Valiant-Chef Markus Gygax gibt nicht den Glamour-Banker. Um seine Ziele zu erreichen, setzt er auf Filialen, Smartphones und die Agglomeration, wie er im Interview mit finews.ch erklärt.
Herr Gygax, bei dem sonnigen Frühlingswetter haben Sie als leidenschaftlicher Sportler bestimmt schon dass Velo aus dem Keller geholt, oder?
Das Velo bleibt leider drin, weil ich letzten Sommer die Achillessehne gerissen habe. Immerhin darf ich seit Februar wieder Langlaufen. Nun bin ich noch jede freie Minute in den Bergen.
Velorennfahrer zierten die jüngste Bilanz-Medienpräsentation von Valiant – unter dem Motto: mit hohem Tempo unterwegs. Mit der Ankündigung von geographischer Ausbreitung und Akquisitionen weckt das ungute Erinnerungen an die Ära Kurt Streit. Was ist diesmal anders?
Dieses Feedback erhielt ich auch von Mitarbeitenden. Die Strategie meiner Vorgänger will ich nicht kommentieren. Aktuell lässt sich aber sagen, dass wir in den letzten zwei Jahren Valiant mit dem Ziel, eine einfache Bank zu sein, umgebaut und ein funktionierendes Geschäftsmodell geschaffen haben. Jetzt nehmen wir den nächsten Schritt vor. Und eigentlich ist das Tempo dabei gar nicht so hoch.
So?
Zwei neue Geschäftsstellen pro Jahr auf 84 bestehende Filialen und 20 neue Kundenberater auf rund 600 Beschäftigte im Vertrieb: Das ist meiner Meinung nach ein verkraftbares Wachstum.
«In der Kundenzone warten keine Mitarbeitenden mehr»
Wo wird Valiant denn 2016 neue Filialen eröffnen?
Die Romandie ist unsere erste Priorität. Derzeit hat Valiant das beste Wachstum und die besten Margen in der Westschweiz. Wir wachsen an den Standorten Freiburg, Neuenburg oder Bulle stark im Kreditgeschäft, jedoch zögerlicher bei den Kundengeldern. Grundsätzlich stimmt uns das zuversichtlich, dass unser Angebot auch in Vevey, Morges oder Nyon funktionieren würde.
Und dort tauchen die Valiant-Logos nun bald auf?
Nein. Zuerst müssen wir den neuen Filialtyp gestalten.
Was schwebt Ihnen vor?
Ich stelle mir vor, dass wir für eine kleinere Stadt zwei, drei Berater brauchen und rund 100 Quadratmeter Bürofläche. Die Kundenzone wird relativ klein – und dort werden keine Mitarbeitenden mehr auf die Kunden warten.
Mit Videoerkennung dauert die Kontoeröffnung weniger als 10 Minuten. Wie?
Der Empfang wird digital funktionieren. Mit elektronischen Hilfsmitteln müssen die Kunden grundlegende Dienstleistungen wie Kontoeröffnung oder Kartensperrung selber vornehmen oder einen Mitarbeitenden kontaktieren können. Jemanden am Schalter sitzen zu haben, das kann sich Valiant schlicht nicht mehr leisten. Generell will ich für den Aufbau einer Filiale nicht mehr als eine Million Franken aufwenden.
Wie weit sind Sie denn mit der nötigen Technologie?
Ab Mitte April wird es dank einer von uns in Zusammenarbeit mit der Swisscom entwickelten Dienstleistung möglich sein, in der ganzen Schweiz via Smartphone bei Valiant ein Konto zu eröffnen – ganz ohne Papierkram. Das funktioniert per Videoerkennung und dauert weniger als zehn Minuten. Technologie allein reicht aber nicht aus, um langfristig erfolgreich zu sein.
Sondern?
Es braucht eine minimale Sichtbarkeit in der Region – auch wenn wir dank den digitalen Lösungen vielleicht nur 120 Filialen bräuchten, um die ganze Schweiz abzudecken. Die Digitalisierung ermöglicht uns erst die geographische Expansion zu Kosten, die für uns verkraftbar sind.
