John Ions behält im Übernahmepoker um GAM kühlen Kopf. Der Chef der britischen Konkurrentin Liontrust hofft, die sich gegen sein Kaufangebot sträubenden Investoren noch zu überzeugen. Und er beteuert gegenüber finews.ch, dass er beim Schweizer Fondshaus nicht einen Abbau, sondern Wachstum anstrebt.
Herr Ions, der Widerstand gegen Ihr Übernahmeangebot für GAM hat sich formiert. Eine Investorengruppe, in welcher der französische Milliardär Xavier Niel vertreten ist, hält 8,6 Prozent an der Fondsfirma und hat nun bei der Übernahmekommission formell Einsprache gegen die Modalitäten der Transaktion eingelegt. Wurde Liontrust von der Aktion überrascht?
Nein, jene Investoren haben ihre Forderungen ja schon zuvor bekanntgemacht. Wir lassen uns davon nicht beirren: Unser Angebot wird vom GAM-Verwaltungsrat gestützt, und wir haben bereits gegen 20 Prozent der GAM Aktionärsstimmen hinter uns. Wir sind der Meinung, dass unser Angebot sowohl das enorme Potenzial der Übernahme reflektiert, aber auch die Arbeit und die Investitionen, die es braucht, um dieses Potenzial zu realisieren.
Die Investoren Bruellan und NewGAMe, Rock Investment sowie Phoenix Insurance bezeichnen das Angebot von Liontrust als unfair. Das sind deutliche Worte. Was entgegnen Sie?
Schauen Sie, jeder hat ein Anrecht auf eine eigene Meinung. Wir hoffen, dass die Gruppe ihre Einstellung zum Angebot noch ändern, wenn sie unsere Pläne für GAM besser verstehen.
«Der Firma würde im Verlaufe des nächsten Jahres das Geld ausgehen»
Wir glauben nicht, dass unser Angebot unfair ist – wäre es das, hätten wir doch von alternativen Geboten gehört. Unser Angebot ist bisher das einzige, das bei GAM offiziell eingegangen ist.
Haben Sie mit diesen Akteuren gesprochen?
Nein, noch nicht.
Liontrust will den Übernahmepreis mit eigenen Aktien begleichen. Ebenfalls liegt der Preis mit einem Gegenwert von umgerechnet 107 Millionen Franken deutlich unter der Börsenbewertung von GAM zum Zeitpunkt des Angebots. Müssen Sie nun nachbessern?
Wenn wir den Aktienkurs von GAM vor Monatsfrist betrachten, bezahlen wir mit unserem Angebot sogar eine Prämie. Seither ist der Kurs gestiegen, das müssen wir akzeptieren. Wenn man die aktuelle finanzielle Lage von GAM in Betracht zieht, mit einem substanziellen IFRS-Verlust von 290 Millionen Franken im Jahr 2022 und stark verminderter Liquidität, muss unser Angebot als sehr fair erscheinen. Wir sagen: mit der Kombination der beiden Firmen steigen unsere Chancen enorm, erfolgreich zu sein. Es geht um mehr als nur den Preis.
Nun muss sich die Übernahmekommission nochmals über die Transaktion beugen. Sie haben die schlechte finanzielle Verfassung von GAM angesprochen – läuft dem Unternehmen die Zeit davon?
Wenn der gegenwärtige Trend betrachtet wird, würde der Firma im Verlaufe des nächsten Jahres das Geld ausgehen. GAM braucht frisches Kapital, um das Potenzial des Unternehmens zu erschliessen.
Wie hatte es soweit kommen können, aus Ihrer Sicht?
Das Geschäftsmodell war über die Jahre zu kompliziert geworden. Und als die operativen Probleme zugenommen haben, ging der Fokus verloren, worin das Unternehmen wirklich gut ist. In der Folge waren die vergangenen fünf Jahre schwierig für GAM.
Und worin ist GAM gut?
Was mich in meinen Gesprächen mit Mitarbeitenden in London und in Zürich sehr beeindruckt hat, ist der grosse Enthusiasmus für das Metier und die Professionalität, die weiterhin vorhanden sind.
«Im Moment, wo man mit Sparmassnahmen beginnt, macht man ein Unternehmen automatisch kleiner»
Die Performance der GAM-Fond ist ebenfalls fantastisch. Doch wenn im hoch regulierten Geschäft mit Institutionellen der leiseste Zweifel an der Zukunftsfähigkeit eines Asset Managers besteht, erhält dieser keine Vermögen zugeteilt. Das mussten Vertriebsleute von GAM bei Ausschreibungen immer wieder erleben. Die Kombination mit Liontrust wird nun die dringend nötige Stabilität zurückbringen.
Allerdings ist Liontrust als konstensensitiv bekannt. Wieviele Stellen bei GAM werden der Übernahme zum Opfer fallen?
