Während Grossbanken-Chefs forsch über eine Bankenkonsolidierung in Europa sprechen, könnte es für die Credit Suisse an der Zeit sein, alte Pläne aus der Schublade zu ziehen. Eine Verlockung liegt jenseits des Atlantiks.
Noch ist die «Merger Mania» im europäischen Bankensektor ein Planspiel von Strategen und Beratern. Doch auch aus den Chefetagen klingt es nun zunehmend offensiver. So bekundete Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing kürzlich in einem Interview die Absicht, «sein» Institut auch mit Zukäufen stärken zu wollen.
Und noch immer halten die Diskussionen über einen möglichen Zusammenschluss von UBS und Credit Suisse (CS) an. Dem Vernehmen nach geht die mögliche Schweizer Grossfusion auf ältere «Pitches» von Investmentbankern und Beratern zurück, die von den beiden Verwaltungsratspräsidenten Axel Weber und Urs Rohner im vergangenen Jahr erneut diskutiert worden sind.
Wachstumsmöglichkeiten hüben wie drüben
Wie auch immer: Manche Berater denken auch über transatlantische Grossübernahmen oder -fusionen nach. Einige europäische Banken könnten mit Zukäufen ihren Fussabdruck im grössten Bankenmarkt der Welt, den USA, markant vergrössern. Andersherum suchen US-Geldhäuser nach Wachstumsmöglichkeiten im internationalen Vermögensverwaltungsgeschäft.
Damit könnte ein Gedankenexperiment, mit dem sich Ex-CS-CEO Tidjane Thiam gemäss finews.ch-Informationen bereits eingehend befasst hatte, aktuell werden: Ein Schulterschluss der CS mit der US-Grossbank Wells Fargo.
Ein 40-Milliarden-Geschäft zu haben
Das Timing würde jetzt stimmen: Wells Fargo nimmt unter CEO Charlie Scharf strategische Veränderungen vor, nachdem die Grossbank die Skandale früherer Jahre mehrheitlich hinter sich lassen konnte. So will Scharf gemäss Nachrichtenagentur «Bloomberg» die Investmentbank massiv ausbauen.
Und im Wealth Management will sich das Institut gemäss «Citywire Americas» von seiner gesamten internationalen Kundschaft trennen, die zu 80 Prozent in Lateinamerika lebt.
Dabei handelt es sich um ein Geschäft mit 40 Milliarden Dollar an Kundenvermögen; vom Ausstieg wären mehr als 330 Berater zwischen New York und Los Angeles betroffen.
CS zu leichtgewichtig
Unter Thiam nahm die Strategie der CS zwar Formen an, und seine Restrukturierung gilt denn auch als sehr erfolgreich. Dennoch fehlt es dem Unternehmen an Masse und Gewicht: Im Investmentbanking hat sie gegenüber der US-Konkurrenz deutlich an Boden verloren. Im Wealth Management figuriert sie auch nicht unter den grössten Anbietern. Da könnte das internationale Wells-Fargo-Geschäft für die CS durchaus eine willkommene Stärkung sein.
Berater und Investmentbanker werden nicht müde zu betonen: Die beiden Häuser würden sich perfekt ergänzen; es gäbe praktisch keine Überlappung der Aktivitäten. Das internationale Wealth Management der CS wäre komplementär zum US-Brokerage von Wells Fargo mit Sitz in San Francisco. Handkehrum wäre die CS-Investmentbank mit ihrer starken Basis in New York der Baustein für Wells Fargo, um Ambitionen in den Kapitalmärkten zu realisieren.
Ergänzungen, kaum Überschneidungen
Die CS-Investmentbank ist dank ihrer First-Boston-Tochter in den USA traditionell stark: Auch im vergangenen Jahr erreichte sie im US-Markt gemessen an den Gebühreneinnahmen den sechsten Platz, wie das Researchhaus Refinitiv unlängst vorgerechnet hat. Wells Fargo kam auf den achten Platz. Die UBS hingegen schaffte es nicht in die Top Ten.
Ein Deal mit der CS wäre vor allem aus Sicht von Wells Fargo attraktiv: Die US-Bank könnte rund 400 Milliarden Dollar Vermögen addieren, die mehrheitlich von vermögenden bis sehr vermögenden Kunden stammen. Die Stärken von Wells Fargo liegen bislang im Heimmarkt, und zwar im Retail- und Kreditgeschäft sowie im Brokerage. Sie käme zudem zu Kapitalmarktaktivitäten und einem fokussierten Asset Management.
Stolperstein «Suisse»
Punkto finanzieller Stärke sind die Rollen klar verteilt. Mit 126 Milliarden Dollar an Marktkapitalisierung könnte Wells Fargo die gut 30 Milliarden schwere CS locker schlucken.
Allerdings dürfte der Stolperstein für eine Transaktion nicht in den Grössenverhältnissen liegen, sondern im «Suisse». Denn das Schweizer Geschäft der CS müsste ziemlich sicher abgespalten werden, um Regulatoren und Politiker zu beruhigen.
Umgekehrt spielt die Marke «Credit Suisse» wie auch die «Swissness» keine unwesentliche Rolle bei der internationalen Klientel der Superreichen – ein Deal mit Wells Fargo müsste diesem Faktor Rechnung tragen.
Verbindungen sind vorhanden
Die beiden Banken sind bereits gut miteinander bekannt, hatte doch Thiam das US-Private-Banking im Jahr 2016 an Wells Fargo verkauft, um die Restrukturierung zu vereinfachen. Bevor er allerdings die CS im vergangenen Jahr in die nächste Strategiephase führen konnte, musste Thiam wegen der «Spionage-Affäre» im Februar den Hut nehmen.
Sein Nachfolger Thomas Gottstein kündigte zwar an, das Wachstumstempo wieder zu erhöhen, ausserdem will die CS im laufenden Jahr eigene Aktien im Wert von bis zu 1,5 Milliarden Franken zurückkaufen.
Gottstein muss aber gleichzeitig die neuen Risiken aus der Corona-Pandemie meistern und sich mit Altlasten herumschlagen. Frischen Wind wird der neue Verwaltungsratspräsident António Horta-Osório in die CS bringen – und möglicherweise auch grössere Gedankenspiele realisieren wollen.