Die Umsatzzahlen im Investmentbanking sind im ersten Quartal 2022 massiv zurückgegangen, wie Jens Haas, Investmentbanking-Chef der Credit Suisse in der Schweiz, im Interview mit finews.ch erklärt. Daran ist nicht nur der Krieg in der Ukraine schuld.
Herr Haas, nach sechs Wochen Krieg in der Ukraine – wie spüren Sie die Verlangsamung der Aktivitäten im Investmentbanking?
Global betrachtet sind die Umsätze im ersten Quartal 2022 gegenüber dem Vorjahr deutlich gesunken. Dies zeigt sich mit am stärksten in den USA, wo eine Reduktion von rund 40 Prozent im Vergleich zum ersten Quartal 2021 verzeichnet wurde. In Europa und Asien sind die Umsätze um etwa 30 Prozent zurückgegangen.
Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass das vergangene Jahr im Investmentbanking ein Rekordjahr war. Die Umsätze im ersten Quartal 2022 liegen leicht über dem Niveau von 2019.
Welches Geschäft trifft es am härtesten?
Wir beobachten den stärksten Einbruch im Bereich ‹Equity Capital Markets› (dt. Eigenkapital-Finanzierungen). Da an den Märkten weiterhin starke Volatilität herrscht und bestimmte Segmente, wie die Technologie-Aktien, stark gefallen sind, schlägt dies entsprechend aufs Investmentbanking durch.
Im Bereich Fusionen und Übernahmen (Mergers & Acquisitions, kurz M&A) ist der Abschwung bislang am wenigsten ausgeprägt. Dies erklärt sich dadurch, dass diese Transaktionen eine längere Vorlaufzeit benötigen. Deshalb wird ein Abschwung in diesem Segment gegebenenfalls eher erst mittelfristig sichtbar werden.
Was können Sie zur Entwicklung in der Schweiz sagen?
Hierzulande hat sich die Aktivität ebenfalls tendenziell verlangsamt. Aber auch da gilt, dass wir eine gewisse Verlangsamung nach dem starken Vorjahr bereits erwartet hatten.
«Die Unternehmen sind vorsichtiger geworden»
Mit Blick auf Börsengänge ist anzumerken, dass dieser Bereich typischerweise erst im zweiten Jahresquartal Fahrt aufnimmt, wenn die Finanzzahlen für das Vorjahr verfügbar sind.
Wie reagieren die Marktteilnehmer auf die unsichere Lage?
Die Stimmung ist vergleichsweise robust. Aber selbstverständlich kann sich niemand vollständig dem aktuellen Geschehen und dessen Auswirkungen auf die Märkte entziehen. Insgesamt steht in Europa im ersten Quartal 2022 ein Minus von 30 Prozent, wobei das Minus im M&A-Bereich lediglich 3 Prozent beträgt – also fast unverändert geblieben ist.
Welche Effekte spielen da mit?
Bezüglich der M&A-Aktivitäten muss man in Betracht ziehen, dass die im ersten Quartal 2022 vollzogenen Aktivitäten schon im vergangenen Jahr bekanntgegeben worden waren. Das heisst, dass sie vor der jetzigen Krise aufgegleist worden sind.
Wie ist die Stimmung unter Ihren Firmenkunden?
Grundsätzlich sind die Unternehmen vorsichtiger geworden. Aber die Reaktion der Firmen kommt immer auch auf deren Umfeld an. Also darauf, wie relevant die Inflation für sie ist, wie gross die wirtschaftlichen Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine sind, wie stark sich die steigenden Energiepreise auf ihr Geschäftsmodell auswirken. Und natürlich auch, welche Bedeutung die Lieferketten für sie besitzen.
«An diesem Punkt stehen wir jetzt noch nicht»
All diese Fragen haben für Firmen unterschiedlich grosse Bedeutung und beeinflussen auf diese Weise deren Reaktion, sowohl kurz-, als auch mittel- und langfristig.
Müssen auch Sie von einem verhagelten Jahr ausgehen?
Wir sind bereits bei der Planung davon ausgegangen, dass sich dieses Jahr eine gewisse Normalisierung einstellen würde. Deshalb sollten wir die (Minus-)Zahlen nicht überbewerten. Nach dem stark überdurchschnittlichen 2021 wäre alles andere als ein tieferes Volumen eine Überraschung. Wenn das Niveau von 2019 oder gar 2020 erreicht wird, war es ein gutes Jahr.
Mit welchen Szenarien arbeiten Sie?
Tendenziell ist die Stimmung auf dem Kapitalmarkt zum jetzigen Zeitpunkt eher mit dem Adjektiv ‹aufgeschoben› als mit ‹aufgehoben› zu umschreiben. Sollten die Probleme allerdings längerfristiger Natur werden und die Unternehmenszahlen nachhaltig beeinflussen, steigt das Risiko, dass geplante Deals abgeblasen und nicht nur kurzfristig verschoben werden. An diesem Punkt stehen wir jetzt allerdings noch nicht.
«Die Fragen rund um die Energieversorgung dürften nicht so schnell gelöst werden können»
Ich sehe im Moment – vereinfacht gesagt – zwei Szenarien für die Märkte. Im optimistischen Fall bleiben die wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine beschränkt. In diesem Fall würden wir ein vergleichsweise schnelles Snapback in der Transaktions-Aktivität erleben.
Anders sieht es aus, wenn der Krieg noch lange anhält, verbunden mit dauerhaft gestiegenen Energiekosten, die sich zusätzlich auf die bereits gestiegene Inflation auswirken. In diesem Fall wären auch die Märkte längerfristig betroffen.
Glauben Sie, dass unter Umständen die längerfristigen makroökonomischen Entwicklungen einen stärkeren Einfluss haben könnten als der Krieg in der Ukraine?
Wenn wir vom optimistischen Szenario ausgehen, kann es tatsächlich sein, dass die Auswirkungen der Lieferketten-Unterbrüche, der steigenden Preise und der Geldpolitik für die Wirtschaft als Ganzes gewichtiger sein werden als der Krieg in der Ukraine. Es scheint auch klar, dass die Fragen rund um die Energieversorgung langfristiger Natur sind und in jedem Fall nicht so schnell gelöst werden können.
Sehen Sie innerhalb der verschiedenen Märkte Unterschiede?
Die Auswirkungen scheinen tendenziell schwächer, je weiter weg vom Kriegsgeschehen sich die jeweiligen Märkte befinden. Aber nach fünf Wochen ist es natürlich zu früh, um daraus Schlüsse zu ziehen.
«Die Staatsausgaben in Europa werden stärker steigen, weil im Bereich Verteidigung Nachholbedarf besteht»
Es ist durchaus möglich, dass sich die USA schneller erholen als Europa. Sie sind letztlich weniger abhängig von Russland in ihrer Versorgung mit Energieträgern als Europa. Zudem werden die Staatsausgaben in Europa stärker steigen, weil im Bereich Verteidigung ein grosser Nachholbedarf besteht, und weil die europäischen Länder in der Energieversorgung unabhängiger werden wollen. Dies erhöht natürlich gesamthaft die Staatsquote.
Jens Haas arbeitet seit mehr als 21 Jahren bei der Credit Suisse (CS). Er ist Co-Head EMEA Coverage, Leiter des Investmentbanking Schweiz und Mitglied der Geschäftsleitung der Credit Suisse (Schweiz). Er verfügt über einen Master in International Accounting and Finance von der London School of Economics and Political Science sowie einen Bachelor in European Business Administration von der ESB Business School in Reutlingen.