Lange Jahre galt Pierin Vincenz als Galionsfigur des Schweizer Bankenplatzes. Mit Hilfe der Raiffeisen-Gruppe wollte er ein nationales Finanzimperium bauen. Stück für Stück löst sich nun alles wieder auf.
Während sich vergangene Woche die Branche am Bankiertag in Zürich feierte und zu neuen Ufern aufbrechen will, fand eine andere Botschaft eher wenig Beachtung. Die Raiffeisen-Gruppe trennt sich von ihrer Beteiligung an der Helvetia-Versicherung. Was an sich eher unspektakulär anmutet, ist indessen ein weiterer Beleg dafür, dass sich ein Imperium auflöst – jenes von Pierin Vincenz.
Umtriebig war der frühere Raiffeisen-CEO schon immer gewesen und dies sogar mit Erfolg, gelang es ihm doch, die genossenschaftlichen Institute zu einer wichtigen Kraft in der Schweizer Bankenlandschaft zu machen, vor allem als die UBS im Sog der Finanzkrise einen epochalen Vertrauensverlust erlitt.
Gefeierte Galionsfigur
In jener Zeit war Vincenz die Galionsfigur der Branche, sozusagen «the last man standing», der den Grossen ins Gewissen redete, gleichzeitig aber selber eine Vision des Grossen hegte – die Vision einer Schweizer Universalbank auf dem Fundament der Raiffeisen-Gruppe.
«Seinen» Genossenschaftern verkaufte er diesen Plan als «Diversifikationsstrategie», was zu jener Zeit sehr populär war, ächzte doch die halbe Branche unter der Last der Finanzkrise.
US-Justiz verhalf zur Expansion
Vincenz’ grosse Stunde schlug, als die US-Justiz die älteste Schweizer Privatbank Wegelin demontierte. Kurzerhand übernahm Raiffeisen die nicht-amerikanischen Wegelin-Kunden, welche in die dafür geschaffene Notenstein Privatbank überführt wurden.
Damit vollzog Vincenz den Schritt ins Private Banking, also ins prestigeträchtige Geschäft mit sehr vermögenden Privatpersonen. Zeitweilig liebäugelte er auch damit, die zum Verkauf stehende Basler Privatbank Sarasin zu erwerben, die dann aber an die brasilianische Safra-Gruppe ging.
Einstieg ins Asset Management
Ermutigt von seinem Erfolg ging Vincenz alsbald dazu über, auch im Asset Management Fuss zu fassen. Ebenfalls unter dem Dach der Raiffeisen-Gruppe entstand die Firma TCMG, die verschiedene Anlageboutiquen vereinigte, und so als Investment-Spezialistin agierte.
Mit weiteren Beteiligungen, etwa an der Derivate-Entwicklerin Leonteq (knapp 30 Prozent), an der Versicherungsgruppe Helvetia (4 Prozent) oder an der Bankensoftwäre-Entwicklerin Avaloq (10 Prozent), zimmerte Vincenz sein Imperium zusammen.
Vom Aufbau zum Abbau
Über dessen Erfolg kann man geteilter Meinung sein. Zu dieser Erkenntnis gelangte offenbar auch Vincenz. So löste er im Zuge einer abrupten strategischen Kehrtwende die Firma TCMG bald wieder auf, respektive überführte Teile davon in die Privatbank Notenstein, welche später die verbliebene Vescor der Bank Vontobel veräusserte.
Doch auch Notenstein kam nie richtig auf Touren. Das Institut erwarb zwar die Basler Konkurrentin La Roche, bekundet aber bis heute enorme Mühe, sich in der Schweizer Bankenlandschaft zu profilieren. Der anhaltende personelle Aderlass spricht nicht dafür, dass sich der Erfolg in absehbarer Zeit einstellt. Vor diesem Hintergrund ist ein Verkauf der Bank nicht ausgeschlossen, wie in der Branche laufend kolportiert wird.
Vincenz kündigte bereits Ende Januar 2015 an, seinen CEO-Posten bei Raiffeisen auf März 2016 zu räumen, trat dann aber schon Ende September 2015 ab. Spätestens von diesem Zeitpunkt an löste sich das «Imperium» unwiderruflich auf. Inzwischen bekennt sich die Genossenschaftsbank wieder voll zu ihrem Kerngeschäft und will von allem anderen möglichst wenig oder gar nichts mehr wissen.
Beteiligungen auf dem Prüfstand
Bei Leonteq, wo Vincenz Anfang 2016 das Präsidium übernommen hatte, wird er noch in diesem Jahr ausscheiden – zu gross war der Druck nach den Verfehlungen des Unternehmens in der jüngeren Vergangenheit. Und der heutige Chef der Raiffeisen-Gruppe, Patrik Gisel, schliesst nicht aus, die Beteiligung an Leonteq bei Gelegenheit zumindest teilweise zu veräussern. «Wir könnten uns mittelfristig vorstellen, einem strategischen Investor, der Interesse an Leonteq hat und Mehrwert bringt, einen kleineren Teil abzutreten», sagte er gegenüber finews.ch.
Ähnlich klingt es in Sachen Avaloq, wo Raiffeisen noch 10 Prozent hält: Gisel: «Wir betrachten diese als Finanzbeteiligung, die wir eingegangen sind, damit Avaloqs Kapitalbasis erweitert wird, und beispielsweise das BPO-Unternehmen B-Source vollständig erwerben konnte. Eine weitergehende Beteiligung ist aber weder in unserem noch in Avaloqs Interesse. Wir werden diese Beteiligung über die Zeit eher wieder herunterfahren.»
Rückbesinnung auf das Kerngeschäft
Wie entschlossen es die Raiffeisen-Gruppe mit ihrem Rückbau meint, zeigte sich vergangene Woche: Im Zuge steigender regulatorischer Anforderungen richte sich die Bank wieder verstärkt auf das Kerngeschäft aus, hiess es. Der Verkauf der Helvetia-Beteiligung sei deshalb ein logischer Schritt und ein klares Bekenntnis zur Weiterentwicklung des Kerngeschäfts, teilte das Unternehmen mit.
Ob Diversifikationsstrategie oder vielleicht auch nur Allmachtsfantasie eines einzelnen Bankers – Tatsache ist, dass Raiffeisen wieder zu dem werden will, was es einst war – eine landesweit tätige Retailbank.
Ein schwerer Gang
Einfach ist das allerdings nicht. Die Raiffeisen-Gruppe ist im Hypothekargeschäft, ihrem wichtigsten Ertragspfeiler, mit einem landesweiten Marktanteil von gegen 20 Prozent zwar der Platzhirsch. Ob aber die Bank diese Wachstumsstory weiterschreiben kann, ist nicht sicher.
Denn die Zinsmarge ist unter Druck, und die Konkurrenz – auch von Nichtbanken wie Pensionskassen, unabhängigen Anbietern – wird immer härter. Selbst die Helvetia-Versicherung – inzwischen präsidiert von Pierin Vincenz – offeriert Hypothekarkredite.
Kleinere Brötchen in Zukunft?
In diesem Kontext hat die drittgrösste Bank der Schweiz auch schon versucht, den Druck zu mildern, indem sie eine Senkung der Tragbarkeit auf deutlich unter 5 Prozent einforderte, blitzte damit aber vor der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) ab.
Vieles deutet darauf hin, dass die Raiffeisen-Gruppe wieder kleinere Brötchen backen wird, aber vielleicht ist das ganz in ihrem Sinne – nach den imperialen Ambitionen der vergangenen Jahre.