Der Chef von J.P. Morgan bezeichnet den Fokus der Aufsichtsbehörden auf die Höhe des Eigenkapitals der Banken als fehlgeleitet. Er macht auf die volkswirtschaftlichen Kosten der Regulierung aufmerksam und warnt zudem davor, dass Schuldenproblem der USA zu unterschätzen. 

Der CEO und Chairman des US-Bankriesen J.P. Morgan Jamie Dimon gilt schon heute als Legende. Der 68-Jährige hat seine Bank bereits während der Finanzkrise 2008 sicher durch den Sturm geführt. J.P Morgan gehörte damals – ähnlich wie UBS im Frühling 2023 – zu den Banken, die wankende Finanzinstitute mit dem Segen der Behörden übernahmen.

Dimon ist nicht zuletzt in Anbetracht seines Leistungsausweises und seiner grossen Erfahrung einer der gewichtigsten Kritiker im Kampf gegen eine überbordende Bankenregulierung. Auch in einem Interview mit der NZZ, das am Mittwoch erschienen ist, nimmt er kein Blatt vor den Mund.

Keine Alternative zur CS-Zwangsverheiratung

Zur Zwangsheirat der Credit Suisse (CS) mit der UBS habe es keine Alternative gegeben, «weil die CS eine so grosse Bank war». Dimon glaubt auch nicht, dass eine Abwicklung (Resolution für Too-big-to-fail-Banken) ein gangbarer Weg gewesen wäre. «Ich glaube, in der Schweiz wurde das Richtige getan, um den Schaden möglichst klein zu halten.» Detaillierte Abwicklungspläne für grosse Banken würden nie wie vorgesehen funktionieren, und sie kämen auch nicht zur Anwendung, wenn es ein Problem gebe.

Es gebe zwar viele Lehren, welche man aus dem Scheitern der CS ziehen könne, konzediert der Doyen der US-Bankenszene. «Aber dieser Hyperfokus auf das Kapital und auch auf die Governance ist fehlgeleitet.»

Mehr Kapital – «eine zu simple Forderung»

Dimon bezieht auch Position in einer alten Debatte, nämlich ob schärfere Kapitalanforderungen an Banken deren Kreditvergabe einschränken und damit der Volkswirtschaft schaden. Strengere Vorschriften führten in den USA dazu, dass die Risiken bei den Hypothekenvermittlern zunähmen, und dass das Geschäft mit privaten Schulden wachse. «Unternehmen werden aus den öffentlichen Märkten verdrängt und immer öfter in privaten Händen gehalten. Grund dafür sind all diese Regeln, Vorschriften und Richtlinien der Regulatoren.»

Zwar stellt auch Dimon nicht in Abrede, dass es genug Kapital und Liquidität braucht, damit eine Bank sicher ist. Und er teilt das Mantra der Aufsichtsbehörden, wonach der Steuerzahler beim Scheitern einer Bank nicht bluten soll. Doch: «Für Leute, die nicht verstehen, worum es geht, ist es simpel, einfach ‹mehr Kapital› zu fordern. Aber die meisten Banken haben genug davon.» Er stellt auch die Frage, welchen Preis die Gesellschaft dafür zahle, wenn diese Mittel nicht in die Realwirtschaft investiert würden.

«An der Zeit, das ganze System zu überdenken»

Dimon macht sich auch grundsätzliche Überlegungen zum Umgang mit Bankenkrisen: «Es ist an der Zeit, das gesamte System zu überdenken. Es ist machbar. Aber nicht so, wie wir es momentan angehen. Wir fügen nur weitere Schichten von Regeln und Vorschriften und Kapital hinzu.»

Auf die Frage, ob er als möglicher Ersatzkandidat für Joe Biden im Wahlkampf einspringen würde, hält sich Dimon staatsmännisch bedeckt. «Ich hoffe einfach, dass der nächste Präsident, wer auch immer es ist, alle Amerikaner berücksichtigt und fähige Leute ins Kabinett nimmt, Experten aus allen Feldern.»

Der nächste Präsident – gleichgültig, wer es sein werde – müsse das Schuldenproblem der USA angehen. Die Nettoschulden entsprächen der gesamten jährlichen Wertschöpfung der US-Wirtschaft, das Defizit sei so gross wie nie in Friedenszeiten. Dimon räumt ein, dass er nicht weiss, ob dies zu viel ist. «Aber wir sollten es nicht herausfinden und auch nicht durch den Markt dazu gezwungen werden – das wäre der schlechteste Weg.»