Die SNB senkt den Leitzins erneut – obschon das Risiko, dass sie falsch liegt, relativ gross ist. Sie lobt die Banken kurz und hebt die Baustellen bei der Finanzstabilität hervor. Und als erste Zentralbank weltweit hat sie eine geldpolitische Operation auf einer Plattform durchgeführt, die auf der Distributed-Ledger-Technologie basiert.
Gleich zu Beginn eine kleine Korrektur: Wer, wie der Autor dieses Artikels, vermutet hatte, dass die geldpolitische Lagebeurteilung von Donnerstag die letzte unter der Leitung von Thomas Jordan sein werde, hat sich geirrt. Auf eine Journalistenfrage an der Medienkonferenz am Donnerstagvormittag antwortete der Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB), der per Ende September die SNB und damit auch das Direktorium verlässt, dass er am 26. September noch einmal seines Amtes walten werde.
Jordans Beschluss, bis zuletzt an Bord zu bleiben, darf ruhig als Ausdruck seines ausgeprägten Pflichtbewusstseins interpretiert werden. Ein Nebeneffekt ist allerdings, dass im September weder seine Stellvertreterin Petra Tschudin noch sein Stellvertreter Attilio Zanetti im Direktorium mitmachen und vor den Medien als geldpolitische Entscheidungsträger auftreten können.
Altbekanntes Credo statt Forward Guidance
Bei der Medienkonferenz mit Jordan, Vize Martin Schlegel und dem einfachen Direktoriumsmitglied Antoine Martin standen aber nicht Personalfragen im Mittelpunkt, obschon das mediale Interesse an der Nachfolgeregelung für Jordan durchaus rege ist. Der Ball liegt dort beim Bankrat, der dem Bundesrat einen Wahlvorschlag zu unterbreiten hat.
Den Entscheid, den Leitzins einen Viertelprozentpunkt auf 1,25 Prozent zu senken, haben jedoch allein die drei Männer des Direktoriums gefällt. Jordan machte klar, dass die SNB nach wie vor wenig von Forward Guidance hält, also von konkreten Aussagen über den künftigen Kurs der Geldpolitik. Die SNB gibt also beispielsweise kein Zielwert für das Ende des Zinssenkungszyklus bekannt. «Wir haben die Preisstabilität zu gewährleisten und richten uns deshalb an der Inflationsprognose aus», lautete Jordans Credo.
Die Logik des Zinsschritts
Und weil sich in der Inflationsprognose (die trotz Zinssenkung nicht höher liegt als im März) kein Teuerungsdruck manifestiert und die Werte für die nächsten drei Jahre innerhalb des Bereichs liegen, den die SNB mit Preisstabilität gleichsetzt (zwischen 0 und 2 Prozent), ist der Leitzins gesenkt worden, um (ein weiterer Begriff von Jordans Standardrepertoire) «angemessene monetäre Bedingungen für die Schweizer Wirtschaft» sicherzustellen.
Jordan geht von einem Wachstum des Bruttoinlandprodukts von 1 Prozent in diesem und 1,5 Prozent im nächsten Jahr aus (Pro-Kopf berechnet fällt der Wertschöpfungsgewinn aufgrund der Bevölkerungszunahme geringer aus). Er machte auch deutlich, woher die Unsicherheiten für die Schweizer Geldpolitik und die Wirtschaft kommen: «Das Hauptrisiko stellen Entwicklungen im Ausland dar.» Dazu gehören gemäss SNB eine hartnäckigere Inflation als erwartet oder eine schwächere Weltwirtschaft im Zuge verschärfter geopolitischer Spannungen.
Wechselkurs: SNB hält sich bedeckt
Eher schmallippig zeigte sich Jordan hingegen, als es um den Wechselkurs ging. Er konstatierte das Offensichtliche und hielt fest, dass sich der Franken jüngst aufgewertet habe, was «vor allem auf politische Unsicherheiten in Europa zurückzuführen ist». Auch die zahlreichen Nachfragen von Journalisten zur Entwicklung an den Währungsfront mochten ihm keine Äusserungen zu entlocken, die mehr Licht in die Rolle des Wechselkurses für die Geldpolitik brachten – womit er sich genau auf der Linie der traditionellen Kommunikation der SNB in diesem Bereich bewegte.
Die Schweizer Geldpolitik bleibt also mangels klarer Orientierungspunkte weiterhin auf Sicht unterwegs, und folgerichtig behält sich die SNB vor, bei Bedarf auch am Devisenmarkt wieder Fremdwährungen zu kaufen oder zu verkaufen. Mit der Zinssenkung geht das Direktorium aber ein gewisses Risiko ein. Sollte sich der Inflationsdruck im Ausland in nächster Zeit doch wieder erhöhen, dürften viele Kommentatoren der SNB um die Ohren schlagen, dass sie genau dies vorausgesagt hätten und die Senkung zur Unzeit gekommen sei. Im umgekehrten Szenario, also dem Verzicht auf einen Zinsschritt und eine wie heute vorausgesagte günstige Entwicklung im Ausland, hätte die SNB wohl weniger Angriffsfläche geboten, da sie den Leitzins einfach etwas später hätte anpassen können.
