Die hohen Cash-Bestände der Bevölkerung sind eine riesige Geschäftsopportunität. Die Banken hätten es in der Hand, diese abzuschöpfen. Doch sie würden sich zu wenig auf diese Kundengruppe fokussieren, sagt Daniel Kobler, Finanzexperte bei Accenture Schweiz, im Interview mit finews.ch.


Daniel Kobler, eine Studie von Accenture zeigt, dass rund 50 Prozent oder 900 Milliarden Franken des investierbaren Vermögens der finanzstarken Bevölkerung in der Schweiz momentan ungenutzt bleiben. Woran liegt das?

Es sind mehrere Aspekte entscheidend. Einerseits ist das kundengetrieben und hängt mit dem fehlenden Wissen in Sachen Investmentthemen zusammen. Zudem zögern diese Kunden mit Investments wegen limitierter persönlicher Beratung der Anbieter und des Ausbleibens von menschlicher Interaktion.

«Dieser zögerliche Go-to-Market ist auch Ausdruck eines mangelnden Veränderungsdrucks»

Auf der anderen Seite haben die Banken erst angefangen, diese Kundschaft zielgerichteter zu betreuen und demzufolge besser kennenzulernen. Durch diese zeitliche Verzögerung lassen die Banken oftmals zu viel Geschäft liegen.

Weshalb diese Verzögerung?

Neuausrichtungen und Geschäftsergänzungen sind stets mit finanziellem, personellem und technologischem Aufwand verbunden. Zudem sind die Schweizer Banken mit den aktuellen Geschäftsmodellen nach wie vor sehr erfolgreich. Letztlich ist dieser zögerliche strategische Go-to-Market auch Ausdruck eines mangelnden Wettbewerbs- und Veränderungsdrucks.

Es wird sich also so schnell nichts ändern?

Schnell ist immer relativ; aber ganz generell würde ich sagen, dass es sich die Banken längerfristig nicht leisten können, dieses Geschäft liegen zu lassen. Sie streben ja nach Wachstum.

Dafür werben umso mehr die Neo-Banken und regulierten Fintechs um Kunden.

Es ist sicherlich so, dass die von Ihnen genannten Anbieter einen Fussabdruck in diesem Bereich hinterlassen haben. Die entscheidende Skalierung wurde aber noch nicht erzielt.

«Je mehr ich vom Kunden weiss, desto einfacher ist es, Berührungspunkte zu finden»

Nur digital dieses Kundensegment zu erschliessen, greift strategisch zu kurz; es ist ein hybrider Ansatz gefragt, der die ganze Breite und Bedürfnis-Palette der Affluent-Kundengruppe adressiert. Das hat unsere Kundenbefragung ganz klar ergeben.

Wie sieht der Schlüssel zum Erfolg aus?

Fakt ist: Je mehr ich vom Kunden weiss, desto einfacher ist es, Berührungspunkte zu finden. Der Anbieter sollte sich also insbesondere auf die «menschlichen» Aspekte dieser Kundengruppe fokussieren.

 «Nur digital dieses Kundensegment zu erschliessen, greift zu kurz»

Konzeptionell kann man das anhand von dieser Phasen beschreiben: Empathische, finanzinvestmentrelevante Aufklärung und Schulung; durch Kunden wahrgenommene, Investment-Expertise und Beratung gepaart mit proaktiver Kommunikation mittels hybrider Kanäle. Letztendlich sollte das Angebot über die Zeit entwicklungsfähig sein, um flexibel auf veränderte Lebenssituationen reagieren zu können.

Ein konkretes Beispiel?

Die genannte Proaktivität und Beratungsexpertise kann anhand des Lebensmoment-Ansatzes beispielhaft am Thema Erbschaft skizziert werden: Wenn ich als Bankberater mitbekomme, dass mein Kunde erbt, dann kann ich mit ihm gleich über mehrere Themen sprechen: Investment-Advice und Steuerberatung sind zwei Themen, und möglicherweise kommt die Nachfolgeplanung hinzu, wenn ein Unternehmen Teil des Erbes ist. Und so gibt es zahlreiche weitere Anknüpfungspunkte.

Das ist mit viel Aufwand verbunden.

Es ist sicherlich mit mehr Aufwand verbunden als heute. Andererseits ist der Kunde aber bereit, für Expertise zu bezahlen unter der Voraussetzung, dass er die erwähnten vier Phasen mit der Bank durchlaufen hat.

Wird Künstliche Intelligenz (KI) helfen?

KI kann hier sicherlich sehr hilfreich sein. Aber das geht nicht von heute auf morgen. Einzelne Anwendungsfälle sind in diesem Bereich schon im Einsatz, aber die breite Abdeckung der gesamten Wertschöpfungskette im Frontbereich wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

«KI wird zu einem wertvollen Instrument, es kann aber nicht die alleinige Lösung sein»

Zudem gilt es parallel noch teilweise offene regulatorische Fragen zu klären, aber auch jene des Energieverbrauchs. Schliesslich muss jede Bank für sich entscheiden, wie sie mit der freigewordenen Arbeitskapazität umzugehen gedenkt. Es entstehen dabei sicherlich auch noch Aufgaben, welche heute noch nicht von Bankmitarbeitenden erledigt werden.

Welches werden die Vorteile von KI sein?

Generativ Künstliche Intelligenz kann die Qualität der Beratung per se und somit auch die Kundenzufriedenheit und das Vertrauen in die Bank verbessern. Die Kundenberater sind spezifischer auf die Meetings vorbereitet, haben mehr Informationen zur Verfügung, um passgenaue, individuelle Beratung zu erbringen und können sich mehr Zeit für den Kunden nehmen, da die Vor- und Nachbereitungszeit massiv verkürzt wird. Ganz wichtig: KI wird zu einem wertvollen Instrument, es kann aber nicht die alleinige Lösung der Erschliessung dieses Kundensegments sein.


Daniel Kobler hat mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Beratungsbranche. Er war während 14 Jahren bei Deloitte als Director und Partner in den Bereichen Strategy Consulting (Financial Services) tätig. Im Jahr 2019 wechselte er zu Accenture und übernahm den Lead Capital Markets Industry. Seit September 2022 leitet er die Financial Services Industry bei Accenture Schweiz. Er ist zusätzlich Global Client Executive.