Innerhalb weniger Tage ist die Bankenkrise aus den USA mitten ins Herz des Schweizer Finanzplatzes geschwappt. Das Schicksal der Credit Suisse hängt an einem sehr dünnen Faden. Nur ein Wunder könne jetzt das Schlimmste am Paradeplatz noch abwenden, schreibt der Schweizer Finanzprofessor Teodoro Cocca exklusiv für finews.ch.

Nun wird es ernst. Bisher war es erstaunlich ruhig geblieben im globalen Bankensektor. Doch jetzt haben die Ereignisse rund um die Silicon Valley Bank (SVB) eine neue Krisenphase eingeläutet.

Das Bankengeschäft ist ein sehr sensibles Geschäft. Zahlen und Fakten spielen die meiste Zeit über eine wichtige Rolle. Emotionen sind selten wichtig. Dann aber, wenn sie zur dominierenden Kraft werden, wirken sie wie ein Tsunami.

Wenn die Unsicherheit bei den Kunden um sich greift, potenzieren sich die Probleme einer Bank und dann kann es schnell gehen. Sehr schnell sogar. Die Ereignisse rund um die SVB haben das ein wiederholtes Mal bestätigt. Nun stellen sich Bankkunden weltweit die bange Frage: Welchen Abschreibungsbedarf könnten die steigenden Zinsen noch bei anderen Banken zeitigen?

«Banken gehen faktisch schon viel früher unter»

Wer Anfang dieser Woche dachte, Bankenmärkte könne man in der heutigen Welt regional betrachten, versteht die aktuelle psychische Verfassung der Märkte und die heutige digitale Vernetzung der Bankkunden nicht. Was sich in den USA abspielt, ist natürlich sehr wohl auch hierzulande relevant – in den Sozialen Medien kursieren seit Tagen die wildesten Spekulationen über das globale Bankensystem.

Rund 18‘000 Kilometer trennen die beiden Sitze der Silicon Valley Bank in Santa Monica und der Credit Suisse (CS) am Zürcher Paradeplatz. Man wird Dutzende Unterschiede zwischen diesen beiden Banken aufzählen können, und doch spielt das keine Rolle, wenn die Unsicherheit am Markt um sich greift.

Blauäugig ist, wer nicht weiss, dass Banken nicht untergehen, weil sie tatsächlich keine Liquidität oder kein Kapital mehr haben. Sie gehen faktisch schon viel früher unter, dann wenn sich nämlich Zweifel an der Sicherheit der Einlagen breit machen.

«Nur ein Wunder kann jetzt das Schlimmste am Paradeplatz noch abwenden»

Kommt dieser Stein so richtig ins Rollen, ist das Schicksal besiegelt. So geschehen bei der SVB und nun in voller Entwicklung bei der zweitgrössten Schweizer Bank – nur ein Wunder kann jetzt das Schlimmste am Paradeplatz noch abwenden.

Der unmittelbare Auslöser des Kurs-Crashes der Aktien und der Bonds der CS war die Aussage des Hauptaktionärs, kein zusätzliches Kapital einschiessen zu wollen, sollte dies notwendig sein. Dass dies in der Stimmung dieser Tage und vor dem Hintergrund der Lage der eigenen Bank so formuliert wurde, zeugt nicht gerade von hoher Markt-Sensibilität. So bringt man jedenfalls einen Bank-Run richtig in Fahrt.

Es war klar, dass der von der CS im Oktober 2022 präsentierte neue Plan nicht unmöglich in der Umsetzung war, aber eines bedingte: Es durfte nichts Negatives mehr passieren, und die Bank musste auf möglichst unterstützende Märkte hoffen. Und dennoch kann nicht die Rede davon sein, dass die Ereignisse überraschend gekommen sind und eine völlig aus dem Nichts kommende Spekulationswelle die CS erfasst hat.

