Als er ins Banking einsteigen wollte, beschied man ihm, dass er ein ziemlich bunter Vogel sei. Trotzdem schaffte es Herbert J. Scheidt bis ganz nach oben. Jetzt tritt er kürzer, nach genau 40 Jahren in der Finanzbranche. Was hat er erreicht?

Der gebürtige Deutsche Herbert J. Scheidt verkörpert naheliegenderweise nicht den typischen Swiss Banker. Doch er hat für die hiesige Finanzbranche erheblich mehr getan als manch einer seiner Berufskollegen hierzulande. Und er hat das ohne viel Tamtam gemacht – im Gegensatz zu zahlreichen anderen Bank-CEOs, die als Wunderkinder, «Banker of the Year» oder «Banquiers privés» ihre «15 Minutes of Fame» erlebten. Doch alles der Reihe nach. 

Diese Woche hat Scheidt an der diesjährigen Generalversammlung des Schweizer Investmenthauses Vontobel das Zepter des Verwaltungsrats-Präsidenten an seinen designierten Nachfolger Andreas Utermann übergeben. Damit beginnt eine neue, noch gänzlich unbeschriebene Ära, derweil eine sehr eindrjcksvolle Epoche zu Ende gegangen ist. Dies, zumal Scheidt exakt 20 Jahre im Sold der Zürcher Traditionsbank stand; bis 2011 als CEO und in der Folge als Präsident. Aktuell gibt es nur sehr wenige Vertreter seiner Gilde, die auf einen so langen Leistungsausweis zurückblicken können.

Ziemlich bunter Paradiesvogel

Das ist insofern bemerkswert, als Scheidt eigentlich gar nicht Banker werden wollte, wie er im vergangenen Jahr in einem Interview mit finews.ch einräumte. Ursprünglich plante er, Entwicklungs-Ökonom zu werden – und schaffte es auf diesem Weg sogar bis zum Assistenten des Generaldirektors der Welternährungsorganisation (FAO) in Rom.

Weil in den 1980er-Jahren die amerikanische Regierung die Mittel für entsprechende Uno-Projekte strich, kehrte Scheidt zu seiner Familie ins deutsche Ruhrgebiet zurück, wo er bei der Deutschen Bank anheuerte, und wo man ihm zunächst beschied: «Sie sind zwar ein ziemlich bunter Paradiesvogel. Aber wir probieren es mal mit Ihnen.»

Schlecht, sehr schlecht

Der Deutschen Bank ist es letztlich auch zu verdanken, dass Scheidt in die Schweiz gelangte, wo er 1996 die Leitung des internationalen Private Banking in Genf übernahm. Als sich über die Jahre jedoch herausstellte, dass die Vermögensverwaltung unter dem damals dominierenden Investmentbanking immer mehr zum reinen Vertriebskanal mutierte, schaute sich der Deutsche nach einem neuen Job um – und fand ihn bei Vontobel; das war Anfang des neuen Jahrtausends. Und wohl mancher Schweizer Banker dürfte sich gefragt haben, warum jemand ausgerechnet zu dieser Bank wechselte.

Denn um Vontobel stand es damals schlecht, sehr schlecht sogar.

Wie ein Huhn im Tintenfass

Das traditionsreiche Finanzinstitut hatte sich in der Euphorie der New Economy der 1990er-Jahre im Investmentbanking, insbesondere im Geschäft mit Börsengängen und dem damit verbundenen Handel, völlig übernommen. Selbst Scheidt räumt rückblickend ein: «Damals war der Name Vontobel tatsächlich besser als das, was drin war.» Ein Blick auf den damaligen Aktienkurs wäre ebenfalls aufschlussreich gewesen. Der Titel kostete noch 13 Franken.

Bei seinem ersten Auftritt vor dem Verwaltungsrat habe er dem Gremium gesagt, «unsere Organisationsstruktur sieht aus, als ob ein Huhn in ein Tintenfass gefallen ist und jetzt über ein weisses Blatt läuft», erinnert sich einer, der damals dabeigewesen war. Und unter diesen Prämissen baute Scheidt die gesamte Bank radikal um und schuf drei Bereiche (Private Banking, Investmentbanking und Asset Management) mit je einer Führung. 

Uli Hoeness, Pierin Vincenz, Zeno Staub

Damit schuf er ein solides Fundament nicht nur für die weitere Entwickung, sondern auch für alle Turbulenzen, denen sich auch Vontobel nicht immer entziehen konnte – seien das die unversteuerten Kundengelder in Deutschland, für welche die Bank schliesslich teuer bezahlen musste, oder die peinliche Affäre mit dem geradezu krankhaft zockenden heutigen Ehrenpräsident des FC Bayern München, Uli Hoeness. Zu nennen ist auch die wechselvolle Partnerschaft mit den Raiffeisen-Genossenschaftern, damals angeführt von Pierin Vincenz.

