Grösse im Banking sei nicht per se schlecht, sagt Romeo Lacher im Interview mit finews.ch. Geht es nach dem Präsidenten von Julius Bär, wird die Privatbank in sieben Jahren 1'000 Milliarden Franken an Vermögen verwalten. Das sei nötig, um professionelle Dienste anzubieten. Lacher erklärt, woher das Volumen kommen soll, und warum bei der Credit Suisse eine zweite grosse Welle von Abflüssen droht.


Herr Lacher, finews.ch hat Sie einmal als heimlichen Star des Swiss Banking bezeichnet. Möglicherweise trifft das Etikett wieder zu: Bei der Rettung der Credit Suisse steht nun UBS-Chef Sergio Ermotti voll im Rampenlicht. Warum hat man eigentlich nicht Sie mit der Megaübernahme betraut?



(lacht) Das müssen Sie den Verwaltungsrat der UBS fragen. Allerdings hätte ich auch nicht zur Verfügung gestanden. Ich fühle mich absolut wohl in meiner Rolle als Präsident von Julius Bär. Ich bin hier am richtigen Ort.



Aber als ehemaliges Kader der Credit Suisse mit Erfahrung im Handel sowie der Vermögensverwaltung brächten Sie das Rüstzeug mit, und sie kennen Schlüsselfiguren bei der UBS wie Iqbal Khan. Bei der Börsenbetreiberin SIX haben Sie zudem die Übernahme der spanischen Konkurrentin BME aufgegleist. Hätte Sie die Aufgabe nicht gereizt?

Mein Lebensplan sieht im Moment nicht vor, dass ich wieder eine operative Funktion übernehme. Aber zweifelsohne ist eine solche Aufgabe grundsätzlich interessant. In meinen 26 Jahren bei der Credit Suisse war ich als junger Mitarbeiter in die Übernahme der Volksbank involviert. Von damals weiss ich: Ein solcher Zusammenschluss bedeutet viel Arbeit und fordert einen heraus. Man lernt in kurzer Zeit ausserordentlich schnell und viel, etwa, wie man die Werte und die Kulturen von zwei Organisationen zusammenführt und daraus nach vorne blickend etwas Neues schafft. Aber wie gesagt: alles zum richtigen Zeitpunkt.

Mit Blick auf die Übernahme sagte UBS-Präsident Colm Kelleher, man müsse manche Mitarbeitende der Credit Suisse durch einen kulturellen Filter geben. Was löst diese Aussage bei Ihnen als Ehemaliger der Grossbank aus? Ist die Kultur bei der Credit Suisse tatsächlich so toxisch?



Ich bin schon fast sieben Jahre nicht mehr Teil des Unternehmens. Insofern masse ich mir nicht an, den jetzigen Zustand zu beurteilen. Was die Credit Suisse ausgezeichnet hat, und das habe ich 26 Jahre lang erlebt, ist eine unternehmerische Kultur. Sie war ein wichtiger Treiber dafür, dass sich die Bank fast 170 Jahre lang laufend weiterentwickeln konnte.

Unternehmerisch, das ist doch ein positiv besetztes Beiwort.

Natürlich, unternehmerisch ist, wie gesagt, eine gute Herangehensweise – aber auch mit Limiten. Das Banking ist eine hoch regulierte Industrie. Wenn ein Institut sehr unternehmerisch unterwegs ist, dann stellt sich schnell die Frage, wie viele Risiken es für diesen Kurs in Kauf nimmt. Banken sind in dieser Hinsicht stärker exponiert als andere Branchen.

Zur Credit Suisse bestehen bei Julius Bär historische und personelle Bande. Hat sich die Grossbank daran erinnert, als sie ab vergangenen Oktober nach einem Käufer suchen musste? Wurden auch Sie angefragt?

Sie verstehen, dass ich mich dazu nicht äussern kann.

Wie Julius-Bär-Chef Philipp Rickenbacher bereits gegenüber der Presse erklärte, hat Julius Bär dieses Jahr von bei der Credit Suisse abgeflossenen Kundengeldern profitiert. Wird man das in den Trimesterzahlen der Privatbank von Mitte Mai sehen?

