Die künstliche Intelligenz hält Einzug im Finanzsektor. Die jüngst erschienene Studie des WEF zeigt auf, dass KI in Zukunft ein entscheidender Erfolgsfaktor ist. Die Schweiz gehe dabei die Herausforderungen geschickt an, schreibt Martin Hess.
Martin Hess ist Leiter Wirtschaftspolitik bei der Schweizerischen Bankiervereinigung
Die Verwendung von künstlicher Intelligenz (KI) bei Finanzinstituten nimmt rasch zu. Zu diesem Schluss kommt eine jüngst veröffentlichte Studie des World Economic Forum und der University of Cambridge. Die Resultate einer globalen Umfrage zeigen, dass KI vor allem im Risikomanagement bereits von der Mehrheit der Finanzinstitute angewendet wird. Gemäss der Studie dürfte KI die digitale Transformation beschleunigen und sich bald zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor entwickeln.
So erwarten Vermögensverwalter eine höhere Anlagerendite und Kreditgeber einen grossen Nutzen durch eine bessere Kreditanalyse. Zahlungsanbieter ihrerseits streben eine breitere Verwendung ihrer Informationen über die Kunden für die Verbesserung der Dienstleistungen an.
Überproportionales Wachstum
Vor dem Hintergrund dieser verheissungsvollen Aussichten prognostiziert die WEF-Studie, dass sich der KI-Spreu vom KI-Weizen punkto eingesetzter Finanzmittel trennen wird. Der Anteil der befragten Finanzinstitute, die Gewinnsteigerungen direkt auf den Einsatz von KI zurückführen, wächst mit den dortigen Investitionen überproportional.
Für die Erfolgsaussichten für Banken in der Schweiz ist es deshalb zentral, dass im hiesigen KI-Ökosystem stets Zug im Kamin ist. Bereits ansässige Technologiefirmen und neue Initiativen wie das im letzten September ins Leben gerufene Cognitive Valley stellen dabei einen Standortvorteil und Zukunftsperspektiven für den Schweizer Finanzplatz dar.
Einfluss auf Wettbewerbssituation unklar
Während die WEF-Studie aufzeigt, dass KI die Finanzbranche insgesamt stärkt, tappen wir auch nach der Lektüre teilweise im Dunkeln, wie die zukünftigen Marktstrukturen aussehen werden.
Immerhin 42 Prozent der Befragten erwarten, dass die Einführung von KI nicht zu grundsätzlichen Umwälzungen im Wettbewerb führen wird (vgl. Abbildung 1)
Einfluss von AI auf das Wettbewerbsumfeld im Finanzmarkt
(Quelle: www3.weforum.org)
Jedoch hält jeweils auch ein bedeutender Anteil eine Disruption der Wertschöpfungskette oder eine monopolähnliche Struktur für möglich.
Klarer sind die Meinungen bei der Beschäftigungsentwicklung. Bei traditionellen Finanzinstituten dürfte KI aufgrund des Automatisierungspotenzials zu einem Stellenabbau führen. Demgegenüber schafft der Einsatz von KI bei FinTechs signifikant mehr Arbeitsplätze.
Differenzierte Auswirkungen auf das Risiko
Innovative Technologien sind immer mit Risiken behaftet. Dies gilt auch für KI, obwohl sie von Finanzinstituten spezifisch zur Reduktion von Unsicherheiten eingesetzt wird. Entsprechend zeigt die Studie für die Bereiche Zahlungsverkehr, Kreditgeschäft und Vermögensverwaltung, dass KI die Risiken reduzieren dürfte (vgl. Abbildung 2).
Auswirkung von KI auf das Risiko in Bankinstituten und Bankensektor
(Quelle: www3.weforum.org)
So erwarten die Befragten, dass eine KI-unterstützte Kreditentscheidung die Kreditausfälle in kurzer Zeit um 10 Prozent reduzieren wird. Nur im Bereich Infrastruktur dürfte KI die Risiken für Unternehmen erhöhen.