Mit Spannung wurden auch Schlegels Ausführungen zum im Vorfeld publizierten Finanzstabilitätsbericht erwartet. Welche Schwerpunkte und Akzente würde der Vorsteher des II. Departements, das für die Stabilität des Bankensystems verantwortlich ist, setzen? Schlegel anerkannte, dass der Bankensektor seine Widerstandsfähigkeit erhöht hat. «Dank gesteigerten Gewinnen konnten die Banken ihre Kapitalpuffer insgesamt erhöhen», lobte er, um gleich zu Risiken und Baustellen überzugehen (wo er deutlich länger verweilte).
AT1-Bonds «noch nützlicher machen»
Er erwähnte dabei vier Gebiete, wo er – gebrannt von den Erfahrungen mit der CS, auf die er sich immer wieder bezog – Handlungsbedarf ausmachte. Erstens bei den offengelegten Schwachstellen in der Regulierung, das heisst der Unterlegung von Beteiligungen mit Eigenmitteln und der Ausgestaltung von Additional-Tier-1-Instrumenten (AT1), wo die SNB voll auf der Linie des Bundesrats ist.
Schlegel wollte dabei keine Zahl für das Eigenkapital nennen, das die UBS zusätzlich aufbringen sollte. Er und Jordan machten klar, dass es dafür noch zu früh sei und insbesondere auch eine Abschätzung der Wirkung aller regulatorischen Massnahmen nötig sein werde. In der CS-Krise haben die AT1-Bonds gemäss Schlegel zwar eine wichtige Funktion erfüllt: «Die Transaktion wäre ohne sie wahrscheinlich so nicht möglich gewesen.» Sie wären aber noch nützlicher gewesen, wenn die Bank sie früher einsetzen hätte können.
Collateral der Banken muss für eine Krise bereit stehen
Zweitens erinnerte Schlegel an die Risiken für die inlandorientierten Banken, die vom Hypothekar- und Immobilienmarkt ausgehen, wobei er speziell die Tragbarkeit von Hypotheken und die Anfälligkeit des Marktes für eine Korrektur vor Augen hat.
Die Krisen der letzten Zeit hätten auch an die Bedeutung der Liquidität erinnert, hielt Schlegel drittens fest, und sieht die Behörden und die Banken in der Pflicht. Die Regulierung müsse die Anreize der Banken für eine langfristige Finanzierung erhöhen, die Banken wiederum sollten mehr Sicherheiten (Collateral) für das Szenario vorbereiten, in dem sie Notfallkredite von der SNB beziehen müssen.
Und schliesslich erwähnte Schlegel mit Verweis auf die vermehrten Cyberrisiken die operationellen Risiken von Banken und Finanzmarktinfrastrukturen, ein Bereich, um den sich allerdings mehr die Finanzmarktaufsicht Finma als die SNB zu kümmern hat.
Token-basierte Umsetzung der Geldpolitik
Martin rückte «Helvetia III» ins Zentrum seines Referats. Mit dem Projekt stellt die SNB seit Anfang Dezember 2023 Finanzinstituten digitales Zentralbankgeld (Wholesale Central Bank Digital Currency) auf der Plattform SIX Digital Exchange (SDX) zur Verfügung. Die sechs beteiligten Bank (die Martin namentlich aufzählte) können damit auf SDX Frankenanleihen token-basiert abwickeln. Bisher wurden im Rahmen des Pilotbetriebs sechs Anleihen (deren Emittenten Martin ebenfalls alle nannte) begeben. Das Transaktionsvolumen betrage bisher rund 750 Millionen Franken.
Die SNB testet SDX aber auch mit Blick auf die Umsetzung der Geldpolitik und hat Anfang Juni «als weltweit erste Zentralbank eine geldpolitische Operation auf Basis der Distributed Ledger Technology in produktiver Umgebung durchgeführt», wie Martin stolz vermerkte. Es handelt sich um eine Emission von kurzfristigen Schuldverschreibungen (SNB Bills) im Umfang von 64 Millionen Franken. SNB Bills dienen der Nationalbank dazu, Liquidität am Geldmarkt abzuschöpfen.
Helvetia III wird ausgeweitet
Die SNB hat nun entschieden, das Projekt Helvetia III mindestens zwei Jahre fortzusetzen und wenn möglich auszuweiten, mit neuen Teilnehmern und weiteren Instrumenten. «Mit der Fortsetzung des Pilotbetriebs unterstützt die SNB den Privatsektor in dessen Innovationsbestrebungen», betonte Martin.