den neuen Fall wichtig?
Er schützt jedes schweizerische Individuum oder Unternehmen vor rechtlich durchsetzbaren Ansprüchen im Zusammenhang mit der NS-Zeit. Das gilt auch für die CS oder ihre Rechtsnachfolgerin UBS, wie auch für jede andere Schweizer Bank.
Sie waren Ende der 1990er-Jahre Stabschef der vom Bundesrat eingesetzten Task Force, die sich um die Aufarbeitung des historischen Erbes des Finanzplatzes aus der NS-Zeit kümmerte.
Richtig. Auch die Frage der Nazi-Konten wurde intensiv und unter äusserst grossem personellem und finanziellem Aufwand zwischen 1996 und 1999 aufgearbeitet, einerseits vom sogenannten Volcker-Komitee und andererseits von der Bergier-Kommission. Man kam dabei zu der Erkenntnis, dass wahrscheinlich kaum Nazis über Konten in der Schweiz verfügten. Somit erachte ich es als höchst unwahrscheinlich, dass an diesen neuen Anschuldigungen wirklich sehr viel Substanz ist.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Fehler das frühere Management der Credit Suisse und das heutige Management der UBS im Umgang mit der Affäre aus Sicht von Thomas Borer begehen.
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