Der renommierte Wirtschaftsprofessor Kenneth Rogoff sieht die Entwicklung der europäischen Wirtschaft auch wegen des Ukraine-Kriegs deutlich pessimistischer als andere Ökonomen. Aber auch die Amerikaner müssen in einen sauren Apfel beissen, findet er.
Kenneth Rogoff geht davon aus, dass die Zinsen in den kommenden Jahren noch weiter steigen werden und auf einem hohen Plateau verharren werden.
Der ehemalige Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF) sagt deshalb für den Rest des Jahrzehnts in den USA einen Nominalzins der zehnjährigen Staatsanleihen voraus, der im Durchschnitt über 4 Prozent liegt.
Gleichzeitig würden auch die realen Zinssätze sowie die Inflation wahrscheinlich höher liegen, sagte er in einem Interview auf «Bloomberg TV» (Artikel kostenpflichtig).
Spätfolgen der Finanzkrise
Rogoff bezeichnete den Anstieg der realen, inflationsbereinigten Zinssätze als eine Umkehrung des starken Rückgangs, der nach der Finanzkrise vor mehr als zwölf Jahren zu beobachten war.
Derzeit liegt die Rendite der zehnjährigen Staatsanleihen bei 3,7 Prozent. Nach der Finanzkrise von 2008 lag das jährliche Wirtschaftswachstum von 2009 bis 2020 im Durchschnitt bei 2,4 Prozent.
Angehobene reale Zinsen
Der Harvard-Professor schätzt, dass sich die realen Zinssätze «irgendwo zwischen 1 und 2 Prozent» einpendeln werden. Zum Vergleich: vor der Pandemie lag der Satz nach Ansicht vieler Ökonomen bei etwa einem halben Prozent.
Darüber hinaus sagte Rogoff, dass die amerikanische Notenbank Schwierigkeiten haben wird, die Inflation bei 2 Prozent zu halten. Die höheren Staatsschulden, gestiegene Verteidigungsausgaben und der populistische Druck würden es der Notenbank nicht leicht machen, die Inflation auf dieses Ziel zu drücken.
Verteidigungsausgaben heizen Inflation an
Der renommierte Wissenschaftler ist auch für Europa deutlich pessimistischer als andere Ökonomen. Deutlich wurde dies am Weltwirtschaftsforum (Wef) in Davos, wo er schon anfangs Jahr eine tiefe Rezession in Europa voraussagte.
Nach Ansicht von Rogoff muss Europa künftig viel mehr in die Sicherheit investieren. Die steigenden Ausgaben für Verteidigung auch in den anderen Weltregionen sei einer der Gründe, warum die Inflation noch lange hoch bleibe.
Weitere Schocks in Europa
Ein weiterer Grund für die hartnäckige Teuerung sei die grüne Energie, für die weltweit etwa dreimal so viel ausgegeben werde müsse als derzeit. Solange die Ungewissheit in Europa bleibe, würden Investitionen im grossen Stil ausbleiben. Ausserdem müsse man sich auf weitere Schocks einstellen.
Mit der jüngsten Eskalation im Ukrainekrieg hat Rogoff einmal mehr recht behalten.