Wird die weltweite Corona-Krise eine Gefahr für das Banken- und Finanzsystem? Die Eingriffe der Notenbanken deuten darauf hin. Doch welche Dominosteine müssten fallen, um Banken effektiv ins Wanken zu bringen?
Die anhaltende weltweite Ausbreitung des Corona-Virus wird zum Stresstest der Banken und des Finanzsystems. Das führt ein Blick auf die extremen Kursverluste von Bankaktien vor Augen: UBS und Credit Suisse haben an der Börse zuletzt immer neue Allzeittief-Kurse durchbrochen und innerhalb eines Monats über 30 Prozent an Wert verloren.
Die Furcht vor einem deutlichen Rückgang des Wirtschaftswachstums wegen der Corona-Krise genügt nicht mehr als Erklärung für die Kursverluste. Das Schreckgespenst einer Finanzkrise à la 2008 klopft an – und die Notenbanken wie zuletzt die Europäische Zentralbank (EZB) tun offenbar alles, um dieses Schreckensvision zu bannen. Jedenfalls ist der (gestrige) Entscheid der EZB, die Konditionen für Langfrist-Refinanzierungen zu vergünstigen, als Stützmassnahme für die Banken zu interpretieren.
Doch wie gross ist die vom Corona-Virus ausgehende Gefahr fürs Bankensystem in der Schweiz und fürs globale Finanzsystem tatsächlich? Welche Dominosteine könnten oder müssten fallen, um in eine veritable Finanzkrise hineinzuschlittern?
1. Wie stabil sind die Immobilienpreise?
Man kann guten Gewissens sagen, dass heftige Bewegungen im Schweizer Immobilienmarkt zum echten Stresstest für die Stabilität der Inlandbanken würden. Das ausstehende Hypothekarvolumen in der Schweiz hat sich in den letzten 15 Jahren auf rund 1,1 Billionen Franken verdoppelt. Fast eine Verdoppelung der Preise sieht man im gleichen Zeitraum beim Wohneigentum.
Was würde geschehen, wenn das Corona-Virus massiven Preiseinbruch im Immobilienmarkt auslösen würde? Die Folgen wären massiv. Denn wegen der stark gesunkenen Zinsen sind die Belehnungen der Eigenheime gestiegen. 2018 waren Eigenheime im Median nur noch mit 26 Prozent Eigenkapital finanziert worden. Ein Preiseinbruch in diesem Ausmass würde eine sehr grosse Anzahl von Eigenheimbesitzern zwingen, Kapital nachzuschiessen. Haben sie Mittel dazu nicht, platzen die Hypothekarkredite reihenweise. Das könnte zur echten Gefahr für die Stabilität der Banken werden.
2. Reissen Coiffeure und Beitzen die Schweizer Banken ins Loch?
Marktkenner wie Ex-SNB-Präsident Philipp Hildebrand sehen in den KMU die Achillesferse des Finanzsystems in der aktuellen Lage. Brechen dem Gewerbe und dem Mittelstand wegen gross angelegten Ausgangssperren und einer möglichen Rezession die Erträge weg, wären auch ihre Bankkredite gefährdet.
Schweizer Retailbanker beteuern im Gespräch, dass es sich bei den meisten Gewerbekrediten um Hypotheken handelt. Diesen sind mit Sachwerten hinterlegt, was den Banken in einer Notlage Sicherheiten in die Hand gibt.
Derweil haben zumindest Schweizer KMU in den letzten Jahren viel Cash angehäuft und mussten sich wenig auf Kredite abstützen. Das könnte in einer von der Corona-Epidemie ebenfalls als Sicherheitspolster dienen – doch der «Realtitätscheck» steht noch aus, und mit Konkursen ist bestimmt zu rechnen.
3. Wenn zu viele Banker krank werden
Die systemrelevanten Banken der Schweiz müssen als Anforderung des Regulators über einen sogenannten «Business-Continuity-Plan» verfügen. Also einen Plan, der den Betrieb der Bank aufrecht erhält und deren Funktionieren für die Volkswirtschaft sicher stellt. Nun bekunden viele Schweizer Banken bereits jetzt einige Mühe, ihre sogenannten «Split Force»-Pläne, in denen die Teams im Rotationssystem arbeiten, einigermassen reibungslos umzusetzen.
Was aber, wenn das grassierende Covid-19 noch engere Kreise am Schweizer Finanzplatz zieht? Sprich: Wenn so viele Banker infiziert oder krank werden, dass die Pläne nicht mehr funktionieren? Banken müssten praktisch den Betrieb einstellen. Eine solche Massnahme würde den Finanzplatz sehr verletzlich gegen weitere Schocks machen.
