Der Fall Credit Suisse war ein Schlag für das Segment der Contingent Convertibles. Doch für Banken, Investoren und Regulatoren hat das Instrument weiterhin viele Vorteile. Eine Auslegeordnung der Redaktion von finews.ch.

Jahrelang galten Additional-Tier-1-Anleihen (AT1) von Banken als Nischenprodukt, das allenfalls spezialisierte Fonds und besonders versierte institutionelle Anleger ins Portefeuille packten. Und natürlich interessierten sich die Finanzmarktregulatoren und die Banken, die AT1-Bonds begaben, für das anspruchsvolle Instrument mit Eigenmittelcharakteristiken.

Seit die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) im März 2023 die AT1-Anleihen der Credit Suisse (CS) im Nominalwert von 16 Milliarden Franken zum Eigenkapital der Grossbank geschlagen hat und damit für die Investoren für wertlos erklärt hat, können sich die oft auch als Contingent Convertibles (Coco) bezeichneten nachrangigen Anleihen über mangelnde Aufmerksamkeit nicht mehr beklagen.

Knifflige Rechtsfragen

Sie sorgen regelmässig für Schlagzeilen, zuletzt mit der Klage einer Anwaltskanzlei, welche die Schweiz vor ein New Yorker Bezirksgericht zerrt. Hauptschauplatz bleibt allerdings das Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen, an das sich das Gros der Kläger gewendet hat.

Doch ganz abgesehen von den kniffligen Rechtsfragen, ob die Bestimmungen und Klauseln im Emissionsprospekt die Abschreibung der AT1-Bonds der CS zuliessen und ob der Eingriff in die Eigentumsrechte verhältnismässig war: Welche Grundidee steckt eigentlich hinter den Coco, hat sich das Konzept bewährt, und wie hat sich der Markt nach dem «Unfall» weiterentwickelt?

Kind der globalen Finanzkrise

Das Coco-Konzept wurde unter massgeblicher Mitwirkung der Aufsichtsbehörden entwickelt und ist ein Kind der globalen Finanzkrise 2008. Damals mussten die Banken grosse Abschreibungen auf ihren Aktiven vornehmen – was zulasten des Eigenkapitals ging. Dadurch erodierte das Vertrauen in die Solidität der Banken und ihrer Vermögenswerte zusätzlich, ein Teufelskreis kam in Gang, der das ganze moderne Finanzsystem in den Abgrund zu ziehen drohte.

Der allererste Coco wurde 2009 von der Lloyds Bank emittiert, die CS folgte (im Jahr 2011) wie viele andere grosse Banken auch. Die Erfahrung mit Krisen zeigt, dass es schwierig respektive kostspielig ist, Aktienkapital dann aufzunehmen, wenn man es in der Not am dringendsten braucht.

Credit-Suisse-Übernahme versüsst

Coco lösen dieses Problem: Sie ermöglichen es insbesondere systemrelevanten Banken, in normalen Zeiten relativ günstig in grossem Umfang Mittel aufzunehmen. Läuft alles rund, bleiben die Coco Fremdkapital, doch in einer Krise können sie, wenn die Bedingungen im Emissionsprospekt erfüllt sind, in Eigenkapital, also Aktien, umgewandelt oder – wie beim Untergang der CS – abgeschrieben werden, um Verluste zu absorbieren.

Zumindest in der Theorie erhöht das Instrument die Stabilität der Bank und damit des Finanzsystems insgesamt. Und war das bei CS auch tatsächlich der Fall? Die von der Finma verfügte Streichung der entsprechenden Schulden war sicher ein Faktor, welcher der UBS die Übernahme versüsste.

Vor dem Sturm

Betrachtet man den vom Bundesrat gewählten Weg mit Zwangsheirat der beiden Grossbanken, flankiert von umfangreichen Liquiditätszusagen und Staatsgarantien, als die bestmögliche Lösung, haben die AT1-Bonds also mindestens teilweise ihren Zweck erfüllt.

