Seit neun Monaten leitet Tom Naratil das USA-Geschäft der UBS. Er hat bereits einiges bewegt, bei der Personalrekrutierung, bei den Löhnen oder im Umgang mit der Zentrale in Zürich. Was sind seine Ambitionen?

Der 55-jährige Amerikaner Tom Naratil war insgesamt fünf Jahre Finanzchef bei der UBS, in zweien davon – unter CEO Sergio Ermotti – hatte er zusätzlich die Funktion des Chief Operating Officers inne.

Trotzdem ist er einem grösseren Publikum kaum bekannt, zumal sein Geschäft sich lange Zeit hinter den Kulissen entfaltete. Doch nun rückt er zusehends auf den Radar, seit er Anfang 2016 die Nachfolge des charismatischen Robert «Bob» McCann als Amerika-Chef übernommen hat.

Nachfolger eines Schwergewichts

McCann ist ein bekanntes und bestens vernetztes Schwergewicht in der internationalen Finanzbranche, der sich seine Reputation bereits bei seinem früheren Arbeitgeber, dem Finanzkonzern Merrill Lynch, aufbaute und in der Folge massgeblich dazu beitrug, dass die UBS nach dem Krisenjahr 2008 in den USA wieder Fuss fasste.

Der smarte McCann erzielte mit seiner Einheit in den vergangenen vier Jahren einen Vorsteuergewinn von rund einer Milliarde Dollar, nachdem die UBS zuvor geschwächelt hatte, so dass notorisch Gerüchte in der Branche die Runde gemacht hatten, die Bank würde sich aus dem USA-Geschäft verabschieden. Heute ist nicht im geringsten mehr davon die Rede.

Heikler Wechsel

Er und Naratil werden in der Branche gerne als Antipoden gesehen. Da der entschlossene McCann, der sich gerne mit seinen Frontleuten, den so genannten Brokern, umgibt, und dort Naratil, der 1983 über PaineWebber zur UBS stiess und bislang eher im Hintergrund wirkte, besonnen, analytisch, extrem arbeitsam und voller Energie.

Die Stabsübergabe von McCann zu Naratil war insofern heikel, als dass viele Beobachter vermuteten, der Rückzug McCanns, der nun als Chairman des Amerika-Geschäfts der UBS amtet und dabei Top-Kunden pflegt, könnte im Tal der Tränen enden.

Massenabwerbung bei der CS

Doch der neue USA-Chef setzte bereits in den ersten Monaten seiner Amtszeit ein Zeichen nach dem andern. Erfolgeich engagierte er beispielsweise nicht weniger als 70 Broker von der Credit Suisse, die keine Lust hatten, zu Wells Fargo zu wechseln, wohin die CS dieses Geschäft veräussert hatte.

Für die CS war der Aderlass dermassen einschneidend, dass sie bei der Branchenaufsicht Finra eine Anzeige einreichte, und die Bank Wells Fargo ihrerseits räumte ein, dass der Deal die Erwartungen nicht verfüllt hätte.

Absage an einen Bieterkampf

Das Engagement der 70 Ex-CS-Broker verschaffte Naratil zunächst Luft und verhalf gleichzeitig im Brokerage-Geschäft zu einer gewissen Kontinuität; zudem war der neue Amerika-Chef der UBS nicht darauf angewiesen, sich in einem millionenschweren Bieterkampf um Broker von der Konkurrenz zu verzetteln.

Stattdessen konnte sich Naratil auf andere, strategische Ziele konzentrieren, etwa indem er mit dem in San Francisco ansässigen Robo-Advisor-Software-Lieferanten SigFig eine Kooperation einging. Damit war er seiner Zeit weit voraus; der Wettbewerber Merrill Lynch gab beispielsweise erst diese Woche bekannt, ab nächstem Jahr mit einem Robo-Advisor zusammen zu arbeiten.

Übermächtige Konkurrenten

Natürlich darf man die Relationen nicht aus den Augen verlieren. Die UBS ist im Vergleich zu Firmen wie Bank of America/Merrill Lynch, Wells Fargo oder Morgan Stanley eine kleine Nummer, sowohl was die finanzielle Strahlkraft als auch die Anzahl der beschäftigten Broker angeht. Allein Morgan Stanley hat mehr als doppelte so viele Berater auf der Payroll wie die UBS, die ihrerseits stets bekräftigte, nicht gross über die Zahl von 7'100 zu wachsen.

Kürzlich beschloss Naratil auch, die Rolle der UBS-Niederlassungsleiter in den USA aufzuwerten, die zusehends unter der Last an Regulatorien leiden, die seit dem Ausbruch der Finanzkrise eingeführt wurden. Seither tragen diese Kaderleute mehr Verantwortung, etwa was das lokale Marketing und die Preisfindung angblangt, wie das amerikanische «Wall Street Journal» unlängst berichtete.

Vernetzt am Konzernsitz

Neben seinem Heimvorteil in den USA kann Naratil noch eine weitere Karte spielen, nämlich seine engen und gleichzeitig hervorragenden Beziehungen im Mutterhaus in Zürich, zumal er nach wie vor in der Konzernleitung sitzt und ohnehin weiss, wie der Laden hierzulande tickt; darüber hinaus ist er als früherer Finanzchef ebenso mit den Geschäftszahlen vertraut.

In seiner früheren Funktion als Chief Operating Officer (COO) schaffte er es, die Kosten der Bank um nicht weniger als zwei Milliarden Franken zu senken, nachdem das Unternehmen gegen Ende 2012 seinen grossen Strategiewechsel angekündigt hatte – weg vom Investmentbanking und stattdessen einen Fokus auf die Vermögensverwaltung (Wealth Management) zu legen.

Auf Tuchfühlung mit der Vermögensverwaltung

Obschon das USA-Geschäft traditionell eher unabhängig von der Konzernzentrale in Zürich funktioniert, erkannte Naratil sehr rasch, dass er seine Kosten zielstrebiger senken konnte, wenn er mit Wealth-Management-Chef Jürg Zeltner enger kooperierte. Auch die Vermögensverwaltung befindet sich derzeit in einem epochalen Wandel und muss sich in gewisser Weise neu erfinden.

Vor diesem Hintergrund erkannte Naratil durchaus die Zeichen der Zeit und begann die zum Teil überhöhten Kompensationssysteme seiner Leute zu hinterfragen und dem dauernden Kampf um die besten Talente in der Branche eine Absage zu erteilen – nicht zuletzt, indem er die Teams von der CS übernahm, die nicht zu Wells Fargo wechseln wollten.

Fast schon ein Tabubruch

«Damit schüttelt er die traditionellen Brokerage-Geschäftsmodelle gehörig durch», sagt Alois Pirker, Analyst bei der Aite Group und selber früher ein UBS-Banker.

Weitere Akzente in der Branche setzte Naratil auch, als er seine Rekrutierungsziele aufs Jahr und die damit verbundenen (tieferen) Salärpakete offenlegte, was fast schon einem Tabubruch gleich kam.

Warten bis Ende Jahr

Noch ist es offen, ob Naratil mit seinem erfrischen Vorgehen in den USA nachhaltig Erfolg haben wird und neue Massstäbe setzen kann, nach denen sich die wesentlichen grösseren Rivalen dereinst werden richten müssen. «Ende 2016 werden wir mehr wissen, wenn Tom Naratil sein erstes Jahr als UBS-Americas-Chef hinter sich hat, sagte Pirker gegenüber finews.ch.