4. Schweizer Banker nicht mehr willkommen
Die von den USA verhängte vorerst auf 30 Tage beschränkte Einreisesperre trifft die Schweizer Banken ins Mark: Weder UBS-CEO Sergio Ermotti noch Credit-Suisse-Chef Thomas Gottstein dürfen nach New York fliegen. Auf tieferen Hierarchiestufen wird der Reisestopp zum echten Problem. Das UBS Wealth Management zum Beispiel steckt mitten im Aufbau einer UHNW-Einheit unter Joe Stadler – auch er darf nicht fliegen. Das gilt auch für den Co-Chef der UBS-Investmentbank Piero Novelli und den General Counsel, den Risikochef und den Compliance Officer.
Das ist bereits eine massive Behinderung im operativen Geschäft. Dauert die Einreisesperre mehrere Monate wird die Behinderung zum Geschäftsrisiko.
5. Wenn die Ratings ins Rutschen geraten
«Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben», soll Michail Gorbatschow einst gesagt haben. Daran dürften sich dieser Tage auch die Rating-Agenturen erinnern, die bei der Finanzkrise von 2008 den Ernst der Lage zu spät erkannten.
Dementsprechend werden Standard & Poor’s oder Moody’s angesichts des laufenden Corona-Crashs weniger lange mit Abstufungen zuwarten. Wie die «Financial Times» berichtete, stehen erste Firmen schon unter Beobachtung deswegen.
Vor diesem Schicksal sind auch Schweizer Banken nicht gefeit, welche von einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums hierzulande direkt betroffen wären. Angesichts der langfristigen Forderungen und ihrer kurzfristigen Verbindlichkeiten, namentlich gegenüber anderen Finanzinstituten, wäre eine Herabstufung ein Signal, das die Krise einer Bank weiter vertiefen könnte.
6. Blasen gibt es bereits. Wann platzen sie?
Im Jahr 2008 waren es Kreditderivate, die zum Brandbeschleuniger der Verwerfungen im Finanzsystem wurden. Gerade in Verbriefungen von US-Subprime-Hypotheken hatte sich damals eine Blase aufgestaut, deren Gefährlichkeit nur die allerwenigsten Beobachter hatten kommen sehen.
Dagegen ist gut bekannt, wo die Märkte aktuell überhitzt sind: Ein solcher «Hotspot» sind die mit privatem Fremdkapital finanzierten Firmenübernahmen, zumal in den USA. Dort sind die Bewertungen seit der Finanzkrise permanent gestiegen. Und weil wegen der tiefen Zinsen massig Geld in Privatmarkt-Fonds fliesst, werden die Preise immer weiter nach oben getrieben. Geraten jedoch die den Investments zugrundeliegenden Firmen durch die Corona-Pandemie in Schieflage, fallen die Bewertungen in sich zusammen.
Ähnlich exponiert sind hochverzinsliche Unternehmensanleihen. So genannte Junk Bonds waren in den letzten Jahren die bestrentierenden Anlagen überhaupt, entsprechend gross war die Nachfrage und damit die Verbreitung im Finanzsystem. 2019 noch legte der Wert der Anlagen im Schnitt um mehr als 13 Prozent zu, während des vergangenen Jahres wurden über 370 Milliarden Dollar-Hochverzinsliche neu ausgegeben.
Eine Rezession könnte auch hier Bonitäts-Herabstufungen und Zahlungsausfälle en masse auslösen. Entsprechend berichten Händler, dass dieser Markt in den letzten Tagen «zugefroren» sei.
Tröstlich ist immerhin, dass die Währungshüter spätestens seit der Schuldenkrise in Europa Erfahrung mit solchen Blasen haben. Vorausgesetzt, dass dafür genügend Mittel aufgebracht werden, könnten diese Brandherde wohl eingedämmt werden.
7. Wenn das Vertrauen ganz weg ist
Der «worst case» wäre ein Vertrauensverlust im Finanzsystem, wie ihn der Kollaps der Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 ausgelöst hatte. Der Repo-Markt brach zusammen, weil die Banken ihre überschüssige Liquidität nicht mehr anderen Instituten zur Verfügung stellen wollten.
Das gegenseitige Vertrauen war dahin, weil der Lehman-Kollaps den anderen Wall-Street-Banken die eigenen Schwächen klar aufgezeigt hatte: Zu wenig Eigenkapital und keine Liquiditätsreserven. Der Repo-Markt ist sowas wie die Lebensader fürs Banking. Fliesst das Geld dort nicht mehr, ist die Katastrophe da.
Droht diese nun? Ein möglicher Auslöser könnten die massiven Einbrüche an den Börsen sein. Wertschriften dienen den Banken im Repo-Markt oft als «Collateral». Sinkt der Wert dieses «Collateral» können Kreditgeber mehr Sicherheiten verlangen. Kann eine Bank diese Sicherheiten nicht mehr erbringen, könnte dies der Katalysator für einen allgemeinen Vertrauensverlust sein. Bereits jetzt gilt der US-Repomarkt als angeschlagen und mussten von der Notenbank (Fed) gestützt werden.