Vermögensverwaltungs-Doyen Pirmin Hotz erzählt im Interview mit finews.ch über sein erstes Kundengespräch im Pyjama und geisselt die derzeitigen Anlagetrends. Die Vermögensverwalter-Branche werde boomen – und konsolidieren.
Herr Hotz, in Ihrem Buch schreiben Sie, Sie hätten Ihren ersten Kunden im Pyjama empfangen. Wurde dies eine erfolgreiche Kundenbeziehung?
Die erste Kundenbeziehung war erfolgreich! Die Performance lag nach wenigen Monaten bei rund 10 Prozent. Leider hat der Kunde das Portfolio nach knapp einem Jahr trotzdem aufgelöst, weil er das Geld entgegen seinen ursprünglichen Absichten nicht langfristig, sondern für den Erwerb einer Eigentumswohnung brauchte. Er hatte eine gute Nase. Wenige Wochen nach Auflösung des Mandates, am 19. Oktober 1987, verhagelte der Schwarze Montag die Aktienmärkte mit einem Kurssturz von über 20 Prozent.
Was würden Sie einem von Ihren Kundenberatern heute sagen, wenn dieser Kundengespräche im Pyjama führen würde?
Wenn er es schafft, seine Kunden bei ebenso guter Performance viel länger zu behalten als ich, gratuliere ich ihm zu dieser formidablen Meisterleistung!
Seit Sie aktiv sind, hat sich die Vermögensverwaltungs- und Finanzbranche gewaltig verändert: Was sind aus Ihrer Sicht die prägendsten Elemente?
Die Finanzbranche versucht seit jeher, mit innovativen und oft intransparenten sowie teuren Produkten das Rad neu zu erfinden. Komplexe Strukis, Hedgefonds oder Bitcoin-Fonds werden aus dem Hut gezaubert, die den Kunden Mehrwert bringen sollen. Der weitaus grösste Teil davon ist unnötiger Hokuspokus.
Das Prägende in der Welt der Anlagen ist im Grunde, dass es keinen Wandel braucht, sondern vor allem Konstanz und Disziplin. Das ist der Unterschied zu industriellen Branchen, wo Innovation der Treiber des Erfolgs ist. Anleger, die vor 100 Jahren ein qualitativ hochwertiges, gut diversifiziertes Portfolio von Aktien mit langfristigem Horizont erworben haben, sollten auch heute nichts anderes tun.
Wie fit sind die Schweizer Vermögensverwalter heute: Steht die Branche vor einer grossen Zukunft – oder vor einer massiven Konsolidierung?
Unserem Finanzplatz und führenden Schweizer Vermögensverwaltern steht eine grosse Zukunft bevor. Wichtig dabei ist aber, einen klaren Fokus zu haben und keine Kompromisse zu machen. Anleger werden verstärkt nach unabhängigen Vermögensverwaltern suchen. Banker und Vermögensverwalter, die zu reinen Produkteverkäufern mutiert sind, werden im Zuge des anspruchsvollen Zinsumfeldes unter Druck kommen. Es wird eine Konsolidierung geben, die im Segment der kleineren Vermögensverwalter durch die verstärkten Regulierungs-Tendenzen noch beschleunigt wird.
Ihr Buch handelt von Ihren Lehren und Prinzipien beim Investieren, im Titel geht es um Gier, Angst und Herdentrieb. Sind das immer noch die treibenden Faktoren an der Börse?
Absolut! Nehmen Sie, was die Angst betrifft, die Corona-Krise im Frühjahr 2020: Nicht nur Kleininvestoren haben auf Tiefstständen ihre Aktien verkauft und die Nerven verloren, sondern namhafte Profianleger wie die Versicherungskonzerne Swiss Life und Helvetia haben ihre Aktienbestände prozyklisch im dümmsten Moment reduziert. Bezüglich Gier der Anleger erinnere ich an den aktuellen Hype in Aktien von Tesla. Die Bewertung ist astronomisch. Völlig Absurdes spielt sich in der Gambler-Aktie Gamestop ab. Gier, Angst und Herdentrieb der Anleger sind die besten Argumente für eine antizyklische Anlagepolitik.
Sie setzen sich auch kritisch mit der Portfolio-Theorie auseinander, die immer noch das ABC für Profi-Investoren ist. Taugt sie heute noch?
