Die Finanzindustrie setzt immer stärker auf elektronische und vernetzte Systeme. Die Kehrseite der Medaille ist, dass sie sich damit immer verletzbarer macht. Das schreibt Prinz Michael von Liechtenstein in einem exklusiven Essay für finews.ch.


Dieser Beitrag ist Teil der neuen Serie «Eine Zukunftsvision für die Vermögensbetreuung». Der zweite Beitrag unter dem Titel «Betreuen Sie noch Kunden oder schon Menschen?» erscheint am 17. Dezember.


Seit jeher ist privates Vermögen bedroht. Einerseits auf Grund politischer und wirtschaftlicher Risiken, andererseits aber auch auf Grund von Gefahren, die sich aus dem familiären Umfeld ergeben. Man denke beispielsweise an äusserst konsumfreudige Nachkommen, einen nicht geregelten Erbgang oder an einen Scheidungsfall, der sich in einen Rosenkrieg verwandeln kann.

So weit so gut, mag sich nun jemand denken, das sei ja nichts Neues. In der Zwischenzeit aber hat sich leise eine weitere Gefahr eingeschlichen, die von vielen Leuten noch weit unterschätzt wird: Big Data. Big Data wird die Finanzindustrie in der Zukunft vor grosse Herausforderungen stellen. Doch beginnen wir von vorne:

«Die Daten werden im Hintergrund von zig weiteren Schnittstellen interpretiert»

Mit Beginn des 21. Jahrhunderts hat die Menschheit nicht nur eine Jahrtausend-Schwelle überschritten, sondern auch eine an schwindelerregendem Tempo zunehmende, technologische Entwicklung erfahren. Die Möglichkeit, beispielsweise in Sekundenschnelle an Informationen aus der ganzen Welt zu gelangen, ist innerhalb einer sehr kurzen Zeitphase grenzenlos geworden.

Heute gibt es kaum mehr jemand, der nicht einen kleinen Hochleistungs-Computer namens Smartphone in der Tasche hat und darüber etliche (wenn nicht gar alle) privaten und geschäftlichen Aktivitäten abwickelt. Die damit verbundenen Daten werden dabei aber nicht bloss an die vermeintlichen Empfänger übertragen, sondern im Hintergrund von zig weiteren Schnittstellen abgenommen, gesammelt, analysiert und interpretiert.

Mit dem Ziel, interessante Profile und Prognosen ableiten zu können. Doch für wen? Die Marketingindustrie? Die Konkurrenz? Für Kriminelle? Oder vielleicht Staaten? Und zu welchem Zweck? Das Unbehagen wird mitunter gross sein, wenn sich die Antworten auf solche Fragen in der Zukunft abzuzeichnen beginnen.

«Wir werden Bedürfnisse kennen, noch bevor jemand selbst davon weiss»

Fakt ist, dass gerade die Verwertbarkeit der gesammelten und verarbeiteten Daten das vielbeschworene Gold der Zukunft sein wird. Und dementsprechend auch Begehrlichkeiten wecken wird. Damit stehen bestimmte Branchen der Finanzindustrie – allen voran Versicherungen, Banken, Vermögensverwalter, Family Offices oder Treuhänder – am Beginn eines neuen Zeit-Zyklus‘, in dem der Schutz von Kunden- und Vermögensdaten zwar nicht unbedingt eine neue, aber eine noch viel gewichtigere Dimension erfahren wird als bisher.

Denn mit Big Data stehen sich künstliche Intelligenz und menschliche Sorgfalt gegenüber. Und hinter jeder künstlichen Intelligenz stecken Menschen mit bestimmten Absichten, was Aussagen verdeutlichen wie etwa: «Wir werden Bedürfnisse kennen, noch bevor jemand selbst davon weiss.»

Es zeichnet sich ab, dass die Finanzindustrie immer stärker auf elektronische und vernetzte Systeme setzt. Die Kehrseite der Medaille ist, dass sie sich damit immer verletzbarer macht. Wenn Finanzdienstleistungen immer stärker standardisiert und Kunden kategorisiert werden, werden sich die Kundenbedürfnisse in absehbarer Zukunft dem System anpassen müssen.

«Technologien werden nie die Komplexität von Lebenssituationen erfassen können»

Wenn die Digitalisierung von Kunden- und Vermögensdaten immer mehr Einzug hält, wird die Angriffsfläche von Unternehmen immer grösser und die Datensicherheit wird zur Achillesferse. Wenn die persönliche Beratung immer mehr in den Hintergrund gedrängt wird, dann wird ein möglicher Systemzusammenbruch zum Damoklesschwert.

Technologien können Profile erstellen und auswerten, aber sie werden nie die ganze Komplexität von menschlichen Lebenssituationen erfassen können. Ja, menschliche Fehler sind immer möglich, aber sie können korrigiert werden, und das Ausmass des Schadens bleibt überschaubar. Systemfehler aber können zu Fehlsteuerungen oder gar zu einem Totalzusammenbruch führen.

Der Fall Wikileaks hat gezeigt, wie leichtfertig beispielsweise Behörden mit höchst vertraulichen Daten umgegangen sind. Ein Fall Wikileaks kann auch der Finanzindustrie passieren.

«Eine Balance von künstlicher Intelligenz und menschlicher Sorgfalt muss erhalten bleiben»

Fintech revolutioniert zurzeit die traditionelle Finanzindustrie und wird sich ohne Zweifel bereits mittelfristig am Markt behaupten können. Diese Disziplin wird etliche interessante und lukrative Chancen hervorbringen, aber auch viele Unwegsamkeiten bereithalten. Deshalb sollten sich Finanzakteure von all den Möglichkeiten, die sich aus technologischem Fortschritt ergeben, nicht blenden lassen und sich stets im Bewusstsein bewahren, dass eine gesunde Balance von künstlicher Intelligenz und menschlicher Sorgfalt erhalten bleiben muss. Und dass auch die beste elektronische Firewall ihre Schwächen hat.

Im Sinne der Wealth Preservation bedeutet Vermögensschutz deshalb, sich nicht nur mit den politischen, wirtschaftlichen und familiären Risiken und Gefahren auseinanderzusetzen, sondern auch frühzeitig und auf allen Ebenen jene Risiken zu identifizieren, die mit dem technologischen Fortschritt einhergehen.

Die Herausforderungen für die Finanzindustrie werden insbesondere darin liegen, die neuen Risiken herauszufiltern und ins Risikomanagement zu integrieren. Den sorgfältigen Umgang mit Kunden- und Vermögensdaten noch viel stärker im Bewusstsein der Mitarbeitenden zu verankern. Und die Notwendigkeit der finanziellen Privatsphäre und die Umsetzung von damit einhergehenden Massnahmen zur obersten Prämisse zu erheben.


S.D. Prinz Michael von und zu Liechtenstein ist Chairman von Industrie- und Finanzkontor Etablissement sowie Gründer und Chairman des in Vaduz ansässigen geopolitischen Informations- und Beratungsdienstes Geopolitical Information Service und Präsident des Stiftungsrates des liberalen Think Tanks European Center of Austrian Economics Foundation in Vaduz.

Der Industrie- und Finanzkontor, gegründet 1948, ist ein unabhängiges, liechtensteinisches Treuhandunternehmen mit internationaler Ausrichtung und beschäftigt rund 50 Mitarbeitende. Das Unternehmen ist spezialisiert auf den langfristigen und generationenübergreifenden Vermögenserhalt (Wealth Preservation), insbesondere von Familien und Unternehmern. Die Wurzeln liegen im Hause Liechtenstein.