«Der überstandene Bank-Run der CS im vergangenen Herbst wurde nicht richtig eingeordnet»

Es erstaunt eher, dass die Lage stets von der Bank selbst, aber wie nun klar scheint, auch von den Regulatoren zu positiv eingeschätzt wurde. Die Bank steht an Messers Schneide, und je länger man diese Situation zulässt, desto mehr nimmt man das Risiko, dass noch Schlimmeres passieren könnte, offensichtlich bewusst in Kauf.

Anstatt eine Lösung anzustreben, welche die Selbständigkeit zugunsten einer zumindest teilweisen Rettung von Einheiten geopfert hätte, entschied man sich für den sehr riskanten Weg des Turnarounds aus eigener Kraft.

Der überstandene Bank-Run der CS im vergangenen Herbst wurde nicht richtig eingeordnet. Es musste jedem klar sein, dass sich eine solche Situation jederzeit wiederholen könnte. Denn die Fundamentaldaten der Bank können sich ja nicht in der Kürze der Zeit verbessern. Einen zweiten solchen Bank-Run würde die CS nicht überstehen.

«Diese Alarmsignale so lange nicht gesehen zu haben, ist unverständlich»

Darüber muss Klarheit geherrscht haben. Dennoch ging man dieses Risiko ein. Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) hat das zugelassen. Sie hätte aufsichtsrechtliche Instrumente, um einen anderen Weg einzufordern. Der Moment zu handeln, scheint hierfür nun gekommen zu sein. Ein staatlich orchestrierter Rettungsschirm für das Kerngeschäft der CS erscheint wahrscheinlich, um wenigstens die systemrelevanten Teile wieder in ruhige Gewässer zu führen.

Lediglich der Kapitalmarkt sprach eine relativ klare Sprache, sofern man die Sprache hören wollte und will: Aktienpreis und CDS-Preise konnten sich kaum deutlicher entwickeln. Diese Alarmsignale so lange nicht gesehen zu haben, ist unverständlich.

Da hilft auch nicht der beschönigende Verweis, der die CS mit dem einstigen Turnaround der Deutschen Bank in Verbindung bringt. Die Credit Default Swaps der Deutschen Banken lagen nie auf den Niveaus der CS der vergangenen Wochen, und auch die Kundengeldabflüsse waren niemals so gravierend wie 2022 bei der CS.

«Die Ungewissheit darüber, wie stabil eine Bank tatsächlich ist, führt zu einer Sippenhaftung»

Kann die Situation rund um die CS der Auslöser einer neuen Finanzkrise sein? Zunächst wird das Drehbuch wohl ähnlich wie in der Finanzkrise ablaufen: Die Unsicherheit führt zu wilden Kurssprüngen und Turbulenzen im gesamten Bankensektor, da die Ungewissheit darüber, wie stabil eine Bank tatsächlich ist, zu einer Sippenhaftung führt.

In weiterer Folge werden Regulatoren, Notenbanken und Regierungen versuchen zu beruhigen. Die Spreu wird sich dann vom Weizen trennen, und dann wird man sehen, wie gut die neuen Eigenmittel- und Liquiditätsregeln wirken.

Seit der Finanzkrise 2009 ist in der Bankenregulierung sehr viel geschehen. Nun wird sich zeigen, ob vor lauter Detailverliebtheit in den neuen Regeln nicht die wirklich relevanten Dinge vernachlässigt wurden. Der echte Stresstest hat begonnen.


Teodoro D. Cocca ist seit 2006 Professor für Asset und Wealth Management an der Johannes Kepler Universität Linz. Davor war er einige Jahre bei der Citibank sowohl im Investment- als auch im Private Banking tätig, forschte an der Stern School of Business in New York und lehrte am Swiss Banking Institute in Zürich. Zudem ist der Schweizer mit italienischen Wurzeln assoziierter Professor für Private Banking am Swiss Finance Institute (SFI) in Zürich und beratend für Finanzunternehmen und Behörden im In- und Ausland tätig.