Allen Unkenrufen zum Trotz ist das Swiss Private Banking quicklebendig. Gemäss Prognosen wird es weiter an Bedeutung gewinnen, weil ihm noch mehr Gelder aus strukturschwachen Ländern zufliessen dürften. Baut sich so ein neues Reputationsrisiko auf?
«Sind alle Vermögen, die bei Schweizer Banken liegen, illegal?» Dieser Satz stand vor einigen Wochen in der Zeitung «The Independent».
Man glaubt, nicht richtig gelesen zu haben: Wissen die Journalisten im Ausland und die internationale Öffentlichkeit denn nicht, dass die Schweizer Banken in den vergangenen Jahren alle Schwarzgeld-Konti aufgelöst oder legalisiert haben? Wissen sie nicht, dass die Schweizer Banken aufgrund von Gesetzen wie Fatca und dem AIA der Steuertransparenz verpflichtet sind und keine unversteuerten oder illegal aus dem Land geschaffenen Vermögen mehr annehmen?
Minimales Risiko, maximale Diskretion
Sie wissen es. Auch der Autor des besagten Artikels namens «Swiss Bank, Sweet Bank». Er beschreibt sachlich und anschaulich die Gründe, warum die Schweizer Banken weltweit immer noch beliebt sind. Und fasst diese bündig zusammen: Minimales finanzielles Risiko, maximale Diskretion.
Den durchwegs kritischen Ton des Artikels erklärt vielleicht, dass «The Independent» eine Zeitung in Bangladesh ist. Das südostasiatische Land hat sich zwar aus der bittersten Armut gekämpft, leidet jedoch unter einer enormen Steuerflucht, die dem Staat jährlich zig Milliarden Dollar entzieht. Mit dem gleichen Problem ist auch Indien konfrontiert.
Via Offshore-Firmen auf Schweizer Konten
In diesem Zusammenhang fällt auf, dass es vielfach Journalisten in Indien und Bangladesh sind, welche die Statistiken der Schweizerischen Nationalbank (SNB) zu den Auslandsvermögen in der Schweiz akribisch durchforsten und die Vermögensentwicklung ihrer jeweiligen Landsleute kommentieren. Der Ton in diesen Artikeln ist jeweils eindeutig: Es seien unversteuerte Gelder, die via Offshore-Firmen bei Schweizer Banken landen.
Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Lektüre von Zeitungen und Nachrichtenportalen in Ländern Afrikas: Gelder würden von korrupten Politikern oder Potentaten bei Schweizer Banken auftauchen. Ein Journalist der panafrikanischen Nachrichtenseite «The African Exponent» stellte in einem Artikel die Frage, ob die Schweiz blockierte Gelder afrikanischen Ursprungs je zurückgeben werde.
Ein strukturelles Muster
Er zieht das Fazit: «Mit Blick auf die veruntreuten Gelder durch korrupte afrikanische Leader, lässt sich klar feststellen, dass die Schweiz ein Partner ist, der mehr Schaden angerichtet als Gutes getan hat.»
Dieselben Töne schlagen auch lateinamerikanische Medien an: Der Geldwäschereisumpf bei Schweizer Banken im Zusammenhang mit der venezolanischen PDVSA oder den Odebrecht- und Petrobras-Fällen in Brasilien wird genau registriert.
Was sich wie eine eher willkürliche Zusammenstellung und Darstellung von Skandalen und Skandälchen im Schweizer Private Banking liest, unterliegt jedoch einem strukturellen Muster: Die Schweiz wirkt wie ein Magnet für Gelder, die einen «sicheren Hafen» suchen. Sei es, weil Schweizer Banken ein minimales finanzielles Risiko darstellen, oder weil sie maximale Diskretion garantieren.
Diese Faktoren stellen auch aus Schweizer Sicht ein grosses Plus im internationalen Wettbewerb der Finanzplätze dar.
Profitieren von wirtschaftlichen Turbulenzen?
In einem kürzlich geführten Interview mit Deloitte-CEO Reto Savoia und dem Financial-Services-Chef Jean-Francois Lagassé waren sich beide Berater einig: Die Schweizer Privatbanken würden von den globalen ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungen profitieren, da die Schweiz ein sicherer Hafen mit stabiler Währung und Rechtssicherheit darstelle.
Übersetzt kann dies auch heissen: Wo immer die sozialen Gräben und die Ungleichheit tiefer werden, wo die politische und wirtschaftliche Entwicklung instabil und unsicher ist, wird die vermögendste Schicht dieser Länder und Regionen ihr Kapital sehr häufig auf Schweizer Bankkonti transferieren.
Fluchthafen der reichsten 1 Prozent
Das Resultat dieser Kapitalflucht ist in der Regel: Noch mehr Ungleichheit und noch mehr Instabilität. Es ist bereits heute so und wird in Zukunft noch vermehrter auftreten, dass der Diskurs um die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung immer stärker in diesem Spannungsfeld des tiefer werdenden sozialen Grabens geführt wird; sowohl was die industrialisierten Nationen als auch die Entwicklungsländer betrifft.
Mit anderen Worten: Den Schweizer Banken droht mit ihrer uniformen Ausrichtung auf die vermögende und superreiche Kundschaft das Label «Fluchthafen der reichsten 1 Prozent».
Der Ruf ist besser als befürchtet
Die Reputation der Schweizer Banken ist im Ausland im Allgemeinen besser als hierzulande angenommen wird. Präsenz Schweiz, die Promotion-Organisation des Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA), führte vergangenes Jahr eine Umfrage in 19 Ländern durch. Das Ergebnis: Die überwiegende Mehrheit der knapp 13'000 Befragten stellte den Schweizer Banken ein gutes bis sehr gutes Zeugnis aus. Ethik und Verantwortungsbewusstsein seien im Schweizer Bankensektor fest verankert, hiess es weiter.
Die anhaltende Ausrichtung der Schweizer Banken auf ESG-Anlagen dürfte dieser Einschätzung zusätzlich zuträglich sein. Doch die beträchtlichen Marketingaufwendungen für die ESG-Positionierung der Schweizer Banken bergen auch ein Risiko.
ESG-Ausrichtung: Risiko für Glaubwürdigkeit
ESG-Kriterien und komplett auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Kundenportfolios sind nicht glaubwürdig, solange dieselbe Bank Kunden aus Entwicklungsländern annimmt, die ihre Vermögen in der Regel mit wenig nachhaltigen Unternehmen verdient haben. Und die ESG-Affiche ist ebenfalls nicht glaubwürdig, wenn Schweizer Banken Gelder von Kunden annehmen, die diese dem Wirtschaftskreislauf im eigenen Land entziehen.
Die Schweizer Privatbanken sind aufgrund der Wachstumsschwäche im Heimmarkt und in Europa fast schon gezwungen, sich auf die Kundschaft in aufstrebenden Regionen und Ländern zu konzentrieren. Doch das Risiko einer Reputation, die Schaden nehmen könnte, wird damit zwangsläufig steigen.