Immer mehr erfolgreiche Banker verabschieden sich von grösseren Instituten und suchen ihre Berufung in kleineren Strukturen, wo sie unternehmerischer wirken können. Unterschiedlichste Beispiele untermauern den neuen Trend.
J.P. Morgan, Union Bancaire Privée, Goldman Sachs – das sind die Stationen in der mehr als zwanzigjährigen Karriere von Andrea Tardy (Bild unten). In dieser Zeit avancierte der Westschweizer mit italienischen Wurzeln zu einem der führenden Private Banker in der Schweiz. Nun aber kehrt er diesen Institutionen den Rücken und wechselt zu einem wesentlich kleineren Family Office.
Konkret stösst Tardy als Partner zu Stonehage Fleming in Genf, wie das Unternehmen am Montag mitteilte. Dabei handelt es sich um eines der grössten Multi-Family-Offices in Europa, das rund 250 Familien mit Vermögenswerten von gut 40 Milliarden Dollar berät, wovon das Unternehmen rund 12 Milliarden Dollar selber verwaltet. Stonehage Fleming mit Hauptsitz in London ist im Besitz der Partner und beschäftigt 500 Personen.
Ausbau in der Schweiz
In seiner heutigen Form ist dieses Family Office erst 2014 entstanden, als Fleming Family & Partners und die südafrikanische Stonehage, die ihren Sitz aber in London hatte, fusionierten. Ian Fleming, der Autor und Erfinder von James Bond, ist verwandt mit den Betreibern des britischen Teils des Family Offices.
Tardy, der für J.P. Morgan zeitweilig auch in Miami arbeitete und somit auch Auslanderfahrung mitbringt, wird in einer neu geschaffenen Funktion den weiteren Ausbau von Stonehage Fleming in der Schweiz vorantreiben, wo das Unternehmen mit Büros in Zürich, Genf und Neuenburg vertreten ist, wie von Stonehage-Fleming-CEO Mark McMullen weiter zu erfahren war. Die Schweiz sei ein sehr wichtiger Markt.
Unabhängigkeit ausschlaggebend
Für Tardy selber war vor allem die Unabhängigkeit des Unternehmens ausschlaggebend für seinen Wechsel. «In einem Markt, der sich in permanentem Wandel befindet, sind Family Offices wie Stonehage Fleming sehr gut positioniert, um den stetig wachsenden Bedürfnissen sehr vermögender Unternehmer und deren Familien zu entsprechen», so Tardy.
Interessanterweise ist er nicht der einzige langjährige Banker, der die «Komfortzone» grosser Institute verlässt und bei einem kleineren Unternehmen anheuert. Beispiele gibt es zuhauf: Der frühere Coutts-International-CEO Alexander Classen ist heute als Partner für Bedrock tätig, gemäss eigenen Angaben zufolge das drittgrösste Family Office Europas.
Kleinere Strukturen gesucht
Aber auch der frühere Fintech- und Innovations-Chef der UBS, Oliver Bussmann oder Barend Fruithof, zuletzt Schweiz-Chef bei Julius Bär, kehrten diesen Grossinstituten den Rücken, ebenso Christian Katz, der einige Jahre als CEO der Schweizer Börse SIX Swiss Exchange amtete. Allesamt suchten sie in der Folge kleinere Strukturen, in denen sie sich umso vertiefter entfalten können.
Auch einige höchst prominente Leute in der Branche vollzogen diesen Wechsel, wie der hochgelobte Fondsmanager Rajiv Jain bei der Bank Vontobel, der heute für eine kleine Investmentgesellschaft namens GQG arbeitet, oder Pamela Graham-Thomas, die in diversen Marketing- und Branding-Funktionen bei der Credit Suisse (CS) arbeitete, und heute einen Blog über Luxus betreibt, und nicht zuletzt der frühere CS-CEO Brady Dougan, der daran ist, an der Wall Street eine eigene, sozusagen auf ihn zugeschnittene Investmentbank auf die Beine zu stellen.
Massive Einschränkungen
Selbst Thierry Lombard, über viele Jahre Statthalter seiner Familie und Teilhaber bei der Genfer Privatbank Lombard Odier, nahm Reissaus und beteiligte sich stattdessen bei der wesentlich kleineren Lausanner Banque Landolt.
Die vielfältigen Beispiele lassen keinen Zweifel daran, dass Führungsfunktionen in grösseren Instituten heute an Attraktivität verloren haben und kaum mehr so erstrebenswert sind, wie dies bis vor der Finanzkrise der Fall war. Allerdings darf das nicht sonderlich verwundern angesichts der zunehmenden Flut an Regeln und Bestimmungen (Compliance), welche das Arbeiten gerade bei grossen Häusern massiv einschränkt.
Neue Berufung gesucht
Der anhaltende Kostendruck sowie stark institutionalisierte Geschäftsabläufe tragen zusätzlich dazu bei, dass unternehmerische Bankleute in einem kleineren und möglichst unabhängigen Set-up ihre Berufung suchen. Andrea Tardy ist nur ein weiteres Beispiel dafür.