Nach der Finanzkrise war zudem die Hoffnung gross, unter anderem von Seiten der Schweizerischen Nationalbank, dass das Instrument auch eine präventive Wirkung entfaltet. Denn es sollte eigentlich die Anreize für ein risikobewusstes Verhalten der Anleger verbessern, was über den Markt entsprechende Signale senden würde. Das würde Bankmanager und Aufsichtsbehörden wiederum in die Lage versetzen, rechtzeitig Massnahmen zu ergreifen, also bevor eine Bank in den Sturm gerät.

Signale allein genügen nicht

Und in der Tat, gemäss einem von den Professoren Heinz Zimmermann und Pascal Böni bereits Anfang April 2023 im «Schweizer Monat» publizierten Beitrag sandten die Märkte im Vorfeld des CS-Debakels – nicht nur derjenige für AT1-Bonds, sondern auch für CS-Aktien, normale CS-Anleihen und CS-Kreditversicherungsprämien sehr deutliche Signale. Bankmanagement und Aufsichtsbehörden nahmen diese durchaus wahr, aber die Erwartung, dass sie das auch dazu veranlassen würde, rechtzeitig zu handeln (ob sie es nicht wollten, durften oder konnten, bleibe dahingestellt), erfüllte sich in der Realität nicht.

Der Coco-Markt hat sich nach dem CS-Schockmoment rasch wieder gefangen und steht heute auch wieder für Schweizer Banken wie UBS offen. Demgegenüber hat es seither keine Neuemissionen von Coco mehr gegeben, die auf Franken lauten. Weiterhin gilt, dass Coco für die herausgebenden Banken günstiger sind als die Beschaffung von Eigenkapital über die Emission von Aktien und dass die beaufsichtigenden Behörden damit die Stabilität des Bankensystems stärken können.

Anleger langen zu

Doch weshalb greifen die Anleger trotz des CS-Traumas weiterhin zu? Die anhaltende Nachfrage hat damit zu tun, dass Coco deutlich besser rentieren als normale vorrangige Bankanleihen. Die Bonds weisen in der Regel eine ewige Laufzeit auf, werden aber meist zu einem vorgängig von der Bank festgelegten Kündigungstermin (unter Vorbehalt der Zustimmung durch die Behörde) zurückbezahlt.

Und grossmehrheitlich läuft alles rund: Bislang fielen inklusive CS lediglich knapp 5 Prozent des Volumens der AT1-Bonds europäischer Banken aus. Der Markt ist kein Federgewicht: Von 2011 bis heute haben europäische Banken AT1-Bonds im Gesamtwert von umgerechnet rund 370 Milliarden Franken herausgegeben.

Heiss diskutiertes Thema

Bereits bei der Einführung der Coco nach der Finanzkrise war der Einfluss der Aufsichtsbehörden ein in Fachkreisen heiss diskutiertes Thema. Wie stark könnten und würden die Behörden im Krisenfall die Eigentumsrechte der Obligationäre beschneiden und wie extensiv würden sie ihren Ermessenspielraum interpretieren?

Vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in St. Gallen, das wohl noch einige Zeit auf sich warten lassen wird, darf man sich diesbezüglich zumindest für Coco in der Schweiz Klärungen versprechen.

Handlungsbedarf für Behörden und Banken

Nach dem Fall CS gehen aber auch die Behörden weltweit über die Bücher und überlegen sich, die Spielregeln für AT1-Bonds anzupassen. Ein heikler Punkt ist die Definition des Triggers, also des Auslösers für die Abschreibung respektive die Umwandlung in Aktienkapital. Handlungsbedarf haben aber auch Banken ausgemacht.

So hat UBS mit einer Statutenänderung an der letzten Generalversammlung sichergestellt, dass neue AT1-Bonds im Ernstfall künftig in Aktien der Grossbank gewandelt und nicht mehr abgeschrieben würden. Damit wird verhindert, dass wie bei CS die Gläubigerhierarchie auf den Kopf gestellt wird und Aktionäre finanziell weniger gerupft werden als Obligationäre.