Die meisten Leute haben keine Ahnung, was die Portfolio-Theorie wirklich besagt. Im Grunde sind deren Aussagen trivial. Erstens: Die Märkte sind effizient, und wir überschätzen deshalb unsere Prognosefähigkeit systematisch. Zweitens: Weil unsere Prognosefähigkeit sehr begrenzt ist, sollten wir diversifizieren. Insofern hat die Portfolio-Theorie heute mehr denn je ihre Berechtigung, denn die Märkte sind im Zeitalter des Hochfrequenz-Handels effizienter denn je. Allerdings: Der liebe Harry Markowitz hat nie propagiert, man solle in «Schrottanlagen» wie zum Beispiel Hedgefonds oder Bitcoin investieren. Diversifikation in faule Eier macht keinen Sinn.
Die Notenbanken sind der dominierende Einfluss an den Börsen. Wie lässt sich eine Anlagestrategie danach ausrichten?
Eine gute Anlagestrategie darf nicht von der Höhe der Zinsen abhängen. Was jetzt im Markt, auch bei institutionellen Anlegern, abläuft, ist brandgefährlich. Sichere Anleihen zugunsten von intransparenten und hochmargigen Infrastrukturanlagen, Private Debt, Private Equity, Schwellenmarktanleihen oder Gold zu verkaufen, erhöht die Risiken der Portfolios in teilweise abenteuerlichem Masse. Da braut sich etwas zusammen. Gelder, die mindestens zehn Jahre nicht benötigt werden, sollen weiterhin in Aktien angelegt werden. An der langfristigen Anlagestrategie soll aber festgehalten werden, auch wenn die zukünftigen Renditeerwartungen für alle Anlagekategorien, auch Aktien, in einem Tiefzinsumfeld deutlich abgesenkt werden müssen.
Was war ihr persönlich grösster Flop als Anleger – und welche Lehren zogen Sie daraus?
Vor bald 40 Jahren traf ich als Student einen Broker von Merrill Lynch. Er schwärmte von seiner Kompetenz, die Märkte zu beherrschen und eine brillante Performance zu erzielen. Da ich als Student nicht das Geld hatte, um beim weltgrössten Broker zu investieren, motivierte ich meinen Vater. Nach wenigen Monaten lag der Broker 30 Prozent im Gewinn, danach ging es nur noch in eine Richtung: nach Süden! Das Portfolio musste nach rund einem Jahr mit einem Totalverlust liquidiert werden.
Es war das erste und einzige Mal in meinem Leben, dass ich «nur» wegen Geld nicht schlafen konnte. Eigenes Geld zu verlieren ist schlimm, dasjenige des Vaters ist schlimmer. Zum Glück hatte ich einen lieben Vater, der mir den wichtigsten Rat erteilte: Junge, lerne etwas daraus! Das habe ich gemacht.
Ihr bestes Investment?
Meine Stunde als Anleger schlägt immer dann, wenn Krise herrscht. Das Geld, das ich zuvor angespart habe, investiere ich konsequent und antizyklisch in Börsenkrisen. Zwar weiss ich nie, wann ein Tiefpunkt erreicht ist. Das spielt aber langfristig auch keine Rolle. Wichtig ist in turbulenten Zeiten, den Herdentrieb der Verkäufer zu nutzen und gestaffelt in die Baisse hinein zu kaufen.
Die grössten Positionen sollten dann investiert werden, wenn die Nacht am dunkelsten ist! Das hat sich immer ausbezahlt. Das wird sich auch in Zukunft auszahlen. Aktien haben langfristig noch jede Krise am besten gemeistert. Wenn dies einmal nicht der Fall sein und die Welt tatsächlich untergehen sollte: Dann spielt es definitiv keine Rolle mehr, ob ich Aktien, Immobilien, Anleihen, Gold oder Cash besitze.
Pirmin Hotz ist Gründer der unabhängigen Dr. Pirmin Hotz Vermögensverwaltungen, die als eine der führenden der Schweiz gilt. Hotz hatte sich bereits in den 1980-er Jahren selbständig gemacht und die Beratungs- und Verwaltungstätigkeit von institutionellen und privaten Vermögen aufgebaut. In seinem kürzlich erschienen Buch «Über die Gier, die Angst und den Herdentrieb der Anleger» erzählt Hotz von seinen persönliche Erfahrungen als Anleger und Vermögensverwalter und verknüpft dies mit wissenschaftlichen Fakten.