Die ungebremste Ausdehnung ihrer Bilanz könnte für die Schweizerischen Nationalbank zunehmend zum politisches Problem werden. Das sagt ein Ex-Zentralbanker zu finews.ch, der genau weiss, wo die Gefahren lauern.
Dass ein stabiler Franken fürs Wohlbefinden des Werkplatzes Schweiz von grosser Bedeutung ist, steht ausser Frage. Die stete Ausweitung der Bilanz der Schweizerischen Nationalbank (SNB) aber führt Risiken mit sich – und die sind nicht ohne.
«Das grösste Risiko für die Nationalbank ist sicherlich ein indirektes, welches durch den politischen Druck entsteht: dass nämlich die Bank aus welchem Grund auch immer gezwungen wird, in einer schwierigen Situation zu verkaufen, damit einen Verlust zu macht und möglicherweise sogar den Franken zu stärket,» erklärte Jean-Pierre Danthine, der ehemalige Vizepräsident der SNB, in einem Gespräch mit finews.ch.
Begehrlichkeiten geweckt
Da spielen die Erwartungen des Marktes hinein: Wenn die Devisenhändler zur Einsicht gelangen, dass die Hände der SNB durch den stärker werdenden politischen Druck gebunden sind, ergibt dies ein echtes Problem für den Franken.
Soweit ist es offenkundig noch nicht, aber die Währungshüter müssen sich mehr denn je gegen Begehrlichkeiten wehren. Die riesigen Summen, welche die Bank aus dem Nichts, respektive Kraft ihres Monopol zum Geldschöpfen produziert, verleiten natürlich dazu.
Umverteilung der Strafzinsen
Der jüngste dieser Vorstösse stammt vom Bund der Steuerzahler, einem bürgerlichen Komitee. Im Chor mit Gewerkschaftsvertretern verlangt die Vereinigung, dass die Strafzinsen, welche Banken für ihre Barbestände an die SNB abführen, der AHV zugeführt werden sollen. Die Strafzinsen belaufen sich gegenwärtig auf etwa 2 Milliarden Franken pro Jahr.
Der Vorstoss erscheint gemässigt in Ton und Inhalt und hat deshalb keine schlechten Aussichten. Anders als etwa die Idee eines Staatsfonds wäre die Auszahlung der Strafzinsen an die AHV nicht mit einer Devisentransaktion verbunden (da von Schweizer Banken in Franken bezahlt) und deshalb neutral für die Geldpolitik.
Wie norwegisches Öl
Der Idee des Staatsfonds nämlich, welche in Anlehnung an den norwegischen Ölfonds vorgeschlagen wurde, leidet an einem Problem, dass für die SNB äusserst kritisch ist: «Die riesige Bilanz der SNB gleicht gewissermassen einem Staatsfonds,» sagt auch Danthine. «Aber die Bilanz muss der Geldpolitik untergeordnet bleiben. Wenn man Erlöse in einen externen Fonds auslagerte, würden die Möglichkeiten der Bank, ihre Bilanz zu reduzieren, beschränkt. Und um die Bilanz zu reduzieren, müssen ausländische Werte verkauft werden – und dies beeinflusst die Geldpolitik.»
Grundsätzlich ist auch Danthine wie die SNB der Meinung, dass die ausländischen Währungsreserven am besten investiert werden. Letztlich entspricht die Stärke des Franken dem Wert von Öl, weil ausländische Investoren mit ihren Frankenkäufen ihre Wertschätzung für die wirtschaftliche und politische Stabilität der Schweiz zum Ausdruck bringen, so Danthine. «Der Franken ist ein sicherer Hafen, und diese Funktion wiederum ist ein Beiprodukt der guten Wirtschaftspolitik der Schweiz.»
Interventionen ohne Ende
Gleichzeitig zeigt sich immer deutlicher, dass die zweigleisige Strategie von Negativzinsen und Devisenmarkt-Interventionen die obengenannten Risiken befeuern. Und ob die Instrumente auch wie gewünscht wirken, ist wissenschaftlich kaum belegbar.
Die SNB setzt seit Jahren aufs Instrument Negativzins und Devisenmarkt-Interventionen, um den Franken davor zu bewahren, dass er gegenüber den wichtigsten Devisen übermässig zulegt. Und trotzdem hat die Landeswährung in den vergangenen Monaten wieder massiv an Wert gewonnen. Allein seit letzten Mai ist der Franken gegenüber dem Euro um etwa 6 Rappen teurer geworden.
In den vergangenen Wochen hat die SNB wohl vermehrt eingegriffen, um dem neuerlichen Höhenflug des Frankens ein Ende zu bereiten. Die entsprechenden Statistiken – die Sichteinlagen – der SNB sind jedenfalls Woche für Woche in die Höhe geschossen. Das Total der Aktiven der SNB ist seit Beginn des Jahres bis Ende Juli um fast 25 Milliarden auf kanpp 842 Milliarden gestiegen, hauptsächlich aufgrund von steigenden Devisenanlagen. Zum Vergleich: die Schweiz hatte letztes Jahr ein Bruttoinlandproduct von knapp 690 Milliarden Franken.
Druck von Wirtschaftsweisen und der Politik
«Die Negativzinsen und der damit verbundene Rückganz der Zinsmargen haben das Bankensystem und die Geldpolitik geschwächt,» schrieb der ehemalige Chefökonom der SNB, Kurt Schiltknecht, vor einem Jahr in der «NZZ».
Der einflussreiche Experte zeigte auf, dass eine expansive Geldpolitik normalerweise über eine Erhöhung des Kreditangebotes zu einer Wirtschaftsbelebung führt. Da aber die Gewinne der Banken durch die Negativzinsen geschmälert wurden, minderte sich ihre Risikofähigkeit, und deshalb verpuffte dieser Input durch die SNB, so Schiltknecht.
Dass mit den Banken und den Pensionskassen ein gewichtiger Wirtschaftsmotor der Schweiz durch die Negativzinsen unter Druck geriet, ist hinlänglich bekannt und beschrieben. Dieser Druck auf die Bankenwelt und auf die Vorsorgegelder führte aber auch zu einem zweiten, vielleicht noch gefährlicheren Risiko – dem politischen Druck.
Der schwierige Weg zurück
Wenn die SNB dem Risiko der politischen Beeinflussung entkommen will, wird sie über kurz oder lang ihre ausländischen Währungsbestände reduzieren und die Franken aus der Zirkulation nehmen müssen. Namhafte Vertreter der Ökonomiezunft – Schiltknecht, ex-UBS Chefökonom Klaus Wellershoff, aber auch Stefan Gerlach (ebenfalls in der «NZZ»), ehemaliger Vize der irischen Zentralbank und Chefökonom der EFG – haben angemahnt, mit der Normalisierung der Geldpolitik nicht zuzuwarten.
Als im 2018 der Wirtschaftsmotor auf Hochtouren lief, keinerlei Inflationssorgen herrschten, die Arbeitslosigkeit auf niedrigstem Niveau verharrte und ein Exportboom der Wirtschaft Rekordgewinne bescherte, hätten sie sich gewünscht, dass die SNB eine Trendwende in die Wege geleitet hätte.
Das hat sie aber nicht getan, und jetzt trübt sich der Konjunkturhimmel ein. Man darf gespannt sein, welche nächsten Entscheidung SNB-Präsident Thomas Jordan und seine Kollegen im Direktorium treffen werden.