Seit einigen Jahren leben Schweizer Banken und Fintechs in scheinbar friedlicher Koexistenz. Wird sich das fortsetzen? Nein, sagt der grösste Kenner der Schweizer Fintech-Szene.
«Die Disruption ist abgesagt», schrieb finews.ch vor genau drei Jahren zu den damaligen Entwicklungen im weltweiten Fintech-Sektor. Fintechs, so lautete die Analyse, würden vielmehr in Kooperationsmodellen mit traditionellen Finanzunternehmen ihr Glück suchen.
Treiber seien dabei auch die Banken, die mittels Übernahmen und Startup-Finanzierungen Innovationspotenzial anzapfen würden. Die Fintechs ihrerseits würden sich in die Arme von Finanzinstituten werfen, um ihre Existenz zu sichern und ihre Produkte und Dienstleistungen im breiten Markt etablieren zu können.
Erneuter Paradigmenwechsel
Doch nun wird wieder ein Paradigmenwechsel prognostiziert – und zwar vom besten Kenner der Schweizer Fintech-Szene Johs Höhener. Er gibt im Auftrag der Swisscom seit nunmehr sechs Jahren die «Swiss Fintech Map» heraus, auf der er regelmässig und nach Sektoren aufgeteilt alle Schweizer Finanz-Startups auflistet.
Diese Karte zeigt nun, «dass sich die Bankenindustrie in den nächsten zehn Jahren stärker verändern wird, als sie es in den vergangenen hundert Jahren getan hat», so Höhener im «Swisscom Magazin».
Nach drei Jahren in einer Phase der Kooperation «dürfte es wieder stärker um Konkurrenz und Disruption gehen».
Werte der Bankkunden verändern sich
Die Prognose macht Höhener in einem Umfeld, das für Banken mit einem traditionellen Zinsgeschäft zunehmend schwieriger wird. Aber auch in der Vermögensverwaltung stehen die Anbieter vor der grossen Herausforderung schwindender Margen und mangelnder Handelsbereitschaft ihrer Kunden.
Der neue Konfrontationskurs der Fintechs werde denn auch – neben der Technologie – durch die Anforderungen der Kunden respektive der veränderten sozialen Werte getrieben. Wer wolle denn heute noch ein Sparkonto, um sich in Zukunft ein Auto leisten zu können, stellt Höhener (Bild unten) die Frage, die im Prinzip den Elefanten im Raum der immer weniger frequentierten Bankfilialen repräsentiert.
Tokenisierung von Assets auf dem Vormarsch
Den technologischen Vorteil im Konkurrenzkampf wird laut Höhener der Einsatz von Künstlicher Intelligenz sowie Blockchain-Technologie ausmachen. «Ich erwarte eine extreme Zunahme von Fintech-Startups im Bereich Digitalisierung des Eigentums», so der Experte.
In der Schweiz sind bereits einige Pioniere mit ersten funktionierenden Anwendungen am Werk, an denen auch Banken reges Interesse zeigen. Die grosse Nähe von Fintechs und Krypto-Startups zum Schweizer Finanzplatz und die mannigfaltigen personellen Verflechtungen könnten sich als grosser Vorteil für den Standort Schweiz in Sachen Finanz-Innovationen erweisen.
Top – zusammen mit Singapur
Höhener merkt denn auch an, dass die Schweizer Fintech-Szene international sehr gut dastehe. «Wir gehören zusammen mit Singapur zu den Top-Playern in diesem Sektor. Das widerspiegelt auch genau die Finanzindustrie.»
Alles bereit für die neuerliche Fintech-Disruption in der Schweiz also? Nicht ganz. Höhener macht ein seit längerem bekanntes Problem im Sektor aus, nämlich Finanzierungen.
Wo ist das Unicorn?
Dabei sei nicht die eigentliche Startup-Finanzierung die Hürde, die aufgrund der vielfach vermögenden Gründer, die sich meist aus der Bankenszene rekrutierten, für die ersten Jahre jeweils gesichert sei.
«Das Problem liegt im Schweizer Markt bei der Nachfinanzierung und der Grösse des Marktes», so Höhener. Bei der Geldbeschaffung für Wachstum oder eine Auslandexpansion werde die Luft deutlich dünner. «Das ist auch der Grund, warum wir noch keine Unicorns auf der Swiss Fintech Map haben.»