Die Nationalbank stützt ihren Zinsentscheid nicht nur auf ökonomische Modelle ab, sondern berücksichtigt auch die Ergebnisse der Gespräche, die sie mit Unternehmen führt. So entschärft die CS-Übernahme etwa den Mangel an IT-Fachkräften. Im Firmenkundengeschäft fehlt die Bank aber.

Quasi im Schatten der medial breit thematisierten Stabsübergabe im DirektoriumMartin Schlegel ersetzt den scheidenden Präsidenten Thomas Jordan, und Petra Tschudin nimmt neu im geldpolitischen Entscheidungsgremium Einsitz – hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) ihr «Blue Book» publiziert, also den Bericht, der die Ergebnisse aus den Gesprächen zusammenfasst, den die Delegierten für regionale Wirtschaftskontakte der SNB mit Unternehmensleitungen führten.

Blue Book ist eine eher scherzhafte Bezeichnung, die Bezug auf die Farbe des (im SNB-Blau gehaltenen) Umschlags nimmt und sich an der Namensgebung des Beige Book anlehnt, eine international stark beachtete, ähnlich gelagerte Publikation der US-Zentralbank Fed.

Wichtiges Element für die geldpolitische Lagebeurteilung

Offiziell heisst der Bericht «Konjunktursignale» und ist Teil des Quartalshefts, das die SNB jeweils wenige Tage nach ihrem Zinsentscheid (der jüngste datiert vom Donnerstag vergangener Woche) publiziert. Das Quartalsheft enthält auch den Bericht zur Geldpolitik, der detailliert aufzeigt, worauf die SNB ihren Entscheid abstützt. Darin findet sich eine Beschreibung der internationalen und der Schweizer Wirtschaftsentwicklung, der Preise (aus Sicht der Konsumenten und des Grosshandels) und der Inflationserwartung. Im Kapitel «monetäre Entwicklung» wird der Verlauf der Zinsen, der Aktienpreise und des Wechselkurses unter die Lupe genommen.

Zentralbanken müssen die künftige Wirtschafts- und Inflationsentwicklung abschätzen, damit sie die Geldpolitik richtig steuern können. Dafür benutzen sie ausgefeilte ökonomische Modelle. Diese erweisen sich allerdings in Krisen oft als wenig aussagekräftig beziehungsweise treffsicher; so unterschätzten praktisch alle Modelle die Wucht des Teuerungsschubs nach der Corona-Krise. Berichte wie das Blue Book, welche die Stimmung in der realen Wirtschaft wiedergeben, bilden eine wertvolle Ergänzung zu den diesen theorielastigen Entscheidungsgrundlagen.

Spuren der CS-Übernahme

In das jüngste Blue Book sind die Ergebnisse von 242 Gesprächen eingeflossen, welche die SNB-Delegierten vom 16. April bis 4. Juni mit Unternehmen geführt haben. Einige Aussagen sind auch aus Sicht der Finanzbranche interessant. So stellen die Delegierten fest, dass bei den Dienstleistungsunternehmen die Büros unausgelastet sind, wegen des nach wie vor erhöhten Home-Office-Anteils. Offenbar haben die Back-to-Office-Kampagnen vieler Unternehmen noch wenig gefruchtet.

Beim Fachkräftemangel kündigt sich möglicherweise eine Wende an. Zwar würden weiterhin spezialisierte IT-Fachkräfte (Cybersicherheit, künstliche Intelligenz) gesucht, doch hätten die Rekrutierungsschwierigkeiten abgenommen. Einige Unternehmen haben gegenüber der SNB die Vermutung geäussert, dass die Integration der Credit Suisse (CS) in die UBS (und der Stellenabbau bei internationalen Technologie- und Pharmakonzernen) zu dieser Entspannung geführt haben.

Lohndynamik nimmt ab, Inflationserwartungen sind gut verankert

Die CS-Übernahme hinterlässt auch andersweitig Spuren. «Im Zusammenhang mit der Finanzierung grösserer und internationaler Projekte bedauern einzelne Unternehmen, dass die CS als bedeutende Bank im Firmenkundengeschäft wegfällt.» Immerhin bleibt die Geschäftsentwicklung im Finanzsektor insgesamt robust, wobei der Wettbewerb um Kundeneinlagen die Profite im an sich lukrativen Zinsgeschäft dämpft. Dagegen habe sich die Geschäftsdynamik in der ICT-Branche nach einigen sehr guten Jahren etwas verlangsamt, berichten die SNB-Delegierten.

Die SNB senkte vergangene Woche den Leitzins um einen Viertelprozentpunkt und fühlte sich dabei wohl auch von ihrem Blue Book bestärkt. Dieses zeigt nämlich, dass die Unternehmen aufgrund der gesunkenen Inflation und der Entspannung am Arbeitsmarkt davon ausgehen, dass die Löhne im laufenden Jahr weniger stark erhöht werden als 2023. Und auch die langfristigen Inflationserwartungen liegen deutlich unter der für die Preisstabilität kritischen Marke von 2 Prozent (gemessen als durchschnittliche Jahresteuerung des Landesindex der Konsumentenpreise).

Taylor Swift findet bei US-Notenbank mehr Beachtung

Schade ist, dass die «Konjunktursignale» anders als ihr Pendant Beige Book keine Informationen zur Entwicklung in den einzelnen Wirtschaftsregionen enthalten. So dürften denn auch die beiden Konzerte, die Taylor Swift am 9. und 10. Juli in Zürich geben wird, keinen Niederschlag im nächsten Blue Book finden.

Der Pop-Star hatte es vergangenes Jahr geschafft, in dem von der Federal Reserve of Philadelphia verfassten Abschnitt des Juli-Beige-Book der US-Notenbank erwähnt zu werden, weil ihr Konzert in Philadelphia für einen Spitzenwert bei den Hotelübernachtungen gesorgt hatte.