Der Börsenexperte Marc Faber hat den am Montag verstorbenen Gründer Singapurs persönlich gekannt. Im Interview erinnert sich der Schweizer an Lee Kuan Yew.
Herr Faber, wo und wie haben Sie Lee Kuan Yew kennengelernt?
Ich hatte vor langer, langer Zeit eine Freundin in Singapur, deren Vater zusammen mit Lee Kuan Yew diesen Staat gegründet hatte und damals Justizminister war. Ich war an seinen Geburtstag eingeladen, und Lee Kuan Yew war auch da.
Wie haben Sie diesen Menschen erlebt?
Von all den Menschen, denen ich in meinem Leben begegnet bin, war er sicherlich die herausragendste Persönlichkeit. Er besass ein ausserordentliches Charisma, das jeden Raum füllte. Er war für mich ein ganz grosses Vorbild, selbst wenn ich nicht in allem seine Meinung teilte, schliesslich war er ein Autokrat – aber ein guter.
Was sind rückblickend seine Verdienste?
Wie es der Titel seiner Autobiographie «From Third World to First» besagt, hat es Lee Kuan Yew geschafft, innert weniger Jahrzehnte eine kleine und mausarme Stadt in einen unabhängigen Staat zu verwandeln, der heute zu den reichsten dieser Welt gehört.
Singapur hat eine breit diversifizierte Wirtschaft, und die Menschen geniessen einen hohen Grad an Freiheit, eine gute Ausbildung und vor allem Sicherheit. Das ist nicht selbstverständlich und muss als eine der grossen Leistungen unserer Epoche estimiert werden. Das ist Lee Kuan Yews Verdienst.
Was hat Sie persönlich am meisten beeindruckt an dieser Persönlichkeit?
Er zählte zu den ganz wenigen ehrlichen Politikern. Ursprünglich und bis in die früheren neunziger Jahre hinein haben ihn die Amerikanern heftig kritisiert und unter Druck gesetzt.
Ich habe ohnehin grossen Respekt für Menschen, die sich gegen die amerikanische Doppelmoral und die von Machtgelüsten geprägte «Nationenbildung» wehren. Als er Singapur zu dem gemacht hatte, was es heute ist, waren plötzlich auch die Amerikaner auf seiner Seite. Wie gesagt, es sind Heuchler.
Ist das Erreichte in Singapur nun in Gefahr?
Das glaube ich nicht. Die Regierung hatte ausreichend Zeit, um sich auf die Ära nach Lee Kuan Yew vorzubereiten. Schon heute besteht die Regierung aus fähigen Ministern, die sämtlichen ethnischen Gruppen Singapurs entstammen.
Singapur hat es in den vergangenen Jahrzehnten auch verstanden, eine einzigartige Reputation als internationales Finanzzentrum aufzubauen, wo viele Schweizer Banken eine wichtige Rolle spielen. Hat der Tod von Lee Kuan Yew einen negativen Einfluss darauf?
Nein überhaupt nicht. Die Banken sind Teil dieses Erfolgsmodells. Dennoch muss man sich bewusst sein, dass auch in Singapur die Einkommens- und Vermögensschere immer weiter aufgeht. Darum dürften bei den nächsten politischen Wahlen populistische Gruppierungen substanzielle Stimmengewinne erzielen.
Die grosse Herausforderung für die aktuellen Machthaber wird dann sein, mit Subtilität und Geschick dieser Stimmung Rechnung zu tragen. Noch halten sie die Zukunft Singapurs in ihren Händen.
Der 69-jährige Marc Faber ist der bekannteste Schweizer Börsenexperte. Er studierte Wirtschaftswissenschaften und doktorierte an der Universität Zürich. Vor nunmehr 42 Jahren wanderte er nach Asien aus und zählt seither zu den besten Kennern dieses Kontinents. Faber wird oft als Untergangsprophet und «Dr. Doom» bezeichnet, was nur die halbe Wahrheit ist. Denn mit seinem profunden Investment-Know-how hat er auch zahlreiche Börsenhaussen prognostiziert und dabei gut verdient.