Wie muss man als Privatbankier die Mindestkurspolitik der SNB beurteilen? Georges Gagnebin und Pierre Pâris gehen hier dieser Frage nach.
Georges Gagnebin ist Präsident der Banque Pâris Bertrand Sturdza in Genf.Pierre Pâris ist Generaldirektor der Banque Pâris Bertrand Sturdza.
Dass der Euro über kurz oder lang weiter abwerten muss, ist eine weit verbreitete These in diesen Tagen. Sie wird dadurch untermauert, dass nur noch wenig Vertrauen in die Sanierung der Haushalte zahlreicher europäischer Staaten besteht. Täglich steigt die Angst vor einer Solvenzkrise der Banken und vor neuerlichen Zahlungsausfällen von Staaten.
So gab Lou Jiwei, Vorsitzender des chinesischen Staatsfonds China Investment Corp (CIC), in der vergangenen Woche bekannt, dass er seine Investitionen in Europa bereits zurückschraube. Die Funktion des CIC besteht bekanntlich darin, 410 Milliarden US-Dollar als einen Teil der Devisenreserven langfristig zu verwalten.
Wie hoch das Risiko eines Zerfalls der Eurozone ist, soll hier nicht bewertet werden. Die eigentliche Gefahr für die Anleger mit Guthaben in Euro ist dessen Abwertung. Alles dürfte auf eine akkommodierende Geldpolitik der EZB hinauslaufen – in Gestalt finanzieller Repression (negative Realzinsen) und einer Abwertung des Euros.
Diese Abwertung ist notwendig, um die Überschuldung in den Griff zu bekommen, die Wettbewerbsfähigkeit zumindest teilweise aufrechtzuerhalten und gleichzeitig die sozialen Spannungen einzudämmen. Bei den meisten europäischen Staaten fällt es schwer zu glauben, sie könnten selbstständig wieder Ordnung in ihre Haushalte bringen.
Ein anderer Blick als jener der Ökonomen
Als Privatbankiers tragen wir eine treuhänderische Verantwortung gegenüber unseren Anlegern. Somit betrachten wir die Mindestkurspolitik aus diesem Blickwinkel und nicht aus dem der Ökonomen: Ist sie risikofrei und von Bestand?
Dem Druck, der die allgemeine Schwächung des Euros (und Europas) wohl letztendlich erzeugen wird, dürfte der derzeitige Mindestkurs mit grosser Wahrscheinlichkeit längerfristig kaum gewachsen sein. In einem solchen Fall und um einem Aufwärtstrend des Frankens entgegenzuwirken, muss die SNB noch umfangreichere Franken-Beträge verkaufen – und zwar in höherem Masse denn je, befürchten wir.
Viele europäische Anleger werden vermutlich von Euro- auf Franken-Guthaben umsteigen. Deshalb muss verhindert werden, dass es durch diese beispiellose Franken-Emission zu einer Inflation kommt. Sollte der Mindestkurs nicht gehalten werden können, wären die Kursverluste für die Nationalbank verheerend. Freilich wären das keine Cashverluste, und theoretisch geht eine Notenbank, die ja mit negativem Eigenkapital arbeiten kann, nie in Konkurs.
Ist es wirklich das, was wir wollen?
Nur: Dieses Argument träfe dann auch auf die Staaten zu, die angeblich ebenso wenig in Konkurs geraten können. Dessen ungeachtet führt uns die Logik der Wirtschaft immer wieder vor Augen, welch grundlegende Rolle Glaubwürdigkeit und Vertrauen für die Währungsstabilität spielen. Schon ein Blick auf die derzeitige Situation in Europa zeigt, dass sich hier Theorie und Praxis stark unterscheiden.
Für die Schweiz wäre die Aussicht, beträchtliche Kursverluste zu erleiden, mit schlimmen Folgen verbunden, die ihren Ruf als «safe haven» arg beschädigen und die Preisstabilität gefährden könnten. Das wäre das Gegenteil des von der Notenbank verfolgten Ziels. Ist es wirklich das, was wir wollen?
Die SNB darf nicht so lange warten, bis sie unter den Druck der Märkte gerät, und muss eine Absenkung des Mindestkurses vermeiden. Sie sollte vorausschauend handeln. Wir sind keine Befürworter von Zwangsmassnahmen wie dem Einsatz der Devisenkontrolle und der Einführung eines Negativzinses. Welche Politik sollten wir also verfolgen?
