In Italien, einem Land, das auf eine lange Geschichte von Bankpleiten zurückblicken kann, hat die Zwangsfusion von UBS und Credit Suisse Verwunderung ausgelöst und die Gewissheit hinterlassen: Dies ist nicht das Ende der Geschichte, wie der italienische Finanzexperte Gabriele La Monica im Gespräch mit finews.ch erklärt.
«Was am meisten erstaunt, ist die selbstgefällige Art der Schweizer Behörden, die von der Welt erwarten, dass sie eine Transaktion, die viele der für das internationale Finanzwesen geltenden Regeln untergräbt, kritiklos akzeptiert», bringt es Gabriele La Monica auf den Punkt. Er leitet die Mailänder Redaktion der italienischen Nachrichtenagentur «Milano Finanza (MF)/Dow Jones».
Wie der beste Klassenbeste, der beim Schummeln erwischt wird, scheine die Schweiz die Ursachen, die zu dieser Situation geführt haben, unter den Teppich kehren zu wollen, sagt La Monica. Um Dante zu zitieren, habe man in Bern wohl gesagt: «Vuolsi così colà dove si puote, ciò che si vuole, e più non dimandare». Auf Deutsch: «Also, wo sie können, was sie wollen, fragen sie nicht mehr.»
Endlose Rechtsstreitigkeiten
Die Abschreibung der Additional-Tier-1-Anleihen im Gegenwert von 15,8 Milliarden Franken werde zu endlosen Rechtsstreitigkeiten führen, ist La Monica überzeugt, zumal die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) erklärte, dass diese Obligationen bei Vorliegen eines Rentabilitäts-Ereignisses auf null zurückgesetzt würden. Diese Anleihen wurden als Verlustabsorptions-Mechanismus konzipiert.
Gabriele La Monica (Bild: MF/Dow Jones)
Mit anderen Worten: Erst wenn die Credit Suisse (CS) mit einer Kapitalunterdeckung konfrontiert sind, kommen diese Obligationen ins Spiel, indem deren Abschreibung die Finanzlage der Bank stärkt und damit Verbindlichkeiten reduziert werden können. Im Anleiheprospekt der CS steht, dass diese Klausel ausgelöst wird, wenn die Eigenkapitalquote unter 7 Prozent fällt. Doch dies war nie der Fall.
Gegen jede finanzielle und rechtliche Logik
Allein die Tatsache, dass sich solche Finanzinstrumente vor allem im Portfolio institutioneller Anleger befinden, habe verhindert, dass verzweifelte Anleihegläubiger vor dem Hauptsitz der Bank demonstrieren hätten, sagt La Monica.
Unter diesen Prämissen haben die Schweizer Behörden recht eigentlich beschlossen, diese Anleihen zu opfern und das Eigenkapital teilweise zu schützen, was gegen jede finanzielle und rechtliche Logik verstösst, wie La Monica feststellt. Daraus folgert er: «Das Eigenkapital gilt als «Risikokapital» – von nun an sollte eine Klausel hinzugefügt werden, die lautet: «Es sei denn, es ist ein Staatsfonds eines Golfstaates im Spiel.»
Farm der Tiere
Tatsächlich halten die beiden CS-Aktionäre, die Saudi National Bank (SNB) sowie die Qatar Authority mit 10 Prozent respektive 7 Prozent des Kapitals die grössten Kapitalanteile. Um George Orwells «Farm der Tiere» (Animal Farm) zu paraphrasieren, lässt sich daraus ableiten, dass «alle Partner gleich sind, aber einige Partner gleicher sind als andere».
Wie die jüngste Fussballweltmeisterschaft deutlich gezeigt hat, neigt die Macht der Petro-Dollar dazu, manche Urteile zu mildern. Die 3 Milliarden Franken, welche die UBS für die CS bezahlt, seien eindeutig zu tief, sagt La Monica. Diese Meinung teilt auch Davide Serra, Gründer und CEO des internationalen Asset Managers Algebris.
Legionen von Anwälten
Er sagt: «Die UBS hat das Geschäft ihres Lebens gemacht. Noch nie in der Geschichte hat eine Bank ihren Nettoinventarwert über Nacht um 70 Prozent gesteigert. Das wird für alle UBS-Stakeholder sehr positiv sein», so Serra
Umgekehrt ist es unschwer, sich vorzustellen, dass Legionen von Anwälten bereits am Werk sind, Klagen gegen die CS zu formulieren, zumal diese Transaktion im Prinzip ohne, dass ein einziger Partner kontaktiert wurde, stattfand, wie La Monica betont.
Ein Staat und seine Untertanen
Er verweist auch darauf, dass die Corporate Governance an einem einzigen Wochenende ausgelöscht wurde und stattdessen eine Art sozialistischer Paternalismus eingeführt wurde, bei dem der Staat seine «Untertanen» davor bewahrt, sich mit Fragen auseinanderzusetzen, die sie vielleicht nicht verstehen, und dabei das Risiko eingeht, selbst eine falsche Entscheidung zu treffen.
«Eine Entscheidung, bei der nicht klar ist, ob sie grotesk oder eher dilettantisch ist», sagt La Monica und hinzu: «Es wird für die Schweiz nicht einfach sein, aus dieser Sackgasse herauszukommen.»
Gefahr einer Vertrauenkrise
Der heikle Zeitpunkt (hohe Inflation, drohende Rezession, Ukraine-Krieg), die Komplexität der Transaktion und das Ansehen, das die Schweiz in der globalen Finanzwelt geniesst, haben bisher allzu laute Reaktionen verhindert, wie La Monica vermutet.
Sollte sich jedoch das Muster dieses Deals bestätigen, der für viele Leute eine «als Rettungsaktion getarnte Auflösung» sei, bestehe die Gefahr, dass eine Vertrauenskrise ausgelöst werde, die sich auf jedes Bankinstitut auswirken würde und heute noch unvorstellbare Folgen für die Schweiz hätte, erklärt La Monica.