In dem Moment, wo man mit Sparmassnahmen beginnt, macht man ein Unternehmen automatisch kleiner. Gemeinsam mit GAM haben wir die Möglichkeit das Unternehmen vorwärts zu bringen. Wenn ein Geschäft wächst, wird es mehr Rollen für qualifiziertes Personal brauchen.
Es gibt also keinen Abbau?
Weil wir vorwiegend in Grossbritannien präsent sind und GAM international aufgestellt ist, gibt es im Fondsmanagement und im Vertrieb kaum Überschneidungen. Natürlich wird es Synergien geben. Der Fokus liegt hier mehr auf London als auf der Schweiz. GAM sucht ebenfalls einen Käufer für das Fund Management Services Geschäft. Wir sind zuversichtlich, dass dieser die meisten der bestehenden Mitarbeitenden weiter beschäftigen kann. Liontrust hat in den vergangenen sechs Jahren mehrere Firmen erfolgreich integriert. Insofern weiss unser Management-Team, was es tut.
Einem Analysten zufolge ist das Management von Liontrust bei den zu erwarteten Kosten für die Restrukturierung zu optimistisch. Hat er recht?
Dieser Beobachter kennt möglicherweise nicht die ganzen Fakten. Normalerweise stellt sich bei einem solchen Zusammenschluss etwa das Problem der langjährigen Mietverträge: GAM hat Büros in London, wir auch. Die Mieten müssen weiter bezahlt oder teuer abgelöst werden. Doch wir haben Glück. Der Mietvertrag von Liontrust ist dabei auszulaufen aus, und wir können im Rahmen der Integration in die Büros von GAM ziehen. Dort ist sogar ein ganzes Stockwerk frei.
«Starallüren entstehen, wenn die Firmenführung solche zulässt»
Ausserdem: Wir sind in Grossbritannien ein börsenkotiertes Unternehmen, entsprechend wird unser Plan für die Übernahme von einer grossen Revisionsfirma sowie von einem so genannten Sponsor der Aufsichtsbehörde bis ins Detail geprüft. Da kämen Rechnungsfehler schnell zum Vorschein.
Bei einem Zusammenschluss spielen ja nicht nur Kennzahlen eine Rolle, sondern vor allem die Kultur. GAM hat in der Vergangenheit dem Konzept des Star-Fondsmanagers gehuldigt, was sich dann auch gerächt hat. Wie passt das zu Ihrer Firma, die stark auf institutionelle Bedürfnisse ausgerichtet ist?
Die Frage nach dem kulturellen Fit ist uns sehr wichtig. Ich stelle bei beiden Unternehmen fest, dass sie über starke und klare Investmentprozesse verfügen und mit grosser Disziplin und viel Überzeugung investieren. In diesem Investment-Ansatz gleichen sich GAM und Liontrust. Der Starmanager ist meiner Meinung nach einer, der das Gefühl hat, erfolgreicher und einflussreicher zu sein als der Rest des Marktes. Doch der Erfolg kommt aus der Leistung des Teams, und das vermitteln wir auch so. Starallüren entstehen, wenn die Firmenführung solche zulässt.
Sie sagen es selber: GAM hat schwierige Jahre hinter sich. Allein in den vergangenen zwölf Monaten halbierte sich der Akteinkurs fast, die Verluste kletterten, Jobs wurden abgebaut, Kunden haben ihr Geld abgezogen. Wo verbirgt sich in diesem krisengeschüttelten Unternehmen der verborgene Wert, den Anleger und Kunden nicht mehr erkennen konnten?
Wir verbinden die starke Stellung von Liontrust in Grossbritannien mit dem internationalen Vertriebsnetz von GAM und seinen Investment-Kompetenzen. Die Firma hat sich über die Jahre einen hervorragenden Ruf als aktiver Vermögensverwalter erarbeitet, im Schweizer Aktien- sowie im Multiasset-Bereich für Schweizer Pensionskassen. GAM verfügt hier über eine der stärksten Marken in der Schweiz – auch wenn die Firma in den vergangenen Jahren Probleme hatte. Dieses fantastische Potenzial gilt es nun zu erschliessen. Liontrust hat den Schlüssel dazu.
John Ions hat im Jahr 2010 das Amt des Chief Executive von Liontrust Asset Management übernommen. Zuvor hatte er die seither aufgelöste Fondsfirma Tactica Fund Management geleitet. Weitere Karrierestation bildeten Tochterunternehmen der französischen Grossbank Société Générale sowie der britisch-schottische Fondsriese Aberdeen Asset Management (heute Abrdn), wo er den Vertrieb leitete. Liontrust wurde im Jahr 1995 gegründet und ist seit 1999 an der Londoner Börse (LSE) kotiert. Per Mitte April verwaltete das Fondshaus mit Büros in London, dem schottischen Edinburgh sowie Luxemburg Vermögen von 31,8 Milliarden Pfund (35,5 Milliarden Franken) für seine Kunden. Vergangene Woche hat die britische Firma angekündigt, die kriselnde Schweizer Konkurrentin GAM mit Fondsvermögen von 23,3 Milliarden Franken zu übernehmen.