Meine Botschaft ist: Wir arbeiten an beiden Hebeln und müssen die Kosten auch bei gutem Wachstum im Griff behalten. Wenn es uns gelingt, die Kundenerträge zu steigern, haben wir, wie erwähnt, mehr Möglichkeiten, um unsere Kostenlinie zu erhöhen.

Auch das Wachstum selber kostet. Hierzulande hat Julius Bär eine Image-Kampagne lanciert, die gewiss nicht gratis ist. Kommt damit Schwung in den Heimmarkt, nachdem das Institut in vergangenen Jahren kaum vorangekommen ist?

Unsere laufende Kampagne ist Teil unserer Wachstumsinvestitionen in all unseren Fokusmärkten, von denen die Schweiz ein sehr wichtiger ist. Hierzulande hatten wir zuweilen damit zu kämpfen, dass wir primär als Privatbank für eine internationale Klientel verstanden wurden. Wir sind aber eine Schweizer Bank und wollen auch vermögende Personen und Familien in der Schweiz bedienen. Wir haben die klare Absicht, im Heimmarkt zu wachsen und werden dafür weitere Kundenberater einstellen.

Julius Bär bezeichnet Asien als zweiten Heimmarkt. Mitte April haben Sie mit einem Teil Ihrer bestehenden Niederlassung in Hongkong einen neuen Standort bezogen und auch dort ein Zeichen der Grösse gesetzt: Julius Bär belegt dort nun vier Stockwerke mit über 9'000 Quadratmeter Fläche und beschäftigt 500 Mitarbeitende. Was sind die mittelfristigen Pläne für Hongkong?

Richtig, Asien ist neben der Schweiz unser wichtigster Markt. Entsprechend möchten wir in dieser Region – inklusive Indien – zulegen. Wir bearbeiten Asien über zwei Hubs, einer davon ist Singapur. Von Hongkong aus decken wir Nordasien mit China ab; in den vergangenen Jahren hat es dort aufgrund der Corona-Situation eine Abflachung beim Wachstum gegeben. Nachdem nun aber die Restriktionen im Kampf gegen die Pandemie gelockert wurden, rechnen wir mit kräftigem Schub. Der asiatische Raum ist und bleibt der Wachstumsmotor der Weltwirtschaft. Deshalb werden dort auch neue Vermögen geschaffen.

In Hongkong haben das Corona-Regime, aber auch die starke Einflussnahme der chinesischen Regierung andere Banken dazu gebracht, sich aus dem Standort zurückzuziehen. Fühlen Sie sich wohl, gegen den Strom zu schwimmen?

Ich habe es an der Eröffnungsfeier unseres neuen Standorts in Hongkong bestätigt: Wir haben nicht vor, Teile des Geschäfts nach Singapur zu verlagern, wie Konkurrenten dies teils getan haben.

Die Verheissungen des China-Geschäfts von Hongkong aus sind enorm. Doch gleichzeitig verschärft sich der Streit zwischen der Volksrepublik und der Supermacht USA. Hat Julius Bär keine Angst, zwischen die Fronten zu geraten?

Wir sind international tätig. Da gehört es dazu, sich sorgfältig mit geopolitischen Entwicklungen auseinanderzusetzen. Wir prüfen ganz genau, welche Auswirkungen solche Verschiebungen für unser Geschäft vor Ort haben können.

«Im Dollarraum gelten die Spielregeln der USA. Punkt»

Aufgrund unserer Analysen stellen wir uns dann bestmöglich auf. Für uns steht somit nicht die Frage des Rückzugs aus einem Markt im Vordergrund, sondern der Umgang mit der Situation. Ohne Frage sind wir immer auch davon abhängig, wie sich die Schweiz politisch bei einer solchen Blockbildung positioniert.

Sanktionen der USA gegen chinesische Kunden sind ein Szenario, das Schweizer Privatbanken offenbar bereits in so genannten Wargames durchspielen. Geschieht dies auch bei Bär?

Die Aufgabe des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung einer Privatbank ist es, sich auf derartige Szenarien vorzubereiten. Was hätten die Mitarbeitenden vor Ort zu gewärtigen, was geschieht mit unseren Erträgen, wie steht es um Kredite – das sind Fragen, auf die man sich auch ohne Kenntnis der Zukunft vorbereiten kann.

Es wurde immer wieder gemutmasst, dass Julius Bär nach dem Abbruch des Zelte in den Nullerjahren ins US-Geschäft zurückkehren könnte. Ist das nun wegen der Expansion in Asien ausgeschlossen?

In der näheren Zukunft werden wir nicht in den USA aktiv. Der Markt ist zwar attraktiv, aber sehr kompetitiv und wird von lokalen Grossbanken dominiert. Es ist kein Zufall, dass kein europäisches Institut in der Vermögensverwaltung in den USA wirklich erfolgreich ist.

Die USA hat den Druck auf die Schweiz nochmals erhöht, gegen russische Bankkunden vorzugehen. Bleibt aus Bankensicht am Ende nur das erneute Einknicken?

Man muss den Realitäten ins Auge blicken. Die gesamte westliche Finanzindustrie ist sehr stark vom Dollar abhängig, schlicht, weil dies die Weltwährung ist. Und im Dollarraum gelten die Spielregeln der USA. Punkt.

Julius Bär zählt sanktionierte russische Personen zur Kundschaft, diese Gelder sind eingefroren. Warum zieht sich die Bank eigentlich nicht ganz aus diesem Geschäft zurück, wie es kürzlich Vontobel vorgemacht hat?