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Als Scheidt 2011 den CEO-Posten an Zeno Staub (im Bild oben rechts) abtrat, bewies er nicht nur sein sehr glückliches Händchen. Er schuf damit auch die Voraussetzungen, damit sich die Bank im Rahmen der permanent an- und abschwellenden Konsolidierung unerwartet souverän betätigte. Mussten sich Scheidt und Staub zunächst häufig den Vorwurf anhören, überzögerlich zu agieren, entwickelte Vontobel über die Jahre ein sicheres Gespür für Akquisitionen: sei es etwa mit der Commerzbank (Schweiz), der Privatbank Notenstein La Roche oder der Finter Bank.

Selbst im Ausland kam es zu Beteiligungsnahmen, die sich über die Zeit als höchst erfolgreich herausstellten, wie es das Beispiel von Twenty Four Asset Management zeigt. 

Grosse Überraschung

Scheidts sanfte, aber zielstrebige Beharrlichkeit zahlte sich bei Vontobel in vielfacher Hinsicht aus und brachte ihn auch dazu, sich um das Amt des Präsidenten der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg) – als Nachfolger von Patrick Odier – zu bewerben. Dass er es tatsächlich schaffte, dürfte manchen Swiss Banker überrascht haben – dass ausgerechnet ein Deutscher dem Dachverband der Schweizer Banken vorsteht, selbst wenn dieser seit vielen Jahren auch das Schweizer Bürgerrecht besitzt.

Scheidt ging in seinem neuen Amt auch sehr schnell dazu über, die zum Teil verkrusteten Strukturen dieser Vereinigung aufzubrechen. Auch das dürfte nicht nach jedermanns Geschmack gewesen sein. So machte er sich nicht nur Freunde, und was unter anderem darin kumulierte, dass die Raiffeisen-Banken aus der Vereinigung austraten – offenbar sind sie inzwischen bereits wieder bemüht, sich dem Verband anzunähern.

Scheidts Anspruch, das Swiss Banking wieder vermehrt – und mit Stolz – in die Welt hinauszutragen, missfiel ebenfalls einigen, vor allem den inländisch orientierten Bankkollegen, die als Reaktion darauf, Zuflucht in einer umgehend lancierten Gruppierung suchten. Unter dem Strich hat der scheidende Vontobel-Präsident für den Finanzplatz wesentlich mehr unternommen, als es oberflächlich scheint.

Vontobel wie Amazon und Apple

Sein grösstes Verdienst dürfte indessen sein, die Bank Vontobel in ein Investmenthaus umzuwandeln, was Ende 2019 geschah, oder wie Scheidt es einmal auf den Punkt brachte: «In einer Welt, in der sich aufgrund der Digitalisierung gesellschaftlich und wirtschaftlich so vieles verändert, mussten wir reagieren. Die Kundschaft erwartet von den Banken heute einen Service, wie sie ihn von Firmen wie Amazon oder Apple erhält. Der Kunde kommt heute nicht mehr in die Schweiz wegen dem Bankgeheimnis, sondern weil er erstklassige Investmentlösungen sucht. Investments sind für eine Bank das, was der Motor für Mercedes ist.»

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(Bild: Vontobel)

Unter diesen Prämissen erklärt sich auch der Leitspruch «Investieren ist das neue Sparen», den CEO Staub landauf landab gerne zum Besten gibt. Natürlich ziehen solche tiefgreifenden Reorganisationen immer auch einen gewisse Kollateral-Schaden nach sich. Selbst langjährige Mitarbeitenden verliessen deswegen das Unternehmen. Der Bedeutung und Reputation Vontobels hat dies jedoch keinen Abbruch getan. Im Gegenteil, der neue Verwaltungsratspräsident Utermann (Bild oben) kann ein Geldinstitut übernehmen, dass aus den zwei vergangenen und schwierigen Corona-Jahren gestärkt herausgeht.

Heute eine Investment-Tech-Gesellschaft

Scheidt selber sagt zur heutigen Vontobel: «Solange man Kundengelder hält, ist man per Definition eine Bank. Aber vom System her sind wir eine Investment-Tech-Gesellschaft.» Für ihn fällt die Bilanz über die vergangenen 20 Jahren noch eindrücklicher aus. So haben sich die dem Unternehmen anvertrauten Vermögen (Assets under Management, AuMs) von 45 Milliarden Franken im Jahr 2002 auf 244 Milliarden per Ende 2021 mehr als verfünffacht; 58 Prozent der AuMs kamen 2021 von internationalen Kundinnen und Kunden.

Das Fundament bildet eine Eigenkapital-Basis, die sich in den vergangenen 20 Jahren auf über 2 Milliarden Franken weit mehr als verdoppelt hat. Die Zahl der Mitarbeitenden erhöhte sich im gleichen Zeitraum von 940 auf mehr als 2'100 und umfasst heute mehr als 50 Nationalitäten. 

Und der Aktienkurs hat sich seit dem Tag, als Scheidt bei Vontobel anfing und sich sehr fragte, ob er wirklich am richtigen Ort sei, von 13 Franken auf heute 75 Franken erhöht.