Sie trauen der Digitalisierung also nicht ganz über den Weg?
Für uns ist das neu von der Finanzmarktaufsicht erlaubte digitale Onboarding ein idealer Weg, um zu wachsen. Wir werden die neue Dienstleistung, die wir als erste Bank mit digitaler Signatur anbieten, auch entsprechend bewerben. Doch wie gesagt gibt es Grenzen: Ich nehme nicht an, dass der ganze Kanton St.Gallen, wo uns keiner kennt, auf einmal Valiant-Kunde wird.
«An die digitale Retail-Bank glaube ich nicht»
Was tun Sie also?
Sicher müssen wir viel in die Marke investieren, bevor das digitale Angebot greift. Umso wichtiger ist es, dass wir im traditionellen Geschäft rentabel wachsen. Das erlaubt es uns, im Fintech-Bereich auch einmal ein Projekt zu verfolgen, das am Ende nicht funktioniert.
Sie haben nicht den Anspruch, die digitalste Bank der Schweiz zu führen?
Nein, das war nie meine Absicht. An die rein digitale Retail-Bank glaube ich nicht – nicht bei der Digitalisierung dabei zu sein ist aber ebenfalls keine Option.
Tatsächlich bewegt sich der Bereich rasend schnell. So wollen die konkurrierenden Schweizer Bezahl-Apps Twint und Paymit mit Blick auf den Markteintritt von Apple fusionieren. Valiant bietet Twint an – wie beurteilen Sie die Lage?
Unser Alptraum ist es tatsächlich, die Schnittstelle zum Salärkonto des Kunden an branchenfremde Player zu verlieren. Denn damit wäre unsere Refinanzierung gefährdet. Schweizer Lösungen wie Twint oder Paymit mit Anbindung an unsere Konten sind für uns bessere Alternativen als Apple.
Zurück zur Expansion: Was hat Valiant jenseits des Aargaus vor – in Zürich oder in der Ostschweiz?
Wichtiger sind für uns derzeit die Arrondierungen des Stammgebiets in derzeit elf Kantonen. Im Aargau etwa sind wir in den ländlichen Tälern präsent, aber nicht in städtischen Gebieten wie Lenzburg, Zofingen oder Brugg. Ennet dem Jura sind wir weder in Rheinfelden noch in Frick. Auch in Basel haben wird die kritische Masse nicht erreicht. Erst in einem nächsten Zug planen wir dann den Vorstoss über Zürich hinaus. Und ich betone dabei das Wort hinaus.
«Die grossen Städte überlasse ich meinen Nachfolgern»
Warum?
Valiant ist historisch eine ländliche Bank. Wir sind in Willisau, Wolhusen oder Murten die Nummer eins. Das Problem ist jedoch, dass das Wachstum künftig in den Zentren stattfinden wird. Also muss Valiant dorthin. Allerdings können wir in Städten wie Zürich, Genf oder Lausanne nur schwer als lokale Bank auftreten. Unser Platz ist eher in Uster, Wetzikon und Winterthur. Die grossen Städte überlasse ich dann meinen Nachfolgern.
Für die neuen Filialen brauchen Sie Personal – sind die Abbaumassnahmen bei Valiant damit zu Ende?
Wir sind der Meinung, dass wir den Tiefststand bei der Anzahl Mitarbeitenden nun erreicht haben. Das Backoffice versuchen wir so zu halten, während es an den Schaltern innert der nächsten fünf Jahre noch zu einem weiteren Stellenabbau kommen dürfte, zugunsten der Beratung. Am Hauptsitz werden wir in der Tendenz nicht mehr, aber dafür teurere Leute beschäftigen – etwa Spezialisten im Fintech-Bereich oder Projektleiter.
Wo kriegt Valiant denn die zusätzlichen Kundenberater her? Schliesslich sind diese im Banking ein gefragtes Gut.
Wir werden einen Valiant-Campus aufziehen, wo wir die Leute an ihre Aufgaben heranführen. Gerade im KMU-Bereich ist es schwierig, erfahrene Leute zu finden. Ich gehe davon aus, dass wir wenigstens einen Teil des Aufbaus selber leisten werden.
