Bald startet die US-Investmentbank Goldman Sachs mit ihrer digitalen Retailbank Marcus in Grossbritannien. Danach soll Kontinentaleuropa folgen. Müssen sich die Schweizer Regionalbanker Sorgen machen?
In der deutschen Zeitung «Handelsblatt» war es jüngst die meist gelesene Finanzmeldung: «Goldman Sachs greift Sparkassen an», titelte die Story und spielte damit auf die Pläne der amerikanischen Investmentbank an. Dort hatte Europachef Richard Gnodde kürzlich angekündigt, die Online-Plattform «Marcus» in Deutschland als drittem Markt ausrollen zu wollen.
In den USA hat die digitale Retailbank ein rasantes Wachstum hinter sich. In gut anderthalb Jahren seit der Gründung hat Marcus – der Name ist eine Hommage an Banking-Doyen Marcus Goldman – dort das Angebot von Konsumkrediten auf Sparkonti ausgeweitet. Binnen dieser Frist konnte die Goldman-Tochter Sparguthaben von über 20 Milliarden Dollar anziehen und mehr als 3 Milliarden Dollar an Konsumkrediten vergeben.
Vorstoss in die Schweiz nicht ausgeschlossen
Genug Volumen, um nun auch Europa zu entern. Im Juni ist der Start in Grossbritannien vorgesehen. Als nächste «Option» sollen dann Deutschland respektive Kontinentaleuropa folgen, wie finews.ch im Umfeld der mächtigen US-Bank bestätigt wurde. Ein Vorstoss in die Schweiz, heisst es dort, sei nicht ausgeschlossen.
Müssen sich hiesige Retailbanker jetzt schon Sorgen machen? Für Entwarnung spricht, dass der Schweizer Markt relativ überschaubar ist und deshalb internationalen Konkurrenten nur begrenzte Skaleneffekte bietet. Anderseits zeigt das Beispiel der Helvetischen App Twint, dass sich die Schweizer Banken gegen neue Konkurrenten wie Apple Pay zu wehren wissen.
Spotten über die Konkurrenz
Die Zuversicht, mit der die Marcus-Entwickler Pläne für den britischen und den deutschen Markt schmieden, muss trotzdem zu denken geben. Beide europäischen Staaten gelten als «overbanked». Mit den Sparkassen und Landesbanken verfügt Deutschland zudem über ein ähnlich engmaschiges und damit schwer angreifbares Retailbanking wie die Schweiz. Doch das alles schreckt Marcus nicht ab. Im Gegenteil.
In den Staaten wirbt die digitale Retailbank mit einem Spot (siehe Video unten), der frech behauptet, bei den Konditionen der Konkurrenz können man ja das Geld gleich unter der Matratze verstecken.
Tatsächlich fährt Marcus in den USA eine knallharte Preisbrecherstrategie. Das kann sich die digitale Banke leisten, wird sie doch mit einer halben Milliarde Dollar von Mutter Goldman Sachs subventioniert und darf obendrein deren Bilanz nutzen.
Wendig und Selbstsicher
Noch wichtiger ist aber wohl, was Omer Ismail, der operationelle Leiter von Marcus, jüngst an einem Podium ausführte. Marcus ist zwar eine Bank. Sie verfügt aber ähnlich einem Fintech-Startup über keinerlei altes Geschäft, das kannibalisiert wird. Ein Problem, das hierzulande etwa der Basler Kantonalbank mit ihrer Banking-App Zak droht.
Zudem ist die Plattform laut Ismail wendig genug, um sich stets neu anzupassen und innert Kürze neue Angebote zu lancieren: Solche Pläne bestehen bereits im Bereich der Kreditkarten, der Vermögensverwaltung und der Vorsorge.
Dies alles geschieht mit dem Korpsgeist von Goldman Sachs im Rücken. Marcus-Manager wie Ismail mögen wohl jetzt wie Fintech-Entrepreneure mit offenem Hemdkragen herumlaufen. Sie haben aber über Jahrzehnte dem Mutterhaus gedient. Damit geht das Credo einher, schlicht die besten Banker der Welt zu sein. Wie ein Duell mit den hiesigen Kantonal- und Raiffeisenbänklern dann wohl ausgehen würde, ist jedenfalls offen.