Wir haben uns lokal vom russischen Markt verabschiedet, indem wir unsere Tochtergesellschaft vor Ort geschlossen haben. Wir halten uns an alle für uns geltenden Sanktionen.

«Der angeordnete Wandel der AT1-Bonds bei der Rettung der Credit Suisse ist auf viel Unverständnis gestossen»

Aber der Grossteil unserer Kundenbeziehungen zu Personen mit russischem Hintergrund unterliegt derzeit keinen Sanktionen. Gegenüber diesen Kunden fühlen wir uns verpflichtet, einen minimalen Service aufrecht zu erhalten – in einem Rahmen, wie dies die Vorschriften aktuell zulassen. Aber auch hier verändern sich die Rahmenbedingungen laufend, und das haben wir fest im Blick. 

Die Sanktionen gegen russische Kunden hat auch die Klientel aus anderen Schwellenländern verunsichert. Wie stark hat nun der Untergang der Credit Suisse nun das Image des Bankenplatzes beschädigt?

Ich habe mich unlängst in Brasilien und in Asien mit Kunden und Mitarbeitenden unterhalten. Beiderorts ist etwa der angeordnete Wandel der AT1-Bonds bei der Rettung der Credit Suisse auf viel Unverständnis gestossen. Für noch mehr Aufregung sorgte der Umstand, dass die Massnahmen mittels Notrecht durchgesetzt wurden. Dies wird als konträr zum Anspruch der Schweiz empfunden, ein verlässlicher Rechtsstaat zu sein. Das hat eine Delle in der Wahrnehmung des Finanzplatzes hinterlassen.

Was haben Sie diesen Kunden entgegnet?

Wenn man erklärt, dass das Ziel der Aktion nicht nur die Rettung der Credit Suisse, sondern des gesamten internationalen Finanzsystems war, wird dies von unseren Kunden sehr schnell verstanden. Ich betone ebenfalls, dass die Behörden bei ihren Massnahmen an den Grundfesten von Rechtssicherheit und Verlässlichkeit festgehalten haben. Sie mussten jedoch in einer Krisensituation rasch handeln, um weiteren Schaden abzuwenden. Und vergessen wir nicht: Der Bankenplatz besteht nicht nur aus UBS und Credit Suisse, sondern aus über 230 eigenständigen Instituten mit stark unterschiedlichen Risikoprofilen.

Also alles halb so schlimm?

Ein grösserer Imageschaden lässt sich meiner Meinung nach abwenden – doch dazu braucht es jetzt den Austausch mit der internationalen Kundschaft und Investoren-Community.

«Da müssen sich die Schweizer Banken nicht verstecken»

Ich würde mir auch von der Regierung wünschen, dass sie proaktiv die Beweggründe für das Vorgehen und die entsprechenden Konsequenzen erklärt. Und zwar nicht nur daheim in der Schweiz, sondern eben auch gegenüber dem Ausland.

Zweifel an der Neutralität, Untergang der zweitgrössten Bank des Landes: Hat die Dämmerung des Offshore-Finanzplatzes eingesetzt?



Nein. Ich bin felsenfest überzeugt von der Anpassungsfähigkeit der Schweizer Banken. Die Schweiz ist der bedeutendste Offshore-Finanzplatz und behauptet sich sehr gut im weltweiten Wettbewerb, und dies auch in nicht immer einfachen Zeiten. Damit das aber so bleibt, müssen wir Werten wie Rechtssicherheit und Verlässlichkeit Sorge tragen. Davon profitieren alle Branchen, nicht nur die Banken, und sie sind im Inland wie im Exportgeschäft wichtige Werte. In letzterem können wir unsere Erfahrung aus mehr als 100 Jahren in der Vermögensverwaltung einbringen, unsere Professionalität und unsere Kenntnis darüber, was ausländische Privatkunden wollen und brauchen. Da müssen sich die Schweizer Banken nicht verstecken.

Aber Sie stimmen mir wohl zu, dass es schon einfacher und unbeschwerter war, eine Schweizer Privatbank zu führen. Wie motivieren Sie sich im Alltag für den diffizilen Job?

Mein Antrieb ist es, das Vermächtnis aus rund 130 Jahren Julius Bär zu bewahren und aufbauend auf dem Erreichten weiterzuentwickeln. Ich verstehe mich als Teil der Organisation und will diese in die Zukunft bringen, zugunsten unseren Kundinnen und Kunden, unserer Mitarbeitenden und Aktionäre. Ich mag es, dass wir ein ‘Pure-play’ sind, auf die Vermögensverwaltung fokussiert: Das macht es für alle einfacher zu verstehen, wo unsere Stärken liegen. Ich bin stolz, der VR-Präsident dieser Bank zu sein.


Romeo Lacher ist seit 2019 Präsident des Verwaltungsrats der Julius Bär Gruppe. Von 2008 an gehörte er dem Verwaltungsrat der SIX Group an, von 2016 bis 2020 präsidierte er das Gremium. Einen Grossteil seiner Karriere hat der an der Universität St. Gallen (HSG) und der amerkanischen Elite-Universität Harvard ausgebildete Ökonom bei der Credit Suisse verbracht. Im Jahr 2017, als Lacher die Grossbank verliess, war er operationelle Leiter (COO) der Sparte der damaligen Internationalen Vermögensverwaltung (IWM). Neben seinem Mandat bei Julius Bär wirkt der 62-jährige Finanzprofi unter anderem als Vizepräsident des Bankrats der Schweizerischen Nationalbank und im Vorstand der Zürcher Handelskammer.