Der Beitrag von KI zur Risikoreduktion in den einzelnen Bankinstituten darf aber nicht für den Gesamtsektor generalisiert werden. Die Befragten erwarten, dass die Einführung von KI in ganz unterschiedlichen Bereichen zu einer Zunahme von Risiken führt. So bei Themen wie Cybersicherheit, Abhängigkeit von grossen Technologieanbietern oder datenbezogene Risiken wie Kundendiskriminierung oder Verletzung der Privatsphäre.
Der Regulierungsappetit steigt
Der Erfolg von KI hängt von der Akzeptanz und dem Vertrauen der Kunden von KI in den Mehrwert der Technologie ab. In der Schweiz müssen deshalb Branche und Behörden die neuartigen Risiken adressieren. Gegenwärtig wird auf internationaler Ebene kontrovers diskutiert, wie KI reguliert werden soll. Die EU-Kommission hat kürzlich ihr Weissbuch zu KI veröffentlicht.
Grundsätzlich zielt der europäische Ansatz für KI darauf ab, die Innovationsfähigkeit Europas zu fördern. Nicht zuletzt aus gesellschaftspolitischen Gründen liegt dabei ein Schwerpunkt im Bereich ethischer und vertrauenswürdiger KI. Während die EU und einige ihrer Mitgliedstaaten – auch vor dem Hintergrund der Europäischen Datenschutzgrundverordnung – für eine rechtsverbindliche Regulierung plädieren, um diese Ziele zu erreichen, machen andere Staaten wie die USA auf die Gefahren von zu viel oder zu strikter Regulierung für das Innovationspotenzial aufmerksam.
Die WEF-Studie selbst liefert ebenfalls kein eindeutiges Bild, ob KI-Regulierung die Einführung der Technologie nun beschleunigt oder hemmt. Rund 40 Prozent der Befragten sind der Meinung, bestehende Regulierung würde die Umsetzung von KI behindern, während mehr als 30 Prozent Regulierung als förderlich für die Umsetzung von KI erachten. Nicht überraschend schätzen Befragte aus China die Auswirkungen von Regulierung grundsätzlich positiver ein als Vertreter aus den USA oder Europa.
Bundesrat mit dem Blick fürs Wesentliche
Was tut die offizielle Schweiz? In seinem Bericht zur künstlichen Intelligenz hält der Bundesrat fest, dass die Finanzindustrie stärker als viele andere Branchen reguliert ist. Deshalb sei auch die Wahrscheinlichkeit grösser, dass Anwendungen einer neuen Technologie mit der bestehenden Regulierung kollidieren oder aber explizit in diese eingearbeitet werden müssen. Daraus folge, dass der Einsatz der KI in der Finanzwirtschaft genauer zu verfolgen ist als in anderen Wirtschaftszweigen. Das tut auch die Schweizerische Bankiervereinigung, die eng am Thema ihren Beitrag für den reibungslosen und sicheren Einsatz von KI leistet.
Unmittelbaren Handlungsbedarf sieht der Bundesrat aber nicht. Erfreulicherweise folgt er seinem Credo, dass Regulierung technologieneutral sein soll. Er zieht deshalb aktuell keine KI-spezifische Änderung der Finanzmarktregulierung in Betracht. Zudem ist zu begrüssen, dass der Bundesrat aufkommende Fragen im Rahmen ordentlicher Regulierungsrevisionen zu bearbeiten gedenkt. Dieser Pragmatismus sichert die vorteilhaften Standortbedingungen für technologieorientierte Finanzinstitute.
Überzeugung durch Leistung
So verbleibt es bei den Finanzinstituten dafür zu sorgen, dass das KI-Potenzial tatsächlich ausgeschöpft wird. Gemäss WEF-Studie sind die Haupthürden für eine erfolgreiche Implementierung die Verfügbarkeit und die Qualität von Daten zur Fütterung der Algorithmen, verfügbares Fachwissen sowie die Akzeptanz und das Vertrauen der Kunden. Wie bei allen anderen Produkten und Dienstleistungen lassen sich Kunden am besten durch Leistung überzeugen. Gelingt dies, ist der Finanzplatz Schweiz auch im Thema KI bestens gerüstet.