Alle wichtigen Zentralbanken gerieten 2018 unter Druck von Begehrlichkeiten. Das hat weitreichende Folgen für die Geldpolitik und birgt enorme Gefahren für die Zukunft.
Beobachter rieben sich verwundert die Augen, als der Schweizer Finanzminister Ueli Maurer im vergangenen Juni so etwas wie Kritik am Direktorium der Nationalbank (SNB) äusserte: An der Grenze des Erträglichen sei sie, die Bilanz, welche die SNB aufgehäuft habe, im Bestreben, den Franken zu schwächen, sagte der Magistrat.
Maurer steht keineswegs alleine da mit seiner kritischen Haltung, und trotzdem zeigt sich die SNB-Spitze um Nationalbank-Präsident Thomas Jordan unbeeindruckt von der Kritik. Ihr Mandat ist per Definition die Erhaltung der Preisstabilität unter Berücksichtigung konjuktureller Entwicklungen.
Die Anziehungskraft gefüllter Futtertröge
Hier allerdings fängt die Problematik an: Um die Konjunktur der stark exportgeprägten Schweizer Volkswirtschaft nicht zu gefährden, hat die SNB einen Haufen von Geld geschöpft, der nun in Form von ausländischen Devisen und Wertschriften Begehrlichkeiten weckt – deshalb wohl auch die Intervention von Bundesrat Maurer. Als alter Politfuchs kennt er die Anziehungskraft voller Futtertröge, schliesslich budgetiert er jährlich ein Defizit, nur um später mit einem Überschuss abzuschliessen.
Letztlich hat also der Haufen Geld bei der SNB vor allem Hoffnungen geweckt. Ähnlich wie die Norweger mit ihrem Erdölfond solle doch die Schweiz einen Staatsfond mit SNB-Geldern gründen, der die AHV auf alle Zeiten absichert, lautet eine Forderung. Verständlich ist das – gleichzeitig aber auch der potenzielle Anfang einer höchst gefährlichen Entwicklung. Darin sind sich die meisten Ökonomen einig. Schliesslich hat die SNB kein Mandat dafür, Mittel, welche für die Geldpolitik reserviert sind, für andere Zwecke zu verwenden.
Versagen staatlicher Stellen
Ein weiterer Zielkonflikt zeichnet sich in der Klimaschutz-Diskussion ab. Immer lauter werden die Forderungen aus der Politik, die Anlagepolitik der SNB an Klimaschutzzielen zu koppeln. Dirk Niepelt, Ökonomieprofessor an der Universität Bern und Direktor des Studienzentrums Gerzensee, hält dies nicht für eine gute Lösung.
«Gestiegene Anforderungen an Zentralbanken widerspiegeln das Versagen anderer staatlicher Stellen», erklärt er im Gespräch mit finews.ch. «Eine vernünftige Klimaschutzpolitik würde mit fiskalischen Instrumenten darauf hinwirken, dass externe Effekte internalisiert werden. Von einer solchen Politik wären alle Lebensbereiche betroffen, und alle Anleger wären gezwungen, bei ihren Entscheiden, die gesellschaftlichen Kosten und Nutzen besser zu berücksichtigen.»
Ein verrückter Gedanke?
Ganz generell dürfte der Druck aus der Politik auf die SNB noch zunehmen, wie es die Situation in den USA zeigt. Der amerikanische Präsident Donald Trump packte schon mehrfach den Zweihänder aus, um die Federal Reserve (Fed) von weiteren Zinssenkungen abzuhalten. Vor dem wegweisenden Zinsentscheid im Dezember beispielsweise sagte Trump explizit, dass nur schon der Gedanke an eine weitere Zinserhöhung «verrückt sei».
Damit überschritt er jegliche Grenzen des politisch Erlaubten. Nach dieser Intervention mussten die Notenbanker nicht nur wie immer die reale wirtschaftliche Situation analysieren, sondern auch den möglichen politischen Schaden abschätzen, den ihre Entscheidung auslösen würde.
Politisch aufgeladen
«Die Unabhängigkeit ist zunehmend unter Druck geraten, und dieser Druck wird anhalten», stellt Niepelt fest, der hier auch einen gewissen Zeitgeist ortet. «Was über zwei, drei Jahrzehnte als bewährt und normal galt, wird heute vermehrt in Frage gestellt.»
Dieses Bewährte und Normale ist die Trennung der Geldpolitik von der politischen Betrachtungsweise und Einflussnahme der jeweiligen Regierung. Zwar ist Geldpolitik in der Beurteilung der Konjunktur und der jeweils nötigen «Medizin» keine exakte Wissenschaft und politisch aufgeladen. Aber über lange Jahre bestand in der westlichen Welt Einigkeit darüber, dass sich die Politik aus der Geldpolitik herauszuhalten hat.
Notenbanken als Sündenböcke
Mit dem weltweit neuerwachten Populismus gelten solche Übereinkünfte allerdings immer weniger. In einer Welt, in der Sündenböcke für alles herhalten müssen, was schiefläuft, kommen die Notenbanken wie gerufen. Denn sie äussern sich vorzugsweise nicht politisch und meistens höchst gewählt im Ton – was für viele Bürgerinnen und Bürger nicht unbedingt nachvollziehbar ist.
Wohin dies führen kann, zeigt ein Blick nach Indien. Am 10. Dezember 2018 nahm der dortige Notenbankchef, Urjit Patel, seinen Hut, und zwar kurz vor einem Treffen mit Indiens Premierminister Narendra Modi. Dieser hatte wiederholt offenere Geldschleusen angemahnt. Doch Patel wollte offenbar keine Kompromisse eingehen.
Leidensdruck ungleich höher
In Schwellenländern mit einem hohen Prozentsatz an sehr armen Menschen stellt sich zunehmend die Frage, ob eine Zentralbank die gleichen Anforderungen erfüllen kann und soll, wie in den westlichen Industriestaaten, zumal der Leidensdruck in den sogenannten Emerging Markets ungleich höher ist und so auch der Druck auf die Politik.
«Natürlich müssen Zentralbanken im Auge behalten, wie Einkommens- und Vermögensverteilung einerseits und die Geldpolitik andererseits sich gegenseitig beeinflussen», sagt Niepelt. «Aber das heisst nicht, dass Zentralbanken die Geldpolitik an deren Verteilungswirkung ausrichten sollten.» Wie in der Klimapolitik sollte also die Zentralbank auch in der Sozial- und Wirtschaftspolitik nicht den Kopf hinhalten müssen, wenn der Fortschritt ausbleibt.
Was geschieht in Europa?
Die Schweiz, die USA oder Indien mögen zufällige Beispiele sein, aber es sollte niemanden erstaunen, wenn schon bald weitere folgen. Im Fokus steht dabei sicherlich die Europäische Zentralbank (EZB). Denn populistische Bewegungen wie diejenige Italiens dürften früher oder später ihre Forderungen adressieren.
Noch scheint die EZB relativ gut geschützt zu sein, durch einen institutionellen Rahmen, der ihre Mandate, Pflichten und Rechte genau umschreibt. Und diese institutionelle Absicherung hat sowohl der SNB als auch der Fed bislang geholfen, politischen Druckversuchen standzuhalten. Doch Bewährtes wird zunehmend in Frage gestellt, wie Niepelt feststellt.