Nein. Natürlich würden die Preise hochgehen, aber nicht in dem für eine Stagflation nötigen Ausmass. Im Moment liegen die Preise etwa 20 bis 25 Prozent höher als Anfang Jahr. Aber für das Stagflations-Szenario wie damals in the 1970er-Jahren bedürfte es einer Steigerung um 200 Prozent. Ich glaube nicht, dass wir eine Rezession erleben werden – sofern natürlich die Situation nicht noch viel schlimmer wird.

Dann gibt es für die SNB auch keinen Grund mehr, noch weiter zu intervenieren?

Die SNB hat am Anfang der Krise am Devisenmarkt interveniert und später wieder aufgehört, als der erste Schock vorbei war und der Euro sich stabilisierte.

«Die SNB braucht schlicht nicht eine Billion, um ihre Geldpolitik betreiben zu können»

Es sieht ganz danach aus, als ob der Markt anfänglich eine viel schlimmere Auswirkung der Krise auf die Wirtschaft erwartet hatte. Ungefähr um den 7. März herum setzte aber die Gegenbewegung ein, mit der Erwartung, dass die Auswirkungen geringer als befürchtet sein werden und so hat sich die Situation an den Märkten beruhigt.

Mit ihren Interventionen am Devisenmarkt hat die SNB einmal mehr ihre Bilanz vergrössert, ist das ein Problem?

Das war nun eine kurzfristige Handlung und als solches kein Problem. Aber natürlich ist die Bilanz der SNB ein Problem.

Warum?

Weil sie eine Billion an Vermögenswerten verwalten muss und gleichzeitig Geldpolitik betreibt. Beides sind Vollzeitaufgaben. Die SNB braucht schlicht nicht eine Billion, um ihre Geldpolitik betreiben zu können, was jeweils als Argument herangezogen wird. Ob es jetzt 100 Milliarden oder 500 Milliarden braucht, will ich nicht beurteilen, aber eine Billion braucht es sicher nicht.

Wer entscheidet denn in dieser Frage?

Das Parlament. Es ist der Souverän, der darüber zu entscheiden hat.

Was passiert mit der Bilanz, wenn wir wegen der Krise in einen Bärenmarkt geraten?

Ich möchte sicher nicht in der Haut derjenigen stecken, die der Öffentlichkeit den Verlust von, sagen wir mal, 300 Milliarden Franken erklären müssen. Dies würde zu einem ungeheuren Druck auf die Verantwortlichen führen.

«Es wäre sehr vorteilhaft, wenn die SNB einen Teil der Assets abgeben könnte»

Dies ist genau das Albtraum-Szenario für eine Zentralbank: Etwas, was komplett ausserhalb des Einflusses der Geldpolitik liegt, aber einen enormen Sturm in der Öffentlichkeit entfacht, mit einem gewaltigen Rechtfertigungsdruck auf die Verantwortlichen. Dies sollte unter allen Umständen vermieden werden, und genau darum wäre es sehr vorteilhaft, wenn die SNB einen Teil der Assets abgeben könnte.

Was genau befürchten Sie?

Dass das Management dieser Vermögenswerte zum Kernthema der SNB wird. Und damit ihre Aufmerksamkeit von der eigentlichen Aufgabe, der Geldpolitik, ablenkt. Das Leben der SNB wird einfacher, wenn die Bilanz kleiner ist.

Man kann sich auch vorstellen, dass das Management der riesigen Summen einen Einfluss auf die Geldpolitik erhält. Lassen Sie mich ein Beispiel machen: Wenn die Zinsen in die falsche Richtung gehen, müssen wir mit einem grossen Verlust auf der Bilanz rechnen. Und plötzlich schauen sie nicht mehr auf die eigentlichen Ziele der Geldpolitik, sondern etwas anderes, nämlich die Bilanz.

Zurück zum Krieg: Viele Banken haben einen gewisse Exponiertheit gegenüber russischen Geldern. Wie gefährlich ist dies aus ökonomischer Sicht?

Aus Schweizer Sicht geht es in erster Linie um die Reputationsfrage. All die vielen Banken hierzulande müssen einzeln sicherstellen, das die Sanktionen mitgetragen werden. Denn das Image, als Land von schmutzigen Geschäften von Banken zu profitieren, ist nicht gerade hilfreich. Und die Bankenindustrie ist sehr gewichtig in der Schweiz. Ein Teil der Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der EU mögen von diesen Reputationsrisiken herrühren.

Und abgesehen von den Reputationsrisiken?

Was mir generell Sorge bereitet ist das Risiko für die finanzielle Stabilität. Konkret, dass eine Bank wegen einem einzelnen Hochrisiko-Trade an einem Freitagabend merkt, dass sie bankrottgehen wird. Während einer Krise kann es zu grossen Ausschlägen bei den Preisen kommen kann und so kann eine schlechte Wette katastrophale Auswirkungen haben.

«Die meisten schiefgegangenen Wetten haben einen betrügerischen Aspekt oder Hintergrund»

Es gibt keinerlei Hinweise, dass es eine Bank gibt, in der Schweiz oder anderswo, bei der solche Risiken existieren, aber es ist definitiv meine Sorge, dass die Russlandkrise den Preis eines Assets in die falsche Richtung treibt, und dass jemand irgendwo eine massive Wette eingegangen ist, die eine Bank in den Bankrott treibt. Und dies kann dann zu einer Kettenreaktion wie damals bei den Lehman Brothers führen.

Aber wir haben ja immerhin die ganzen Compliance-Abteilungen und Risikoabwägungen. Die sollten eigentlich gegen sowas schützen?

Natürlich sollten die ganzen Risikomanagementvorkehrungen diese verhindern. Aber vergessen wir nicht: Die meisten schiefgegangenen Wetten haben einen betrügerischen Aspekt oder Hintergrund.


Stefan Gerlach ist Chefökonom der EFG Bank in Zürich. Der 64-jährige schweizerisch-schwedische Doppelbürger war von 2011 bis 2015 Vizepräsident der Irischen Zentralbank und nahm an den Sitzungen des EZB Governing Council teil. Davor war er Professor für Monetary Economics und Managing Director am Institute for Monetary and Financial Stability an der Goethe Universität in Frankfurt. Er war auch Mitglied der Expertengruppe in Geldpolitik des Europäischen Parlaments. Von 2005 bis 2007 arbeitete Gerlach als Sekretär des Komitees zum Globalen Finanzsystem an der BIZ in Basel. Von 2001 bis 2004 war er als Exekutivdirektor und Chefökonom der Hong Kong Monetary Authority und Direktor des Hong Kong Institute for Monetary Research tätig.