Bankierpräsident Herbert Scheidt hatte schon als Kind ein enges Verhältnis zur Schweiz. Im Interview mit finews.ch verrät er, weshalb der Schweizer Pass für ihn so wichtig ist.


Herr Scheidt, Sie sind ja mittlerweile auch Schweizer. Was würden Sie sagen, ist an Ihnen besonders schweizerisch?

Nicht auch! Ich bin Schweizer. Ich bin zwar nicht in der Schweiz geboren, aber ich lebe mit meiner Familie hier seit mehr als 22 Jahren – zunächst in Genf und nun in Zürich. Die Schweiz ist nicht nur beruflich, sondern auch privat eindeutig mein Zuhause.

Trotzdem ist unschwer herauszuhören, dass Sie noch andere Wurzeln haben. Woher kommen sie ursprünglich?

Ich bin im Ruhrgebiet geboren und eigentlich ein Westfale. Das ist ein bodenständiger Schlag, von dem man sagt, dass man mit ihm zwei «Sack Salz» essen müsse, bevor man mit ihm warm werde. Aber wenn man einmal einen Westfalen zum Freund hat, dann kann man sich auf ihn auch verlassen.

«Das Ruhrgebiet war früher vergleichbar mit Peking heute»

Meine Familie war in jeder Hinsicht typisch westfälisch. Wir hatten ein Familienunternehmen im Textilbereich. Doch schon als Kind habe ich bis zu meinem Schuleintritt jeweils viele Monate in der Schweiz verbracht – in Braunwald im Kanton Glarus.

Warum das?

Das Ruhrgebiet war früher vergleichbar mit Peking heute. Für uns Kinder war Braunwald daher gesünder, wie mein Vater fand. Das hatte zur Folge, dass ich schon früh in der Schweiz heimisch wurde. Mit 22 Jahren ging ich zunächst nach England und habe später auch in Italien und in den USA gelebt und gearbeitet. Mittlerweile lebe ich länger in der Schweiz als in Deutschland.

Und haben Sie nun einen Schweizer Pass?

Ja. Man musste damals dafür zwölf Jahre hier gelebt haben. Und am Ende des zwölften Jahres habe ich ihn auch sofort erhalten.

«Die Frage, die sich dabei stellt, lautet zunächst: Wie definiert man Heimat?»

Ich war damals CEO von Vontobel. Da wurde mir klar, dass es als Schweizer CEO nicht ausreicht, schweizerisch zu denken, sondern dass ich auch einen Schweizer Pass haben muss.

Was ist heute schweizerisch an Ihnen?

Die Frage, die sich dabei stellt, lautet zunächst: Wie definiert man Heimat? Für mich geht es dabei in erster Linie um die Identifikation mit Werten, die man selber für wichtig hält: Dazu gehören Rechtschaffenheit, Verlässlichkeit, Disziplin.

Das alles sind Tugenden, die der Westfale auch teilt – Offenheit, Ehrlichkeit, sich einsetzen für das Gemeinwohl. Das sind Werte, die ich mit der Schweiz teile und was für mich Heimat bedeutet.

Fühlen Sie sich fremd, wenn Sie heute nach Deutschland reisen?

Das hängt davon ab, wohin ich gehe. Wenn ich privat zu Freunden nach München fahre, dann sind das von Zürich aus ein paar Stunden Fahrt. Das ist genauso, als reiste ich nach Genf. Da spüre ich keinen Unterschied. Wenn ich an den Ort meiner Kindheit zurückkehre empfinde ich auch keine Fremde.

«Es ist, wie wenn man im Tor steht, und dann erstaunt ist, wie viele Bälle auf einen zufliegen»

Wenn ich für die Schweizerische Bankiervereinigung nach Berlin fahre, gehe ich als Vertreter der Schweiz hin und nehme eine andere Sichtweise ein. Gleichzeitig ist es ein Vorteil, dass ich die andere Seite und deren Eigenart sehr gut kenne und verstehe. Das trifft übrigens auch auf Italien und die USA zu, wo ich ebenfalls gelebt und gearbeitet habe. Insofern verstehe ich mich nicht als Ausländer. Das versuche ich in meine Arbeit zum Nutzen unserer Sache einfliessen zu lassen.

Haben Sie nie befürchtet, dass man Sie als gebürtiger Deutscher an der Spitze der Schweizerischen Bankiervereinigung nicht akzeptieren würde?