Wir sollten vom schweizerischen Goodwill profitieren
Die Schweiz erfreut sich einer ausgeglichenen finanziellen Situation und steht für Seriosität und Vernunft. Dies ist in der heutigen Welt ein entscheidender Vorteil, geradezu ein Alleinstellungsmerkmal, das sich an der Anziehungskraft des Frankens ablesen lässt. Wir nennen das den «schweizerischen Goodwill», ein genuines nationales Erbe, über das wir verfügen wie andere Nationen über natürliche Ressourcen.
Weshalb sollten wir nicht ganz offen von diesem «hohen Niveau des Frankens» profitieren, um in greifbare und reale Aktiven zu investieren? Unsere Bank hat diese Politik bereits im vergangenen Herbst vorgeschlagen. Erscheint diese Lösung nicht erstrebenswerter als eine nahezu unüberschaubare Zahl von Anleihen mit fragwürdiger Bonität und wenig attraktiven Laufzeiten, obendrein in Währungen, die bald abgewertet werden könnten?
Kommen wir noch einmal auf das Beispiel China zurück. China, das seine Reserven bisher hauptsächlich in Treasuries und europäischen Staatsanleihen anlegte, hat beschlossen, seine Investitionen zu diversifizieren, und aus diesem Grund die State Administration of Foreign Exchange (SAFE) gegründet. Diese hat bereits über 300 Milliarden Dollar in Aktienanlagen, aber auch in natürliche Ressourcen sowie in die neuen Technologien überall auf der Welt umverteilt.
Kein Staatsfonds, trotzdem mehr Aktienanlagen
Dennoch ist für die Schweiz die Schaffung eines staatlichen Fonds nicht unbedingt notwendig. Zum jetzigen Zeitpunkt wäre es sinnvoller, dass die SNB die direkte Kontrolle über ihre Aktiven behält, die nach wie vor die Garantie für den Gegenwert des Frankens bilden.
Die optimale Umsetzung dieser Politik verlangt nach einem anderen als dem bislang von der SNB verfolgten Ansatz mit Aktienanlagen auf der Grundlage grosser Indizes, die auf zehn Prozent der Devisenanlagen begrenzt sind. Einen besseren Schutz vor einer Abwertung des Euros (und längerfristig auch des Dollar) böte eine breitere Diversifikation in «reale» Aktiven – also etwa in Aktien mit hohem internationalen Wert, die in ihrem Sektor tonangebend sind, oder in Rohstoffaktien. Zudem liesse sich das Wechselkursrisiko indirekt dank diversifizierten Anlagen in multinationale Unternehmen reduzieren, die bekanntlich in allen grossen Weltwährungen abrechnen.
Damit wären die Reserven weniger der Negativentwicklung des Euro beziehungsweise des Dollars ausgesetzt. Und schliesslich gäbe es – angesichts der vergleichsweise geringen Beträge bei den betreffenden Börsenkurswerten – keine Liquiditäts- oder Schwellenwertprobleme. Aus diesen Gründen sind keine strategische Beteiligungen vorgesehen.
Nicht zu vergessen: der positive Propagandaeffekt
Wir empfehlen, diese Politik der Monetarisierung der Franken-Überbewertung öffentlich zu vertreten und damit ein starkes Signal an die Devisenmärkte zu senden. Denn wer würde so weiterhin unbegrenzt und bis in alle Ewigkeit «überbewertete» Franken akzeptieren? Wer wäre bereit, die SNB (und damit die Schweiz) dauerhaft dabei zu unterstützen, grosse Mengen von realen Aktiven zu Vorzugspreisen zu erwerben?
Der Mindestkurs stünde somit nicht mehr in Frage, die Gefahr eines zu hoch bewerteten Frankens und beträchtlicher Kursverluste wäre mithin gebannt.
Es soll hier nicht über die Sinnhaftigkeit der Mindestkurspolitik geurteilt werden. Es geht lediglich darum, eine Anlagepolitik einzuleiten, die den gegebenen Umständen angemessen ist, und damit ein starkes Signal im Hinblick auf ihren Zweck zu setzen. Wir sind vom Erfolg einer solchen Herangehensweise überzeugt, vorausgesetzt natürlich, die gewählte Anlagepolitik lässt sich mit den langfristigen Interessen der SNB, ihrer Aktionäre und – so hoffen wir – der Eidgenossenschaft vereinbaren. Dann wäre es uns gelungen, eine Gefahr in eine wunderbare Chance zu verwandeln.