Ein lohnendes Ziel müsste eine reine Retailbank sein
Allerdings könnten Sie rasch zu mehr Mitarbeitern kommen – weil Valiant neu das Ziel hat, akquisitorisch zu wachsen. Welche Objekte passen denn überhaupt zu Valiant? Die geplatzte Fusion mit der Berner Kantonalbank BEKB Ende 2012 ist da ja ein mahnendes Exempel.
Diese Fusion hätte tatsächlich wenig Sinn gemacht. Die Überschneidungen waren viel zu gross. Im Kanton Bern hätte jede zweite Valiant- oder BEKB-Filiale schliessen müssen. Aus unserer Sicht müsste ein lohnendes Ziel in unserem Einzugsgebiet liegen und eine reine Retailbank sein. Wir wollen insbesondere kleinen Banken signalisieren: Valiant ist nach einer mehrjährigen Pause wieder bereit für anorganisches Wachstum.
Die alte Valiant pflegte mit eigenen Aktien zu zahlen. Wie würden Sie heute eine Übernahme finanzieren?
Wir horten kein Aktienkapital auf Vorrat. Wenn wir ein grösseres Ziel übernehmen wollen, müssen wir bei den Aktionären eine Kapitalerhöhung beantragen. Kleinere Banken können wir mit dem bestehenden Kapitalpuffer akquirieren.
Dass Valiant nun wieder explizit zukaufen will, könnte auch als Flucht nach vorn gedeutet werden. Den Neugeld und Kundenausleihungen sind weniger stark gewachsen als bei anderen Banken. Wie sehen Sie das?
Das mit der Flucht nach vorn ist keine schlechte Umschreibung. In den Regionen, in denen in den nächsten zwanzig Jahren das Wachstum stattfinden wird, sind wir zu wenig präsent. Umso mehr ist es höchste Zeit, aus der Landschaft in die Agglomeration vorzudringen.
Das wäre schlicht zu gefährlich
Um zurück zum hohen Tempo zu kommen: Kürzlich mussten Sie zugeben, dass Valiant die Gewinnziele für 2017 nicht erreichen wird. Hand aufs Herz – bewegen sich Banker im heutigen Umfeld nicht im totalen Blindflug?
Die Visibilität im Banking ist sicher gesunken. Es sind Dinge zur Normalität geworden, die man sich vor zwei Jahren nicht im schlimmsten Stressszenario ausgemalt hätte. So wird das anhaltende Negativzinsumfeld dafür sorgen, dass die Erträge auf der Kreditseite weiter schmelzen – während wir die Strafzinsen niemals an die Sparer weitergeben können.
Weil Sie die nicht verärgern wollen.
Weil es schlicht zu gefährlich wäre. Wir haben berechnet: Wenn wir als erste Schweizer Bank Negativzinsen auf Sparguthaben erheben, könnten die Kunden über Nacht bis zu 6 Milliarden Franken auf ihre Konti bei anderen Banken transferieren. Das würde Valiant nicht verkraften. Das illustriert, warum unsere Gewinnziele nicht haltbar waren. Und weshalb das Schweizer Retailbanking schwierigen Zeiten entgegengeht.
Markus Gygax ist seit Ende 2013 CEO der Regionalbank Valiant. Zuvor war der 53-Jährige als Leiter des Retailbanking bei der Banque Cantonale Vaudoise (BCV) tätig. Vor seinem Engagement bei der BCV arbeitete er von 2002 bis 2008 als Leiter Distribution und Geschäftsleitungsmitglied bei der PostFinance und führte sowohl den Vertrieb Privatkunden als auch den Vertrieb Geschäftskunden.
Zwischen 1987 und 2002 war Gygax in verschiedenen Funktionen unter anderem für den Schweizerischen Bankverein, die heutige UBS, tätig. Unter seiner Führung konnte die aus einer Turnaround-Phase kommende Valiant im Jahr 2015 den Konzerngewinn um ein Fünftel auf 114 Millionen Franken steigern.