Der Gründer der unabhängigen Vermögensverwaltungsgesellschaft empfiehlt den Anlegern, sich nicht allein auf die Titelauswahl zu konzentrieren, sondern auch eine profunde Analyse der Geopolitik vorzunehmen. Und das nicht nur 2025, sondern über die nächsten Jahrzehnte.

Sie fallen in der heutigen Zeit auf – die langen Briefe, die der Gründer und heutige Verwaltungsratspräsident der unabhängigen und auch hierzulande aktiven Vermögensverwaltungsgesellschaft Carmignac von Zeit zu Zeit verfasst und jeweils in verschiedenen papierenen Zeitungen abdrucken lässt. In seinem jüngsten Schreiben blickt Edouard Carmignac auf die 36-jährige Geschichte seine Unternehmens zurück, bevor er sich wie üblich den grossen Fragen der Zeit zuwendet.

«Die tektonischen Platten der Geopolitik, der Technologie und des Klimas verschieben sich und bieten einen fruchtbaren Boden für tiefgreifende Veränderungen und entschlossenes Handeln», beobachtet der 78-Jährige. Die Stellungnahmen des neuen US-Präsidenten Donald Trump zum Klimaschutz bewertet er als «besorgniserregend», sieht aber auch viel Positives.

Mit Trump Rückkehr zum gesunden Menschenverstand?

«Doch diese legitimen Bedenken sollten nicht seinen starken Willen zur Förderung des Investitionsklimas in den USA durch weniger Regulierung, Kürzung der Staatsausgaben und eine technologiefreundliche Verwaltung überschatten. Was wäre, wenn diese Wahl eine Besinnung zum gesunden Menschenverstand ermöglichen würde?»

Carmignac beklagt den Niedergang der europäischen Automobilindustrie, die «einfach zu vielen Regeln und Arbeitsgesetze, die nie den Bedürftigsten zugutekommen, eine extreme Naivität in Bezug auf den Welthandel und endlose Diskussionen, um sich auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen». Und er glaubt nicht, dass das Vorsorgenetz längerfristig hält: «Niemand glaubt mehr ernsthaft, dass die europäischen umlagefinanzierten Rentensysteme tragfähig sind. Jeder weiss das.» 

Europa am Rande eines kollektiven Bankrotts

Der fehlende Mut und die zynischen politischen Schachzüge der vergangenen Jahrzehnte hätten die Europäer an den Rand eines kollektiven Bankrotts gebracht, kritisiert Carmignac weiter fest und empfiehlt die Lektüre des im vergangenen September publizierten Draghi-Berichts zur Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit der EU. «Die politischen Kräfte in Europa wären gut beraten, ihn zu lesen und umzusetzen.»

Ratschläge gibt es in seinem Brief nicht nur für die Politiker, sondern auch für die Anleger. «Um in den nächsten 35 Jahren erfolgreich zu investieren, wird die Titelauswahl allein nicht mehr ausreichen. Es wird auch eine gründliche geopolitische Analyse erforderlich sein.» Jeder wisse, dass sich das globale Wachstum verlangsamen werde, und Länder mit einer schlechten politischen Führung würden zurückfallen – auch beim Investieren gilt also in den kommenden Jahrzehnten das Primat der Politik.