Der Zusammenbruch einer grossen US-Bank komme angesichts des derzeitigen makroökonomischen Umfelds mit dem jüngsten starken und schnellen Anstieg der Zinssätze nicht überraschend, schreibt Beat Wittmann in einem Gastbeitrag auf finews.ch. Darum werde die zusammengebrochene Silicon Valley Bank nicht das letzte bedeutende Bank-, Unternehmens- oder Immobilienopfer im aktuellen Zyklus und im Jahr 2023 sein.

Der Kollaps und die Schliessung der amerikanischen Silicon Valley Bank (SVB) haben Schockwellen rund um den Globus ausgelöst. Vor diesem Hintergrund lassen sich zehn wichtige Erkenntnisse ableiten:

1. Der Zusammenbruch der SVB ist selbstverschuldet

Der Zusammenbruch der SVB ist selbstverschuldet, da es der Bankführung nicht gelungen ist, ein optimales Gleichgewicht zwischen Rentabilität und Liquidität herzustellen (unzureichende Anhebung der Einlagenzinsen), das Refinanzierungsrisiko (wankelmütige Institutionen gegenüber lethargischen Privatanlegern) sowie die Zinsentwicklung richtig einzuschätzen (Investitionen in hochriskante langfristige Anleihen und hohe Buchverluste).

Das anschliessende Scheitern der Kapitalbeschaffung war der fatale Schlag für die SVB. Der Rest ist Geschichte.

2. Fehlanreize sind die Ursache

Einmal mehr haben falsche Anreize (Privatisierung von Gewinnen und Sozialisierung von Verlusten) die Führung der Bank in einer letztlich fatalen Weise handeln lassen. Die SVB-Pleite ist weitgehend ein Einzelfall – aber nicht der einzige.

3. Anleger und Kunden sind selbst schuld

Die Anleger und Kunden können nur sich selbst die Schuld für ihr Unglück geben. Es ist hinlänglich bekannt, dass Gegenpartei-Risiken eine Rolle spielen – und zwar eine besonders grosse Rolle in einem sich schnell und massiv verschärfenden monetären Umfeld. Sie haben ignoriert, dass die Zentralbanken nicht in der Stimmung sind, umzuschwenken, um ihre beschädigte Glaubwürdigkeit wiederherzustellen.

4. Zurück zu den Basics – Liquidität in sicheren Banken halten

Halten Sie sich an die «Back to Basics»-Regel. Will heissen: Wesentliche Bargeldbestände sollten nicht bei nicht systemrelevanten Banken geparkt werden. Es versteht sich von selbst, dass Rendite und Sicherheit einen Kompromiss darstellen und man nicht alles haben kann.

5. Geben Sie nicht der US-Notenbank die Schuld

Schiessen Sie nicht auf den Boten oder die politischen Entscheidungsträger. Das Mandat der amerikanischen Notenbank (Federal Reserve, FED) umfasst Inflation, Beschäftigung und Stabilität des Finanzsystems, aber nicht die Rettung einzelner Finanzinstitute und die Erleichterung eines moralisch gefährlichen Verhaltens von Bankführern, die unangemessene Risiken eingehen.

6. Erwarten Sie keinen Bailout

Bei jeder grösseren Bankenpleite sind die Reaktion und die Massnahmen der politischen Entscheidungsträger von entscheidender Bedeutung. Eine staatliche Rettungsaktion (mit Steuergeldern) ist zu Recht ein absolutes No-Go (und das in einem Jahr vor den Präsidentschaftswahlen), vor allem, wenn es sich nicht um eine systemrelevante Bank handelt.

Die optimale Lösung wäre eine Auktion unter der Leitung der Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC), einem Einlagensicherungsfonds, der dazu verhilft, dass ein grosses und glaubwürdiges Finanzinstitut die SVB übernimmt und die Kontinuität für Kunden und Geschäftspartner gewährleistet.

7. Kontrolle des Ansteckungsrisikos

Die politischen Entscheidungsträger in den USA werden darauf bedacht sein, einen Bank-Run, ein Ansteckungsrisiko und einen allgemeinen Vertrauensverlust zu vermeiden. Vertrauen, Vertrauen, Vertrauen ist eine «conditio sine qua non» im Bankwesen, aber eindeutig nicht genug – es muss mit Transparenz, Rechenschaftspflicht und Interessensgleichheit gepaart werden.

Der Zusammenbruch der SVB wird dazu führen, dass kleine und mittelgrosse Banken intensiver unter die Lupe genommen werden, was ironischerweise wiederum zu einem beschleunigten Kapital- und Vermögensabfluss in grosse systemrelevante Banken führt.

8. Weitere Opfer – aktives Management und Selektivität entscheidend

Die anhaltend restriktive Geldpolitik und die nachlaufende Wirkung deutlich höherer Zinssätze werden noch mehr schwache Glieder brechen und zu weiteren Verlusten bei Finanzinstituten, Unternehmen und Immobilien führen.

Folglich werden die Anleger empfindlicher auf Liquiditäts- und Solvenzrisiken reagieren, und die Streuung der Renditen und Risiken zwischen Gewinnern und Verlierern wird sich ausweiten. Vor diesem Hintergrund werden aktives Management, Selektivität und individuelle Anpassung der Schlüssel zum Performance-Erfolg sein.

9. Europäische Banken besonders exponiert

Die europäischen Banken schnitten in jüngster Zeit gut ab, da sie davon profitierten, dass sie die höheren Zinsen nicht an ihre Kunden weitergeben mussten und bisher keine grösseren Kreditausfälle zu verzeichnen hatten.

Europäische Banken sind nach wie vor deutlich anfälliger und strukturell weniger attraktiv als US-Banken. Anlegerinnen und Anleger sollten daher die schwächsten europäischen Banken mit den niedrigsten Bewertungen, der schlechtesten Aktienkursentwicklung und den niedrigsten Kreditratings weiterhin meiden.

10. Anlageschlussfolgerung: Flucht in die Sicherheit und konträre Risikobereitschaft

Die erste Reaktion der Kapitalmärkte auf einen grossen Bankenzusammenbruch ist erhöhte Volatilität, Risikoaversion sowie die Flucht in die Sicherheit. Gleichzeitig ist es äusserst attraktiv, optimale Einstiegspunkte in Qualitätsaktien zu nutzen. Der US-Finanzsektor ist äusserst wettbewerbsfähig. Er kann auch in Zukunft für Aktionäre höchst lohnend sein.


Beat Wittmann ist seit mehr als sieben Jahren Chairman und Partner der in Zürich ansässigen Finanzberatungs-Gesellschaft Porta Advisors. Der Bündner blickt auf eine mehr als 30-jährige Karriere im Schweizer Bankwesen zurück, die ihn unter anderem zu den Schweizer Grossbanken UBS und Credit Suisse sowie zu Clariden Leu und Julius Bär führte. Von 2009 und 2015 war er zunächst selbständig und danach für die Schweizer Raiffeisen-Gruppe im Asset Management tätig.