Die Kosten für das Cash-Handling bringen Bewegung in die Finanzwelt. Immer mehr Akteure wählen Alternativen zur traditionellen Bankenlizenz, um die Ausgaben für das Bereitstellen von Bargeld zu umgehen.
Die Pandemie hat in die Entwicklung der Zahlungsmittel eine ganz neue Dynamik gebracht. Der Gebrauch von Bargeld ist in den Keller gerasselt und Kartenzahlungen entsprechend gestiegen. Weil aber das Cash-Handling trotzdem fixe Kosten verursacht, suchen die Banken nach Alternativen und neuen Einnahmequellen.
Nach Schätzungen der Firma Capco, einer im Finanzbereich aktiven Beratungsfirma, sind Bargeldbezüge an Bankomaten in der Schweiz während dem Lockdown im Frühjahr um bis zu 40 Prozent zurückgegangen. Mittlerweile haben die Umsätze sich wieder etwas erholt, bleiben aber weit unter der Zeit vor Corona.
Bargeld bleibt vorderhand ein Zahlungsmittel
Weniger Bargeldumsatz, ja geradezu eine Abkehr vom Bezahlen mit Cash, bei gleichbleibenden Fixkosten rückt die Frage in den Mittelpunkt, ob das Ende von Bargeld näher rückt und falls ja, wann es so weit ist, dass eine Gesellschaft den Sprung wagen kann.
Das wird noch dauern, zeigt sich Nourdine Abderrahmane von Capco Zürich im Gespräch mit finews.ch überzeugt. Einer der wichtigsten Gründe dafür ist die Reichweite der Kartenangebote. Gerade ältere Bankkunden schätzen das Bargeld nach wie vor, zudem erreichen die Karten bestimmte Kundengruppen nicht: Kinder und Jugendliche unter 14 Jahren und Flüchtlinge gehören dazu.
Die Cash-Alternative muss alles können – für alle
Ausgerechnet im digital-affinen Schweden musste die Zentralbank auf die Bremse treten, weil die Gefahr des sozialen Ausschlusses besteht, wenn Detailhändler das Bargeld nicht mehr akzeptieren. Während der Pandemie hatten eine grosse Zahl von Geschäften sich geweigert, Bargeld entgegenzunehmen.
Kann die Gesellschaft am Ende gar nicht ohne Bargeld? «Möglichkeiten gibt es immer», meint Abderrahmane, der bei der Capco in Zürich Banken bei der Erstellung und Umsetzung von Bezahldienstleistungen berät. «Aber die Alternative muss alle Funktionen von Bargeld abbilden.» Und, alle Interessengruppen, sprich Bürger eines Landes, müssen Zugang zu dieser Alternative erhalten. Weil dies nicht so einfach umzusetzen ist, bleibt Abderrahmane überzeugt, dass Cash noch eine ganze Weile unser Begleiter bleiben wird.
Banken unter Zugzwang
Auch die Schweizerische Nationalbank (SNB), welche die Hoheit über die Versorgung mit Bargeld innehat, wird nicht müde zu betonen, dass sie nicht daran denkt, Cash abzuschaffen.
Umso wichtiger sind alternative Strategien für Retailbanken, welche unter den Kosten des Bargeldhandlings ächzen. Für sie bleibt Bargeld ein Kostenfaktor, während Kartenzahlungen im Gegenteil noch Einkommen generieren (mittels den Transaktionsgebühren). Darum sind Banken interessiert daran, ihre Klientel möglichst vom Bargeld wegzubringen.
Win-Win-Lösungen gesucht fürs Bargeldhandling
Dafür stehen grundsätzlich zwei Methoden im Zentrum: so können Banken mittels Gebührenpolitik die Kunden zielgerichtet zur Kartennutzung «zwingen», oder sie streben ein positives Kartenerlebnis an, welches den Kunden den Umstieg erleichtert.
Alternativ dazu gibt es auch ganz neue Wege, welche Firmen wie das Schweizer Startup Sonect, propagieren. Kunden können bei ausgewählten Detailhändlern im Rahmen ihrer alltäglichen Einkäufe auch gleich Bargeld «kaufen» – womit die Banken einen Teil ihres Bargeldhandlings elegant auslagern können. Sonect hat mittlerweile auch im Ausland Fuss gefasst und ihren Service in Schweden (im Rahmen eines Pilotprojekts) und Grossbritannien eingeführt.
Pandemie als willkommener Impuls
Die Pandemie hat nicht nur im Detailhandel zu Gewinnern und Verlierern geführt, sondern eben auch den Retailbanken gratis Unterstützung in ihrem Kampf für die Karten und gegen das Bargeld gegeben: «Die Pandemie war ein willkommener Impuls, die Kunden nachhaltig zum Gebrauch von Kartengeld zu bewegen», sagt der Experte von Capco.
Trotzdem, um die Anpassung der Kostenstruktur kommen die Banken nicht herum, weil sie wegen den Negativzinsen in ihrem Kerngeschäft mit Krediten tendenziell weniger Marge erzielen. Weil aber das Bereitstellen von Bargeld für die Banken mit einer Volllizenz Pflicht bleibt, geraten grosse Kostenfaktoren wie das Filialnetz unter Druck.
So hat beispielsweise die Credit Suisse angekündigt, ihr Filialnetz auszudünnen und im Zusammenhang mit der Ablösung der Marke Neue Aargauer Bank (NAB) deren 14 Filialen zu streichen. Andere Banken sind an der Ausarbeitung von ähnlichen Projekten.
Quersubventionierung der Bargelddienstleistungen
Neue Player im Geschäft scheuen sich sowieso, sich grosse Kostenfaktoren wie ein Filialnetz oder eben das Cash-Handling aufzubürden. Sie subventionieren lieber die Infrastruktur der bestandenen Banken, indem sie für den Bargeldbezug ihrer Kundschaft bei deren Automaten bezahlen – während diese wiederum so ihre Infrastruktur subventionieren können.
Gerade ein Revolut verfolgt dieses Konzept konsequent. Sie bietet nur bestimmte Leistungen selber an und kauft gerade die Bankomatoption sozusagen bei der Konkurrenz. Dies könnte durchaus viele Nachahmer finden. Letztlich ist auch die offene Architektur der Bankenplattformen stark im Kommen. Diese erlaubt es Nischenanbietern, ihr spezifisches Produkt zu skalieren, während im Gegenzug die Bank ihrer Kundschaft via der eigenen Plattform Lösungen von ganz unterschiedlichen Seiten anbieten kann. Bestes Beispiel dafür ist die Hypothekarbank Lenzburg mit ihrer Finstar Open-Banking-Plattform.