Die vom russischen Präsidenten angekündigte Teilmobilmachung hat die Finanzmärkte nicht verstört. Grösser ist die Angst vor dem Gespenst der Stagflation.
Die vom russischen Präsidenten Wladimir Putin in einer Fernsehansprache angekündigte Teilmobilmachung der eigenen Streitkräfte hat die Verunsicherung an den Finanzmärkten nochmals erhöht. Das Aufgebot von weiteren 300’000 Reservisten für den Krieg in der Ukraine sowie die wiederholte Drohung eines Einsatzes von nuklearen Waffen schürten Befürchtungen um eine weitere Eskalation.
Zündstoff bargen ausserdem die tags zuvor gemachte Ankündigungen mehrerer von Moskau besetzten Gebiete in der Ukraine, noch in dieser Woche über einen Beitritt zur Atommacht Russland abzustimmen. Solche Entscheide gelten als Scheinreferenden, weil sie ohne Zustimmung der Ukraine, unter Kriegsrecht und nicht nach demokratischen Prinzipien ablaufen. Sie verschaffen aber Russland die Möglichkeit zur Mobilmachung, weil argumentiert werden kann, dass «eigenes» Territorium bedroht wird.
Abgabedruck im Euro
An der Währungsfront verlor die Einheitswährung nach den russischen Verlautbarungen rund ein Prozent. Gemäss Analysten dürfte der Euro, der in diesem Jahr gegenüber dem Dollar fast 13 Prozent verloren hat, weiterhin zur Schwäche neigen. Als Hauptursache dafür gilt, dass sich Europa wegen der Energiekrise bereits am Rande einer Rezession befindet.
Die Kursverluste des Euro wurden indessen abgefedert durch die Erwartungen einer kräftigen Zinserhöhung in den USA. An den Märkten wird am (heutigen) Mittwochabend inzwischen mit einer dritten Zinserhöhung um 75 Basispunkte in Folge gerechnet. Dies, nachdem der jüngste Teuerungsanstieg die Hoffnungen zerschlagen hatte, der Höhepunkt der Inflation sei in den USA bereits erreicht.
Dr. Doom wieder im Element
Insofern ist das Säbelrasseln von Putin derzeit nicht die Hauptsorge an den Finanzmärkten. Für Stirnrunzeln sorgt vielmehr, ob der amerikanischen Wirtschaft trotz wiederholten Zinserhöhungen eine sanfte Landung gelingt.
Sehr skeptisch ist der Ökonomen Nouriel Roubini, der die Finanzkrise von 2008 richtig vorausgesagt hatte. Gemäss der Nachrichtenagentur «Bloomberg» (Artikel kostenpflichtig) erwartet er eine lange und hässliche Rezession in den USA und weltweit, die das ganze Jahr 2023 andauern könnte.
Zombies müssen sterben
Wenn die Zinsen steigen und die Kosten für den Schuldendienst zunehmen, würden viele Zombie-Institutionen, Zombie-Haushalte, Unternehmen, Banken, Schattenbanken und Zombie-Länder sterben, prophezeit die Kassandra.
Wegen der ungebändigten Teuerung bei den Löhnen und im Dienstleistungssektor werde die amerikanische Notenbank wahrscheinlich keine andere Wahl haben, als den Leitzins in Richtung 5 Prozent anzuheben, ist Roubini überzeugt.
Darüber hinaus würden negative Angebotsschocks durch die Pandemie, den Russland-Ukraine-Konflikt und Chinas Null-Covid-Toleranz-Politik zu höheren Kosten und einem geringeren Wirtschaftswachstum führen.
Gespenst der Stagflation
Wenn die Welt erst einmal in der Rezession steckt, erwartet Roubini keine fiskalischen Anreize mehr, da den zu hoch verschuldeten Regierungen die fiskalische Munition ausgehen werde. Aus diesen Gründen rechnet Roubini mit einer Stagflation, also einer Kombination von Inflation und Rezession, wie in den 1970er-Jahren und eine massive Verschuldung wie in der globalen Finanzkrise.