Die Schweizerische Nationalbank muss ihren Zinsentscheid in einer vom anlaufenden Wahlkampf geladenen Stimmung fällen. Doch die Indizien mehren sich, dass Negativzinsen nicht mehr wirken. Die ganze Geldpolitik ist in Frage gestellt.
Die Schweizerische Bankiervereinigung hat ein ausgezeichnetes Händchen bewiesen mit der Lancierung einer Diskussion um die Einführung von Strafzinsen für Kleinsparer. Am gleichen Tag wie die Europäische Zentralbank ihre Zinsen noch weiter gesenkt hat, trat die Lobbygruppe vergangene Woche eine Lawine los, welche der Schweizerischen Nationalbank (SNB) zu denken geben muss.
Normalerweise interessieren sich die Schweizer kaum für Geldpolitik. Seit knapp fünf Jahren aber verlangt SNB-Präsident Thomas Jordan von den Schweizer Banken Negativzinsen auf ihren Einlagen bei der Nationalbank. Sie kassiert von Banken Zinsen und macht den Job fast unmöglich, eine vernünftige Rendite zu erwirtschaften. Das gleiche trifft auf die Pensionskassen und die AHV zu und damit trifft die SNB auch die Altersvorsorge.
Der Angriff auf die Kleinsparer
Bislang haben die Banken nur von ihren Grosskunden einen Beitrag an ihre Strafzinsen verlangt. Wenn nun, wie die Bankiervereinigung mit sicherem politischen Instinkt androht, die Banken auch dem normalen Sparer Geld für seine Einlagen abknöpfen, reduzieren sich nicht nur die zu erwartende Rente, sondern auch das Angesparte.
Eine politische Zeitbombe, wie die Reaktionen der Presse zeigten. «Die Geldpolitik der Zentralbanken ist ausser Kontrolle geraten», so der «Blick». Kurt Schiltknecht, der ehemalige Chefökonom der SNB, schrieb in der «NZZ»: «Negativzinsen sind längst kontraproduktiv».
Wenn der Boulevard und die Lieblingszeitung der Bürgerlichen in die gleiche Richtung zielen, wird es langsam ungemütlich in Bern. Besonders in einem Wahljahr. Eine schleichende Enteignung der Bürger durch die Arbeit einer Behörde, welche ihre Unabhängigkeit von der Regierung betont, birgt offensichtlichen Zündstoff.
Geldpolitik am Wendepunkt
Grundsätzlich verstehen vermutlich die meisten Bürger durchaus, wieso die Nationalbank mit allen Mitteln versucht, die Aufwertung des Frankens zu begrenzen. Schliesslich ist die verarbeitende, exportierende Industrie an stabilen Wechselkursverhältnissen interessiert.
Wenn aber reihenweise Ökonomen von Rang und Namen den Zusammenhang zwischen Negativzinsen und Währungsstabilität in Frage stellen, herrscht Alarmstufe rot.
Wie weiter?
Die Geldpolitik steht an einem Wendepunkt. Die Bank braucht einen Vertrauensvorschuss, um glaubwürdig ihre Politik verfolgen zu können, Vertrauen das mittlerweile knapp zu werden droht. Eine ganze Reihe von Fragen steht im Raum:
- Warum steigt der Franken trotz rekordtiefer Zinsen? Ökonomen stellen den Mechanismus, der für die Negativzinsen von fundamentaler Natur ist, in Frage.
- Ist es tatsächlich sinnvoll, dass die Nationalbank dank ihrem Monopol auf die Schöpfung von Franken zu einem Grossaktionär von Firmen im Ausland wird und was befähigt sie dazu, ihre Verantwortung als solchen wahrzunehmen?
- Wann fängt die SNB an, ihre riesige Bilanz wieder abzubauen – im Moment geht es munter in die andere Richtung? Die riesigen Bestände an Vermögenswerten in Dollar und Euro werden dann zu einem Problem, wenn die Politik die SNB zwingen sollte, einen Teil der Reserven abzubauen – damit würde deren unabhängige Bewirtschaftung zunichte gemacht. Damit einhergehend kommt die Frage des Staatsfonds à la Norvège aufs Tapet.
- Entspricht die einseitige Ausrichtung der Geldpolitik der SNB auf den Frankenkurs tatsächlich ihrem Mandat, im Interesse der Gesamtwirtschaft zu agieren?
- Wie reagiert die SNB, wenn die Schweizer Volkswirtschaft in eine Rezession rutschen sollte – trotz Minuszinsen? Noch tiefere Zinsen würden da kaum weiterhelfen.
Ein hoher Preis für Frankenstabilität
Die SNB hat mit ihrer Politik der Tiefstzinsen und Devisenmarktinterventionen zweifelsohne den Druck auf den Franken zu reduzieren vermocht. Die Exportwirtschaft konnte sich nach und nach an einen etwas höheren Kurs gewöhnen und blieb äusserst wettbewerbsfähig.
Aber der Preis, den die Schweiz dafür bezahlt, wird immer grösser (siehe Vorsorgeunternehmen, Strafzinsen). Und damit steigt auch der Druck durch die Politik auf die Nationalbank. Die Volksvertreter sind gerade in Wahljahren bedacht, ihrer Klientel etwas zu geben und die Versuchung muss gross sein, auf dem Buckel der Nationalbank Wahlkampf zu betreiben.
Das Kreuz mit dem Euro
Die Krux der Sache mit dem starken Franken liegt darin, dass die Schweizer Währung kraft der wirtschaftlichen und politischen Stabilität des Landes ein Fluchthafen ist und bleibt. Gleichzeitig ist die wichtigste Handelswährung unseres Landes, der Euro, permanent unter Druck, weil eine ganze Reihe von schwächeren Volkswirtschaften die Gemeinschaftswährung Euro zwar ebenfalls benutzt, aber deren Wirtschaft mit dem Motor Deutschland nicht mithalten kann.
Ihre Wirtschaften hangeln sich von Krise zu Krise. Der Franken steigt also tendenziell, der Euro sinkt tendenziell und der Geldpolitik gehen so die Mittel aus, um dem Trend entgegenzuwirken.
Geldpolitik schafft auch Verlierer
Kürzlich hat Thomas Steinemann von der Privatbank Bellerive in einem Interview mit finews.tv die Frage aufgeworfen, warum die Schweiz überhaupt noch eine eigene Währung benutzt. Schliesslich ist die Politik der SNB ein Spiegelbild derjenigen der EZB.
Der Anlagechef der Bellerive erklärte, dass die SNB die Grenzen der Geldpolitik erreicht, «wo soziale Unrast aufkommt, weil die Negativzinsen die sozialen Systeme aushöhlen und die Bevölkerung realisiert, dass die Geldpolitik sie zu Verlierern macht.»