Wir haben in den vergangenen Monaten gewisse Zuflüsse gesehen. Aber diese sind, wie Philipp Rickenbacher es auch erläutert hat, nicht nur aus einer Richtung gekommen, und sie waren auch nicht überproportional.

«Das Geld wird oft online per Tastendruck abgezogen»

Wichtig ist eine differenzierte Betrachtung: Bei der Credit Suisse sind in den letzten Wochen in erster Linie Kontoeinlagen abgeflossen. Diese liquiden Einlagen sind sehr mobil und auch nur teilweise von Konkursentscheiden geschützt.

Und wohin fliessen diese Vermögen?

Ich war gerade in Asien. Dort haben dem Vernehmen nach vor allem grosse lokale Akteure in Singapur profitiert. In der Schweiz wissen wir, dass in einer solchen Situation vorab Banken mit Staatsgarantien in Betracht kommen. Anders als beim Bank Run auf die Spar- und Leihkasse Thun vor über 30 Jahren versammeln sich die Kunden heutzutage nicht mehr vor der Filiale – das Geld wird oft online per Tastendruck abgezogen. Dies geschieht innert Sekunden und ist der kurzfristige Teil der Entwicklung.



Es gibt noch einen zweiten Teil?

Den viel grösseren und viel wichtigeren Teil des Geschäftsvolumens mit Individualkunden machen Wertschriften-Portefeuilles und Kredite aus. Hier stellt sich jetzt die Frage, ob dieser Löwenanteil auch noch in Bewegung gerät.

Wie lautet Ihre Antwort?

Bis anhin hat man davon nur sehr wenig gesehen. Eine derartige Entwicklung dauert länger: Berater überlegen sich, die Bank Richtung Konkurrenz zu verlassen. Sobald sie für den Schritt bereit sind, werden sie versuchen, ihre Klientel mitzunehmen. Das braucht einen weiteren Entscheidungsprozess auf Kundenseite und ein Institutswechsel ist in der Umsetzung auch langwieriger geworden. Das komplette Onboarding sehr vermögender Kundinnen und Kunden am neuen Ort kann gut und gern Monate dauern.



Doch es könnte eine zweite Welle von Abflüssen geben?

Das ist möglich. Sie würde jetzt erst beginnen.

Sinnigerweise haben Sie im April an der Generalversammlung von Julius Bär erklärt, bis ins Jahr 2030 verwaltete Vermögen von 1’000 Milliarden Franken anzuvisieren – das entspricht einer Verdopplung zum aktuellen Volumen. Ist dies als Reaktion auf den neuen Riesen UBS-Credit-Suisse zu verstehen?

Überhaupt nicht. Wir haben unsere Strategie keineswegs auf die neue UBS-Credit-Suisse ausgerichtet. Die 1’000 Milliarden Franken sind bereits im Mai 2022 als ein Horizont bis ins Jahr 2030 formuliert und präsentiert worden. Gemeint ist das so: Julius Bär sieht sich als Wachstumsorganisation. Wir wollen aber nicht allein wachsen, um 1’000 Milliarden Franken an Kundengeldern zu erreichen.

Sondern?

Wir benötigen die Skalen, um unseren Kunden professionelle Dienste bieten zu können. Es braucht in jedem unserer Märkte, sei es in der Schweiz, Asien, Europa oder Lateinamerika, möglichst viele Kunden und Vermögen, um die besten Kräfte in der Beratung, im Anlagebereich und im Umgang mit den Risiken anzuziehen.

«Wenn Branchenakteure etwas abspalten oder verkaufen möchten, schauen wir uns das an»

Wer pro Markt nur anderthalb Milliarden Franken verwaltet, tut sich schwer damit, die notwendige Qualität zu erreichen. Grösse hilft, die Professionalisierung des gesamten Geschäfts zu steigern. Mit mehr Vermögen generieren wir ausserdem mehr Cashflow, den wir etwa in Technologie reinvestieren können – und den wir auch dazu nutzen, unseren Aktionären eine vernünftige Rendite zu bieten.

