Bei Pictet entschieden sich die Partner vor drei Jahren für frischen Wind in ihrer noblen Privatbank. Mit Boris Collardi brach stattdessen ein Sturm über sie herein.

Als sich die sechs Partner der Genfer Privatbank Pictet 2017 dafür entschieden, mit Julius-Bär-Chef Boris Collardi den Star-Banker auf dem Schweizer Finanzplatz zu engagieren, war ihnen klar: Nach 212 Jahren seiner Existenz fernab einer neugierigen Öffentlichkeit würde das noble Haus fortan das Scheinwerferlicht auf sich ziehen. Collardi sollte frischen Wind ins Wealth Management bringen und aggressiveres Wachstum.

Kurz vor seinem Debut im Juni 2018 unterstrich Pictet seine Ambitionen, indem die Bank im prestigeträchtigen Leuenhof an der Bahnhofstrasse Büroräumlichkeiten für mehr als 300 Banker mietete – mehr als doppelt so viele, wie bis dahin in Zürich arbeiteten.

Dunkle Wolken über dem triumphalen Einzug

Die bekannte Architektin Tilla Theus wurde mit einer sanften Renovation der über 105 Jahre alten Räumlichkeiten beauftragt – und Collardi, der dieses Jahr 46 Jahre alt wird, kann demnächst sein Büro beziehen. Es ist das sehr geräumige und holzgetäferte frühere Zimmer, in dem der Verwaltungsrat der Bank Leu seine Sitzungen abhielt.

Ein triumphaler Einzug – genau gegenüber seiner früheren Arbeitgeberin Julius Bär. Doch dunkle Wolken liegen inzwischen über Pictets Neustart mit Collardi als Co-Leiter des Wealth Managements.

Stimmung ist gekippt

Collardis Vergangenheit beim Konkurrenten Julius Bär erweckt bei den sechs übrigen Pictet-Teilhabern wie auch bei dem nach wie vor einflussreichen Kreis an Ex-Partnern immer noch Aufmerksamkeit – doch die Stimmungslage ist eine ganz andere geworden.

Zum Kippen brachte die Stimmung ein ungewöhnlich direktes Interview von Mark Branson, dem Direktor der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht, Finma, vor zwei Wochen in der «Luzerner Zeitung».

Horrorszenario für Pictet-Partner

Branson gab das Interview kurz nachdem die Finma die Ergebnisse ihrer Untersuchung gegen Julius Bär veröffentlicht und schwere Mängel in der Bekämpfung der Geldwäscherei festgestellt hatte. Die Finma hatte den Zeitraum von 2009 bis 2018 untersucht. Das ist exakt die Periode, in der Collardi als CEO die einst verschlafene Julius Bär mit Akquisitionen und aggressivem Wachstum zur weltweit führenden «pure play» Privatbank empor stemmte.

In dem Interview führte Branson aus, dass die Untersuchungen gegen Einzelpersonen weitergeführt würden. Es ginge darum festzustellen, ob sie das fehlerhafte Verhalten angestossen hätten. Spezifisch würde untersucht, ob es im Management der Bank Personen gäbe, «die eine direkte kausale Verantwortung für diese Fehler tragen». Je nach Ausgang der Untersuchung kann Collardi theoretisch ein Berufsverbot blühen – ein Horrorszenario für die Pictet-Partner.

Ungewollte Altlasten

Mit Collardi wollten sie einen Banker, der für Wachstum steht, schnell entscheidet, über beste Beziehungen zur reichen Kundschaft in Asien und über die Gabe verfügt, «Talente» an sich zu binden – das alles, um das Wachstum und die Internationalisierung von Pictet voranzutreiben. Ausserdem benötigte Pictet zusätzliche Expertise, um den nach wie vor hängigen Steuerstreit mit den USA beizulegen. Julius Bär bezahlte vor rund vier Jahren eine Strafe von knapp 550 Millionen Dollar.

Was den Partner 2017 noch verborgen geblieben war: Star-Banker Collardi würde Altlasten mit nach Genf in den «Salon» bringen, in das ehrwürdige Sitzungszimmer der Pictet-Chefs.

Es erscheint zwar unwahrscheinlich, dass Collardi durch die Finma-Untersuchung seiner eigenen Vergangenheit zum Opfer fallen wird – bislang gibt es dafür keine Hinweise. Die grösste Sorge in Genf ist indessen, dass Pictets (annähernd) makelloser Ruf Schaden nehmen könnte.

Der Familienname und der schmutzige Skandal

Man hatte Collardi zwar einer tiefen «Due Diligence»-Prüfung unterzogen, bevor ihm die Partnerschaft vorgeschlagen wurde. Auch der Geldwäscherei-Skandal um venezolanisches Ölgeld war den Partnern bekannt. Dennoch: Ehemaligen und notorisch risikoscheuen «Associés» der Bank wie ein Charles Pictet, er war bis 2004 Senior Partner gewesen, ist die Verbindung des prestigereichen Familiennamens zum schmutzigen Venezuela-Skandal ein Gräuel.

Es war zwar noch Collardi gewesen, der bei Julius Bär das «Atlas»-Programm gestartet hatte, mit dem Ziel alle risikobehafteten Kundenportfolios zu selektionieren. Doch in «Atlas» kam erst richtig Schwung, nachdem sich die Finma eingemischt hatte. Erst Ende 2019 konnte Julius Bär das Programm als beendet erklären – es hatte über 100 Millionen Franken verschlungen.

Die wahre Prüfung kommt noch

Da war der Geldwäscherei-Skandal schon voll eskaliert: Kurz nach Collardis Start bei Pictet verhafteten US-Justizbehörden in Miami, Florida, Matthias Krull, einen der Star-Kundenberater bei Julius Bär. Krull hatte venezolanische Gelder im grossen Stil gewaschen, wenn auch nicht über Konten von Julius Bär.

Der Skandal ist für Collardi die wahre Prüfung seiner Aufnahme in den engen Pictet-Zirkel. Drei Familien dominieren als Besitzer die Bank: die Pictets, die de Saussures und die Demoles. Sie stellen und stellten die operativen Pictet-Partner in den vergangenen Jahrzehnten und bilden das kulturelle Rückgrat der Bank.

Collardi habe weniger von seinen sechs Co-Partnern zu befürchten als von den Mitgliedern der drei Familien im Hintergrund, sagte eine Person zu finews.ch, die mit den Besitzverhältnissen bei Pictet vertraut ist. Es sei der anhaltende Einfluss der älteren Generationen, die weiterhin an der Holding-Gesellschaft der Bank beteiligt seien, der ihm gefährlich werden könnte.