Die grösste US-Bank rechnet damit, dass sich das Geschäft mit Börsengängen und anderen Kapitalmarkt-Transaktionen von Schweizer Unternehmen 2025 beleben wird. Der Wegfall der Credit Suisse als Akteurin führe zu einer offeneren Haltung gegenüber ausländischen Banken, sagt Reinout Böttcher, Leiter des Schweizer Investment Banking, im Gespräch mit finews.ch.
Investment Banker sind notorische Optimisten und geraten gerne ins Schwärmen, wenn es darum geht, in den Medien eine Einschätzung des künftigen Geschäftspotenzials und der damit verbundenen Chancen abzugeben.
Das liegt daran, dass in dieser Disziplin primär der Deal zählt, weil nur dieser Einnahmen bringt – also die Finanzierung und Begleitung von Unternehmensfusionen und -übernahmen (Mergers and Acquisitions, M&A), Börsengängen (Initial Public Offering, IPO), Anleihenemissionen und anderen Kapitalmarkttransaktionen.
Reinout Böttcher, Senior Country Officer und Leiter des Schweizer Investment-Banking-Geschäfts bei J.P. Morgan, tanzt jedoch ein bisschen aus der Reihe, indem er für das nächste Jahr nur vorsichtig optimistisch ist, wie sich im Gespräch mit finews.ch herausstellt.
Böttcher bezieht sich dabei auf das Geschäftssegment mit Eigenkapital (ECM, Equity Capital Markets), das in der Öffentlichkeit deutlich mehr Beachtung als die ökonomisch wohl relevantere, aber etwas weniger glamouröse DCM-Sparte (Debt Capital Markets) findet, und auf die M&A-Beratung.
2024 hielt nicht, was es versprochen hatte
«Anfang 2024 sah es für IPO und andere ECM-Transaktionen sowie M&A vielversprechend aus – heute wissen wir, dass dieses Jahr Börsengänge von Schweizer Unternehmen, aber auch Unternehmenstransaktionen rar waren», blickt Böttcher zurück. «An sich wäre die Finanzierungssituation für M&A mit den fallenden Zinsen ja günstig gewesen, aber letztlich führten unterschiedliche Vorstellungen bei der Preisfindung sowie weitere hemmende Faktoren zu einem herausfordernden Marktumfeld.»
Im kommenden Jahr könne es gemessen am niedrigen Niveau 2024 fast nur besser werden, macht Böttcher Mut. «Die Pipeline für M&A ist gut gefüllt, und das Zinsumfeld bleibt konstruktiv. Zudem haben wir bereits in den vergangenen Wochen eine spürbar anziehende Dynamik gesehen.»
Pulsierendes Anleihengeschäft mit Schweizer Unternehmen
Trotz der Herausforderungen in 2024 war es nicht so, dass Böttcher und sein etwa ein Dutzend Mitarbeiter, die in der Schweiz für den US-Finanzriesen im Investment Banking tätig sind, in den vergangenen zwölf Monate lediglich mit Beobachten und Analysieren beschäftigt waren.
Im Gegenteil.«Das DCM-Geschäft ist sehr gut gelaufen», konstatiert Böttcher, der über 20 Jahre für die UBS Investment Banking betrieb, bevor er 2021 zu seiner neuen Arbeitgeberin wechselte. J.P. Morgan ist zwar nicht am Markt für Frankenanleihen aktiv, unterstützt aber Schweizer Unternehmen, wenn sie Mittel im Ausland in Fremdwährung aufnehmen wollen.
Rückkehr Sunrises an die Börse eskortiert
Die Liste der Schweizer Unternehmen und Finanzinstitute, die sich 2024 mit Hilfe der gemäss Marktkapitalisierung grössten Bank der Welt über Anleihen Euros oder Dollars beschafften, ist eindrücklich. Sie reicht von Glencore, Roche, Novartis, Nestlé, ABB und Lonza über Raiffeisen zu Swiss Life bis hin zu Zurich.
Neben dem DCM-Geschäft und M&A-Mandaten, die das Team trotz gebremster Deal-Aktivität auf Trab hielten, hat J.P. Morgan zuletzt zudem den Spin-off Sunrises von Liberty Global und die Rückkehr des Telekommunikationsdienstleisters an die Börse begleitet.
Globales Knowhow, starke Bilanz und viel Liquidität
Bei all diesen Aktivitäten kann die US-Bank zum einen davon profitieren, dass sie schon lange in der Schweiz mit einheimischen Personal präsent (sie feierte heuer das 60-Jahres-Jubiläum) und daher mit den Verhältnissen vor Ort gut vertraut ist.
Zum anderen bringt die J.P. Morgan reiche internationale Erfahrung mit. «Wir kennen die globalen Kapitalmärkte, aber auch die globale Unternehmenslandschaft sehr gut. Zudem verfügen wir über eine starke Bilanz und viel Liquidität, was im Investment Banking ein Vorteil ist», unterstreicht Böttcher.
Bescheidener direkter CS-Effekt
Und auch die seit eineinhalb Jahren in Interviews im Zusammenhang mit dem Schweizer Firmenkundengeschäft fast schon obligate Frage, welchen Einfluss der Wegfall der Credit Suisse als wichtige Akteurin auf den Markt ausübe, beantwortet er mit Zurückhaltung.
«Der direkte Effekt ist bescheiden, weil verschiedene Vertragsbeziehungen zwischen den Banken und Unternehmen über mehrere Jahre laufen und entsprechend langfristig binden.» Zudem sei das Angebot vieler internationaler Banken wie J.P. Morgan komplementär zu dem der UBS. «Aber es zeigt sich schon, dass Firmen auch gegenüber nichtschweizerischen Banken offener geworden sind, weil sie nicht nur von einer Gegenpartei abhängig sein wollen.»
Lichtblick für Schweizer Unternehmen
Böttcher bestätigt zudem, dass sich die Dynamik und Stimmung in der US-Wirtschaft deutlich besser darstellt als auf dem alten Kontinent. «Vor allem in der Industrie ist in Europa die Stimmung gedämpft.»
Doch er sieht auch einen Lichtblick: «Viele Schweizer Unternehmen sind international tätig und oft führend in ihren Marktsegmenten. Wir erwarten, dass das positive Momentum, das wir aktuell in den USA, aber auch in anderen Teilen der Welt sehen, Europa ebenfalls erfassen wird.» Eine Erholung der europäischen Wirtschaft biete Opportunitäten und ein grosses Potenzial – «vielleicht schon im nächsten Jahr».
«Positives Momentum», «Opportunitäten» und «grosses Potenzial» – da fällt Böttcher doch wieder in das klassische Muster des Investment Bankers zurück, der grundsätzlich mit Zuversicht und Optimismus in den Zukunft blickt und nicht die durchaus vorhandenen Faktoren betont, die dafür sprechen könnten, dass im hiesigen Investment-Banking-Geschäft die Bäume auch 2025 nicht in den Himmel wachsen werden.