Grösse hat im Banking wegen der neuen Megabank UBS-Credit-Suisse aktuell einen schlechten Ruf.

Grösse ist nicht per se gut oder schlecht. Die Grösse von Julius Bär ist mit einem anderen Risikoprofil verbunden als die Grösse der UBS. Wir haben ein einfaches Business-Modell, wir machen nur Wealth Management – wir haben kein Investmentbanking, kein Asset Management, kein Retail- oder Kommerzgeschäft. Auch in der politischen Diskussion muss man deshalb aufpassen, nicht alle Banken in einen Topf zu werfen. Das stört mich persönlich. Aktuell wird immer von ‘den Banken’ gesprochen. Gemeint ist aber: die eine Grossbank.

Bringen Sie sich als Verwaltungsratspräsident von Julius Bär in diese Diskussion ein?

Wir tun dies primär über die Vereinigung Schweizerischer Assetmanagement- und Vermögensverwaltungsbanken, die von unserem CEO Philipp Rickenbacher präsidiert wird, und über die Schweizerische Bankiervereinigung. Wir sind sehr dafür, dass zuerst eine saubere Auslegeordnung gemacht wird, was bei der Credit Suisse passiert ist, und wie man zur letztlich angewendeten Rettungsform gelangt ist. Erst dann sollte über weitere Schritte gesprochen werden.

Kommen wir zum Thema Skalen zurück. Fakt ist, dass das Swiss Private Banking 2022 nur relativ wenig Neugeld anziehen konnte und sich mittlerweile in einem deutlich schwierigeren Umfeld bewegt. Woher soll denn das Wachstum kommen?

Unser Plan A ist organisch zu wachsen, wie wir es in den vergangenen Jahren getan haben. Daneben sind wir offen für Übernahmen, wenn sich sinnvolle Gelegenheiten ergeben sollten. Wenn Branchenakteure etwas abspalten oder verkaufen möchten, schauen wir uns das an. Unsere Perspektive ist dabei international, also nicht allein auf die Schweiz fokussiert.

Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Finma belegte Julius Bär zeitweilig mit einem Verbot für grössere Übernahmen. Nun haben Sie wieder freie Hand – wie sieht das ideale Ziel aus?

Eine Transaktion müsste vom Business-Modell her Sinn machen: Wir möchten einen Wealth Manager kaufen, der im Kern das gleiche Geschäft verfolgt wie wir. Zweitens muss die Kultur der unseren zumindest nahe sein, auch, was den Umgang mit Risiken oder die Frage nach den Kompensationen betrifft. Schliesslich muss eine Übernahme unseren Aktionären nützen. Wir werden keine Transaktion um der Transaktion Willen machen.

Immer wieder ins Spiel gebracht wird eine Übernahme der Schweizer Konkurrentin EFG International – diese ist börsenkotiert und könnte Julius Bär beim Volumen ein grosses Stück nach vorne bringen. Wann greifen Sie zu?

Zu anderen Instituten will ich mich nicht äussern. Dieses Gerücht zirkuliert schon seit Jahren.

Julius Bär hat sich nicht nur dem Wachstum, sondern dem profitablen Wachstum verschrieben. Sie streben bis 2025 eine Kosten-Ertrags-Verhältnis von 64 Prozent an. Relativiert sich dieses Ziel nun angesichts der Suche nach Skalen?

Dieser Wert ist eine Zielgrösse, an der wir uns messen lassen. Beim Kosten-Ertrags-Verhältnis lässt sich das Ziel auf zwei Arten erreichen: Entweder beim Ertrag – oder auf der Kostenseite.

«Wir haben die Absicht, im Heimmarkt weitere Kundenberater einzustellen»

Wir halten deshalb an unserem Sparziel von 120 Millionen Franken bis ins Jahr 2025 fest. Wenn wir aber über Wachstum mehr Erträge einspielen, dann erhalten wir auf der Kostenseite mehr Luft.

Die jährlich 40 Millionen Franken sollen ja auch beim Personal eingespart werden. Dürfen die Bär-Bankerinnen und -Banker aufatmen?