Vergossene Milch

Natürlich ist einfach, im Nachhinein die Goldverkäufe von damals harsch zu kritisieren. Doch das ist vergossene Milch. Spannender ist die Frage, ob die SNB heute wieder Goldkäufe prüfen sollte, zumal sich ihre Bilanz seit der Finanzkrise 2008 aufgrund der ausgedehnten Devisenkäufe im Kampf gegen die Frankenstärke vervielfacht hat, der Goldbestand aber unverändert 1040 Tonnen beträgt.

Dieser Thematik hat sich auch der unabhängige Ökonom Adriel Jost in seiner Kolumne von Mitte September in der «Bilanz« angenommen. Sein Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass die SNB im Kampf gegen den harten Franken offenbar lieber Anleihen von Staaten erwirbt, deren Schulden nicht nachhaltig sind (er denkt dabei wohl an die USA und gewisse europäische Länder), als Gold.

Mut zur Unabhängigkeit

Jost untersucht verschiedene Argumente, unter anderem dasjenige der Handelbarkeit (Liquidität), vermutet aber den wahren Grund für dieses Verhalten anderswo. Goldkäufe wären ein Misstrauensvotum gegen andere Länder, und die SNB wolle ihren ausländischen Zentralbankkollegen nicht auf die Füsse treten. «Es ist zu hoffen, dass das Direktorium den Mut zu dieser Unabhängigkeit bald findet», schliesst Jost seine Kolumne.

Eine solche gedankliche Unabhängigkeit des Direktoriums könnte auch die institutionelle Unabhängigkeit der SNB stärken. Ausländische Staaten könnten nämlich Druck auf die Schweiz ausüben, dass die SNB ihre Staatsanleihen halten müsse, weil sich sonst ihre Refinanzierungskosten erhöhten. Und im Inland ist die Anlagepolitik der SNB schon seit Jahren ein Einfallstor für politische Begehrlichkeiten, die insbesondere in Richtung Nachhaltigkeit zielen.

Anlagepolitik als Einfallstor für politische Begehrlichkeiten

Die Denkfabrik Avenir Suisse hat denn auch Mitte September in einer Auslegeordnung zur Unabhängigkeit der SNB gefordert, dass die SNB in ihrer Anlagepolitik verpflichtet wird, breit und neutral in Aktien und Unternehmensanleihen zu investieren, d.h. ohne Ausschlüsse und Filter aufgrund von Nachhaltigkeitskriterien oder anderen politischen Anliegen.

Leider blendet Avenir Suisse dabei die besondere Rolle des Goldes aus, einer Anlageform ohne Gegenparteirisiko, mit einer vergleichsweise schwachen Lobby und die ingesamt wenig Angriffsfläche bietet (abgesehen von der erwähnten Kontroverse um die nachrichtenlosen Vermögen in den Neunzigerjahren, als mit den Begriffen Raubgold und Totengold operiert wurde).

Ist Gold heute zu teuer?

Natürlich darf und kann man sich darüber streiten, ob der Zeitpunkt für Goldkäufe der SNB günstig wäre. Gold kann indes als Versicherung gegen schwere politische und wirtschaftliche Krisen, gegen Verwerfungen des Finanz- und Währungssystems betrachtet werden.

In dieser Interpretation ist der Goldpreis die Prämie, die man für diese Absicherung bezahlt. Und ist diese Prämie hoch, bedeutet das nichts anderes, als dass der Markt die Wahrscheinlichkeit für eine schwere Krise nicht als vernachlässigbar einstuft.

Das sollten eigentlich genügend Gründe für die SNB sein, sich nach einem Vierteljahrhundert erneut eingehend mit der Goldfrage zu beschäftigen; diesmal einfach mit umgekehrtem Vorzeichen.