Der 112-Millionen-Euro-Prozess zwischen Andrea Orcel und der spanischen Bank Santander in Madrid ist überraschend verschoben worden. Dem Ex-UBS-Banker läuft die Zeit davon, flüchtige Boni einzufordern.
Nun kommt es (noch) nicht zum grossen Showdown in Madrid. Weil der zuständige Richter überraschend in Covid-Quarantäne gehen musste, wurde der für den (heutigen) Mittwoch anberaumte Prozess auf den 7. April verschoben, wie die Agentur «Reuters» berichtete. In der spanischen Hauptstadt wären sich Andrea Orcel und die Grossbank Santander gegenüber gestanden.
Der Einsatz ist kolossal. Orcel, der bis 2018 die UBS als Chef der Investmenbank verliess, hat Santander auf 112 Millionen Euro verklagt. Dies, nachdem die Bank sich einseitig von ihm trennte, bevor er im Jahr 2019 seinen Job als deren neuer CEO antreten konnte. Im Prozess in Madrid geht es im Wesentlichen um die Frage, ob bereits ein Arbeitsvertrag bestanden hatte (sagt Orcel) oder nur eine unverbindliche Übereinkunft (die Position von Santander unter Präsidentin Ana Botin).
Neues Amt im April
Die UBS wiederum hält noch gesperrte Boni von über 50 Millionen Franken, die Orcel laut geltenden Regeln verliert, wenn er seinen Job bei einem Konkurrenten der Schweizer Grossbank annimmt. Santander soll Orcel einst versprochen haben, ihn beim Antritt mit 35 Millionen Euro für die entgangenen Boni zu entschädigen.
Nun manifestiert sich ein neuer Chefposten für den gebürtigen Italiener. Nachdem der bisherige CEO Jean Pierre Mustier die italienische Grossbank Unicredit vergangenen Februar im Streit verlassen hat, ist der Ex-UBS-Banker vom Verwaltungsrat einstimmig als dessen Nachfolger designiert worden. Der offizielle Amtsantritt ist ebenfalls im April, womit es auch zeitlich eng wird mit dem Prozess in Spanien.
«Leave, loose»
Die dort von Orcel gestellten Geldforderungen erweisen sich nicht nur deshalb als zusehends flüchtig. Dass sich Santander vehement gegen die Zahlung der 112 Millionen Euro sträubt, ist klar. UBS-Präsident Axel Weber, der im Prozess als Zeuge auftreten muss, hat sich ebenfalls einprägsam zum Thema geäussert. «Leave, loose» – verlasse die Bank, und du verlierst deine Boni, erklärte er letzten Januar an die Adresse seines früheren Managers.
Derweil fragt sich mit Blick auf die neuen CEO-Würden bei Unicredit, ob ein schlagzeilenträchtiger Rechtsstreit um Boni überhaupt opportun sein kann für Orcel. Wenn der Italiener möchte, könnte er sich mit Santander jederzeit aussergerichtlich einigen. Die italienische Grossbank hat ihrerseits klargestellt, dass sie den designierten Chef nicht für entgangene Boni entschädigen wird. Obwohl Orcels künftiger Lohn bei Unicredit nicht feststeht, dürfte dieser deutlich tiefer ausfallen als einst bei der UBS.
Klein beigeben geht nicht
Ist dies der insgeheime Grund, warum der Investmentbanker auf den 112 Millionen Euro beharrt? Neben der Aussicht, künftig weniger zu verdienen, hat Orcel wohl weitere sehr persönliche Gründe, den Prozess gegen Santander durchzuziehen. Der CEO-Posten bei der spanischen Grossbank, ein Top-Job im europäischen Banking, wurde ihm in einer beispiellosen Aktion entrissen. Dies, nachdem Orcel für seine Tochter bereits eine Schule in Madrid gefunden hatte und drauf und dran, dort eine Villa zu kaufen.
Klein beizugeben, das passt nicht zu einem Mann, der seinen Untergebenen zuweilen das Letzte abforderte: Davon könnten die UBS-Investmentbanker zu berichten, die Orcel einst zur Abhärtung ins Wüstencamp schickte.